Stille. Bedrückte Gesichter. Die „Vereinbarte Debatte“ im Bundestag zur „Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer“ begann mit einer Schweigeminute. Mehrere hundert Tote in einer Woche, ertrunken in Havarie auf hoher See auf ihrem Fluchtweg nach Europa. Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer treffen Europas Werte ins Mark, machen betroffen und fordern Antworten. 

Als erste Reaktion auf die Flüchtlingstragödie hatte die EU-Kommission am Montag ein Krisentreffen der europäischen Außen- und Innenminister in Luxemburg einberufen. Dabei wurde ein Zehn-Punkte-Plan ausgearbeitet, der an diesem Donnerstag den Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel vorgelegt wird. Themen werden unter anderem die Aufstockung der Seenothilfe im Mittelmeer, der koordinierte Kampf gegen Schleuser und eine Beschleunigung von Asylverfahren sein.

„Keine schnelle Lösung“

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hob in seiner Rede im Bundestag die humanitäre Verantwortung für das Schicksal der vielen tausend Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa hervor. „Vor dieser Verantwortung dürfen wir nicht kneifen“, betonte er. Dabei sei nicht entscheidend, wie das EU-Rettungsprogramm heiße, sondern, dass der Erfolg bei der Rettung von Schiffbrüchigen größer wird. Die von der EU geplante Verdoppelung der Mittel für die Seenotrettung nannte er „richtig“.

Zudem stellte er klar: Wenn man wisse, dass mehr Flüchtlinge nach Europa kommen, müsse auch über „eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge“ auf die EU-Länder geredet werden. Notwendig sei auch eine größere Effizienz im Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden, die aber nur mit internationaler Kooperation vor allem mit den nordafrikanischen Nachbarn gelinge.

Zugleich warnte Steinmeier aber davor, schnelle Lösungen zu erwarten. „Die Stabilisierung der Herkunfts- und Nachbarländer wird Aufwand, Mühe und Zeit kosten“, insbesondere des Transitlandes Libyen, sagte Steinmeier. Die Bekämpfung der Fluchtursachen „wird uns so ganz einfach nicht gelingen“. Das Flüchtlingssterben im Mittelmeer sei der „traurige Höhepunkt der Tragödie“. Und: Man wisse nicht, wie sich die nächsten Monate entwickeln.

„Mein Europa bedeutet Leben“

Lars Castellucci, Sprecher der AG Demokratie und Mitglied der AG Kommunalpolitik der SPD-Bundestagsfraktion, schlug in seiner Plenarrede deutliche Töne an. Er hob hervor, wie viel Verantwortung Deutschland und Europa in der Welt übernähmen. „Aber vor Lampedusa haben wir versagt. Die Toten im Mittelmeer sind auch meine Toten.“ Europas Abschottungspolitik sei mitverantwortlich für die „erneute“ Flüchtlingstragödie im Mittelmeer. Für Castellucci stehen Europas Werte auf dem Spiel: „Wir schützen unsere Grenzen besser als die Menschen. Das ist nicht mein Europa, mein Europa bedeutet ‪‎Leben‬.“

Er erwarte, dass Europa jetzt Verantwortung übernimmt und die europäischen Staats- und Regierungschef eine Seenotrettung beschließen, „die der aktuellen Lage angemessen ist“.

„Nicht kleinkrämerisch sein“

Der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Migration und Integration, Rüdiger Veit, lobte den Zehn-Punkte-Plan der EU, machte aber ebenfalls in seiner Rede deutlich, dass auch er vom EU-Gipfeltreffen „mehr“ erwarte. Insbesondere dürfe Europa beim Ausbau der Seenotrettung nicht „kleinkrämerisch“ sein und den Blick nicht nur auf die Zerstörung von Schleuser-Boten verengen, mahnte er.

An die anwesende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wandte sich Veit daher mit drei konkreten Bitten: Sie möge sich erstens einsetzen für eine angemessene Verteilung von Flüchtlingen in ganz Europa und zweitens für ein Resettlement-Programm, um legale Möglichkeiten der Immigration zu schaffen. Zudem möge die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene prüfen lassen, wie offensichtlich verfolgten Flüchtlingen Möglichkeiten aufgezeigt werden können, legal nach Europa einzureisen, um dort Schutz zu finden und eben nicht auf die gefährliche Mittelmeerroute und in die Hände von Schleppern getrieben zu werden.

Jasmin Hihat (mit dpa)