Der Megatrend der Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Das ahnte wohl schon die deutsche Band Tocotronic, als sie ihr Debutalbum 1995 unter dem Titel „Digital ist besser“ veröffentlichte. Zwanzig Jahre später nutzt die Arbeitsgruppe Digitale Agenda der SPD-Bundestagsfraktion dasselbe Label für ihren zweiten netzpolitischen Kongress, jedoch mit einem Frage- und einem Ausrufezeichen. Das ist kein Versehen, wie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und Fraktionsvize Sören Bartol in ihren Grußworten betonten: Zum einen seien rund um das Thema digital leben und arbeiten noch viele Fragen offen, zum anderen gingen die Menschen in Deutschland mit digitalen Angeboten und Herausforderungen sehr unterschiedlich um.

Chancen und Risiken, Hoffnungen und Ängste liegen beim Querschnittsthema Digitalisierung eng beieinander, weil sie zahlreiche Lebensbereiche beeinflusst, Grenzen von Arbeit und Privatem verschwimmen lässt, eine stetig wachsende Menge an Daten produziert und manche gesetzlichen Rahmenbedingungen in Frage stellt.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten machten auf ihrem Netzkongress klar: Sie haben den Anspruch, den Digitalen Wandel kritisch zu begleiten und zu gestalten. Das gelte auch für die Verteidigung lang erkämpfter Bürgerrechte und demokratischer Werte, betonte Oppermann. Die Auslegung dieser dürfe man auch im digitalen Zeitalter nicht Geheimdiensten und Multikonzernen wie Alphabet/Google überlassen. „Wir wollen keine digitalisierungskonforme Demokratie, wir wollen den Wandel politisch gestalten,“ betonte Oppermann.

Den Wandel der Arbeitswelt im Blick

Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) sagte in einer Fragerunde mit dem SPD-Abgeordneten Jens Zimmermann, dass die Digitalisierung längst in vielen Berufen angekommen sei. „Ihr“ Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe daher im April 2015 das Grünbuch „Arbeiten 4.0“ veröffentlicht und einen breiten öffentlichen Dialog über Gestaltungschancen für Unternehmen, Beschäftigte, Sozialpartner und Politik begonnen. Ende nächsten Jahres sollen die Ergebnisse in einem Weißbuch dokumentiert werden. Nahles versteht Digitalisierung vor allem als „Chance“ – so könne beispielsweise der Einsatz von Robotic nicht nur Effizienzsteigerung bringen, sondern Frauen und Männern bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen oder selbstbestimmtere Arbeitszeitmodelle erleichtern. So können die Flexibilitätsgewinne für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch für die Work-Life-Balance genutzt werden. Gleichzeitig sei ihr bewusst, dass der digitale Wandel auch Verteilungsfragen aufwerfe. In Zeiten von Automatisierung, Crowd- und Clickworking, müsste über Qualifizierungsmaßnahmen, tarifvertragliche Strukturen oder Beschäftigtendatenschutz neu nachgedacht werden. Nicht alles könne und sollte man jedoch gesetzlich regeln, so die Ministerin.

Mit digitaler Bildung zu mehr Mündigkeit

„So viel Gesetzgebung wie nötig und so viel Sozialpartnerschaft wie möglich“ betonte auch SPD-Fraktionsvizin Carola Reimann im anschließenden Panel zur Zukunft der Arbeit. Als Gesetzgeber sei man dennoch aufgerufen, Richtlinien zu setzen und die Diskussion in der Gesellschaft voranzutreiben, sagte Reimann in der Runde mit Fraktionskollegin Saskia Esken, Berichterstatterin für Digitale Bildung der SPD-Fraktion, mit der Bundesinternetbotschafterin Gesche Joost, mit Lothar Schröder, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands, und mit dem Personalvorstand der Telekom Christian Illek.

„Manche Fragen der Digitalisierung können wir gar nicht nationalstaatlich regeln“, gab Schröder zu bedenken. Neue Regeln und Konzepte seien dennoch auch in Deutschland erforderlich, vor allem im Bereich Arbeitsschutz und bei der Aus- und Weiterbildung. Auch Joost und Esken stimmten zu, dass massiv in Qualifizierungsmaßnahmen für Jung und Alt investiert werden müsse, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke blieben und die bereits bestehende „digitale Spaltung“ überwunden werden kann. Christian Illek wies darauf hin, dass Betriebe neben der Verbesserung des Know-hows ihrer Mitarbeiter vor allem die Vernetzung des Wissens in den Blick nehmen müssten.

