Der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine hat die gesamte Sicherheits- und Außenpolitik auf den Kopf gestellt. Aber er hat eben auch direkte Folgen für die Verbraucher:innen: Die steigenden Energiepreise machen nicht nur Tanken und Heizen teuer – sondern auch viele andere Alltagsprodukte. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt ist überzeugt, dass der Staat den Schwächeren durch diese Zeit helfen muss. Und sie weiß auch, wer das bezahlen sollte.

Fraktion intern: Frau Schmidt, die hohen Preise machen derzeit vielen Angst - auch in Ihrem Wahlkreis in Wetzlar in Mittelhessen?

Dagmar Schmidt: Man merkt, dass sich die Menschen Sorgen machen, ob sie sich in Zukunft noch das leisten können, was sie sich bisher leisten konnten. Es gibt insgesamt ein Gefühl der Unsicherheit.

Fraktion intern: Geht es denn in den Gesprächen vor Ort vor allem um die hohen Energiepreise oder auch um die Preise in den Supermärkten?

Dagmar Schmidt: In erster Linie geht es um die Benzin- und die Energiepreise. Ich komme aus einem ländlichen Wahlkreis. Bei mir sind viele Menschen auf ihr Auto angewiesen. Das sind jetzt schon wirkliche Einschränkungen, die sie vornehmen müssen, um das Benzin noch bezahlen zu können.

Fraktion intern: Der Tank-Rabatt ist am 1. Juni in Kraft getreten. Viele sagen, er kommt gar nicht oder nur in Teilen an, die Mineralölkonzerne kassieren das Geld selbst. War der Rabatt ein Fehler?

Dagmar Schmidt: Es war für uns als SPD-Fraktion in der Ampel nicht unsere Herzensangelegenheit, über eine solche Steuerentlastung wie die Mineralölsteuersenkung zu versuchen, den Benzinpreis zu senken. Gleichzeitig ist es uns aber ein Anliegen, dass die Menschen ihre Mobilität noch bezahlen können. Insofern finde ich es gut, dass wir jetzt neben der Steuersenkung alles tun, was kartellrechtlich möglich ist, um die Benzinpreise in den Griff zu bekommen. Wir wollen nicht, dass sich die Mineralölkonzerne an der Krise eine goldene Nase verdienen. Es hat sich ja auch schon ein wenig gebessert.

Fraktion intern: Gehen die Vorschläge von Wirtschaftsminister Habeck, das Kartellrecht drastisch zu verschärfen, in die richtige Richtung?

Dagmar Schmidt: Erst einmal muss er die Vorschläge auf den Tisch legen. Aber die Richtung ist natürlich die richtige. Viele Menschen, die oft tanken müssen, machen die Erfahrung, dass überraschenderweise immer kurz vor Ferien oder Feiertagen die Preise steigen, und man hat das Gefühl, dass da nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht.

Fraktion intern: Die hohen Preise werden uns noch bis in den Herbst begleiten. Sollte Putin den Gashahn ganz zudrehen, wird es noch schlimmer. Wie kann der Staat helfen?

Dagmar Schmidt: Wir kümmern uns darum, die Einkommen der Menschen zu stabilisieren und Sicherheit zu geben. In meinem Wahlkreis sind die 12 Euro Mindestlohn, die ab dem 1. Oktober gelten, ganz vielen Menschen wirklich eine große Hilfe. Das hilft insgesamt sechs Millionen Menschen in Deutschland. Das ist schon mal ein wirklich guter Schritt. Genauso wie die Rentenerhöhung, die ja nicht vom Himmel gefallen ist. Diese war nur möglich, weil wir während der Corona-Pandemie viel in unsere Wirtschaft, in Kurzarbeitergeld, in den Erhalt von Arbeitsplätzen investiert haben. Das war die Basis für eine so große Rentenerhöhung. Zusätzlich unterstützen wir mit verschiedenen Maßnahmen, mit Zuschlägen und mit Einmalzahlungen. Dauerhaft müssen wir gucken, dass wir diejenigen, die eben in so einer Krise wirklich besonders große Probleme haben, ganz gezielt unterstützen. Unsere Botschaft ist klar: Wir lassen niemanden zurück.

„Wir wollen jene gezielt unterstützen, die es brauchen“

Fraktion intern: Wie denn?

Dagmar Schmidt: Ich bin froh, dass Arbeitsminister Hubertus Heil den Vorschlag eines sozialen Klimageldes gemacht hat. Die Grundidee ist, dass wir den Energieverbrauch über eine höhere CO2-Bepreisung steuern wollen. Jetzt steigen die Preise auch ohne CO2-Bepreisung. Die Möglichkeiten, höhere Energiepreise zu bezahlen, sind sehr unterschiedlich. Das hängt vom Einkommen ab. Und deswegen sollen diejenigen, die eben geringe und mittlere Einkommen haben, durch ein solches Geld unterstützt werden, diese Veränderung mitzugehen.

Fraktion intern: Wie hoch soll dieses Geld ausfallen?

Dagmar Schmidt: Für Details ist es zu früh. Hubertus Heil hat Vorschläge gemacht. Die lohnt es, im Rahmen eines Gesamtkonzepts zu diskutieren.