Datenpolitik – keine einfache Frage

Machen Daten das Leben besser? Diese polarisierende Frage diskutierten Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, und Frank Schmiechen, Chefredakteur von „Gründerszene“, in einem Streitgespräch, das vom netzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Lars Klingbeil moderiert wurde.

Daten seien Kern unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens, sagte Schmiechen. Alles, was Daten produziere, könne (im neutralen Sinne) „manipuliert“ und damit nutzbar gemacht werden. „Daten geben uns die Möglichkeit, unsere Umgebung so zu gestalten, wie wir das wollen“, so Schmiechen. Kurz plädierte für mehr Transparenz und Mündigkeit im Umgang mit Daten, denn die entscheidende Frage sei doch, für welche Ziele die Daten gelenkt und ausgewertet werden – für wirtschaftliche Zwecke oder für das Gemeinwohl.

Die Forderung nach absoluter Transparenz hält Schmiechen für übertrieben: „Wir wollen immer mündig sein, wenn es um Daten geht. Sind wir es denn in anderen Bereichen unseres Lebens?“ Als Beispiel nannte er die Benutzung eines Autos oder Computers. Kurz entgegnete, es gehe bei ihrem Verständnis von Mündigkeit nicht darum, alles bis ins Detail zu durchschauen, sondern darum, „in die Lage versetzt zu werden, mit den Daten das tun zu können, was ich möchte“. Es gehe also vielmehr um die Datensouveränität. 

Die „zweite Halbzeit“ nutzen

Die Zukunft und die Chancen und Risiken der digitalen Wirtschaft für deutsche Unternehmen und Start-ups stand im Mittelpunkt der anschließenden Keynote-Rede von SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil und einer zweiten Paneldiskussion, die vom Existenzgründungsbeauftragte der SPD-Fraktion Christian Flisek (ebenfalls Mitglied der AG Digitale Agenda) moderiert wurde.

„Innovationen fallen nicht vom Himmel, sie haben Voraussetzungen“, stellte Heil klar. Der entscheidende Punkt für Deutschland sei, wie „wir mit digitalen Disruptionen umge-hen“, mit digitalen Innovationen, die „klassische Geschäftsmodelle ins Wanken bringen“ können. „Wir wollen und können das ‚Silicon Valley‘ nicht eins zu eins kopieren“ – den in den USA stark ausgeprägten Gedanken der wissensbasierten Netzwerke jedoch schon. Gerade in der Breite der deutschen Wirt-schaft, bei den kleinen bis mittleren Betrieben, sei die Digitalisierung von Produktionsprozessen noch nicht ausreichend angekommen, so Heil.

In den Köpfen der Wirtschaftsentscheiderinnen und -entscheider müsse ein Umdenken stattfinden, forderte der „Netzökonom“ Holger Schmidt, Journalist beim Focus. Damit auch der deutsche Mittelstand die großen Potenziale der Digitalisierung nutze, plädierte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks für dezentrale Strukturen – „vor Ort, regional und vernetzt“.

Die SPD-Fraktion setze sich weiterhin für weitere steuerliche Forschungsförderung und Anreize für private Investoren ein, versicherte Gabriele Katzmarek, Mitglied der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Expertinnen und Experten waren sich einig, dass Deutschland die „erste Halbzeit“ um die Digitale Wirtschaft verloren habe – aber jetzt die Chance bekomme, in der „zweiten Halbzeit“ die digitale Souveränität zurück zu gewinnen und den Anschluss an die internationale Spitze zu schaffen.

Auch nach dem zweiten netzpolitischen Kongress bleibt daher die zentrale Handlungsaufforderung nicht nur für die Sozialdemokraten: „Wie machen wir aus technischem Fortschritt einen Fortschritt für alle und nicht nur für einige wenige?“ Auch deshalb setzt die SPD-Fraktion bei „Smart Factories“ und „Arbeiten 4.0‘“ auf den Dialog mit Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften, Politik und der Zivilgesellschaft.

Zum Flickr-Album mit Fotos vom 2. Netzpolitischen Kongress

Netzpolitischer Kongress "Digital ist besser!?" am 2.11.2015

 

Livestream-Mitschnitte des 2. Netzpolitischen Kongresses

#spdnetz-Tweets zum 2. Netzpolitischen Kongress

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Jasmin Hihat