Fraktion intern: Finanzminister Christian Lindner hält nicht viel von der Idee eines sozialen Klimageldes. Er will lieber über eine Einkommensteuerreform entlasten. Was sagen Sie dazu?

Dagmar Schmidt: Eine Steuerreform nutzt ja nur denjenigen, die auch wirklich Steuern zahlen. Familien mit geringen Einkommen haben von einer Steuerentlastung wenig oder gar nichts. Wir müssen diejenigen, die keine dicken Polster auf der Bank oder kein dickes Erbe im Rücken haben, unterstützen. Denen müssen wir die Sicherheit geben, dass sie gut und sicher durch diese Zeit kommen.

Fraktion intern: Dazu gehören ja auch Rentner:innen. Viele haben sich beschwert, dass sie bei der Energiepreispauschale leer ausgehen. Bekommen die noch Hilfe?

Dagmar Schmidt: Ich habe es für einen Fehler gehalten, dass die Rentner:innen keine Energiepreis-Pauschale bekommen haben. Wir wollen weitere Entlastungen so gestalten, dass auch sie davon profitieren. Vor allem aber diejenigen gezielt unterstützen, die es auch besonders brauchen.

Fraktion intern: Was ist mit den Empfänger:innen der Grundsicherung?

Dagmar Schmidt: Die Grundsicherungs-Empfänger:innen haben wir bereits mit einem Zuschlag durch 200 Euro entlastet, die Kinder mit einem Sofort-Zuschlag von 20 Euro monatlich unterstützt. Aber es ist nun zwingend geboten, dass wir die Regelsätze neu berechnen, damit die Preissteigerungen in der Leistung auch berücksichtigt werden.

Fraktion intern: Christian Lindner will frühestens 2023 ein neues Entlastungspaket schnüren. Können die Bürger:innen so lange warten?

„Die Profiteure der Krise müssen ihren Beitrag leisten“

Dagmar Schmidt: Wir werden sehen, was wir am Ende gemeinsam hinbekommen. Wir sind die größte Fraktion. Und auch wenn wir nicht den Finanzminister stellen: Es ist klar, dass man nicht an uns vorbei verhindern kann, dass wir uns für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen. Und das heißt auf der einen Seite, dass wir die unterstützen, die Unterstützung brauchen. Das heißt aber auch auf der anderen Seite, dass diejenigen mit hohen und den höchsten Einkommen, die Unternehmen mit Übergewinn und Riesen-Dividenden-Ausschüttungen, alle mithelfen müssen, dass wir gut durch diese Zeit kommen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist aber auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Es ergibt auch ökonomisch keinen Sinn, Leuten mit hohen Einkommen Geld dafür zu geben, dass sie ihre Sparquote erhöhen, während andere nicht wissen, wie sie den alltäglichen Bedarf decken sollen. Und es ist ja auch wichtig, dass wir die Binnennachfrage stärken und dadurch die Wirtschaft am Laufen halten. Es ist gut, dass Olaf Scholz dazu mit der konzertierten Aktion alle an einen Tisch geholt hat, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Fraktion intern: Würden Sie denn so weit gehen, den Menschen zu sagen: „Macht Euch keine Sorgen, Ihr bekommt so viel, dass ihr weiter gut durchs Leben kommt“.

Dagmar Schmidt: Der Sozialstaat ist immer gefordert, das zu tun, was notwendig ist. Und natürlich ist es unser Anliegen, dass alle gut durch diese Zeit kommen. Das heißt, dass wir nicht nur dafür sorgen müssen, Einkommen zu stabilisieren. Wir helfen auch, wenn besondere Not da ist. Und wir investieren in die Zukunft, damit es auch morgen noch gute Arbeitsplätze gibt. Und dazu investieren wir in Qualifizierung, in Forschung und Entwicklung, in den Ausbau erneuerbarer Energien, in Wasserstoff, Technologie und vieles andere mehr.

Fraktion intern: Wer bezahlt das alles?

Dagmar Schmidt: Wir müssen natürlich gucken, wo die Profiteure der Krisenzeit sind und was ihr Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für das Gemeinwesen ist. Wir haben 330 Milliarden Euro dafür ausgegeben, dass wir gut durch die Pandemie kommen. Es ist gerecht, wenn Unternehmen, die jetzt wieder Gewinne machen, auch der Gesellschaft etwas zurückgeben. Denn während der Pandemie haben sie auch Unterstützung in der Krise bekommen.

Fraktion intern: Was halten Sie von dem Vorschlag, eine Übergewinnsteuer einzuführen?

Dagmar Schmidt: Die Diskussion über eine Übergewinnsteuer und eine Beteiligung der Profiteure der Krise an ihrer Überwindung finde ich mehr als berechtigt. Wer über die Maßen von Krisen profitiert, der muss einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten.

Fraktion intern: Die Folgen des Angriffs Putins auf die Ukraine sind teuer: 100 Milliarden Euro allein für die Bundeswehr, weitere Milliarden für Entlastungen wegen der Preissteigerungen und die Integration Geflüchteter. Und die Schuldenbremse soll 2023 wieder in Kraft treten. Funktioniert das?

Dagmar Schmidt: Es gibt in Deutschland sehr viel Reichtum. Wenn es nach mir geht, dann können alle mit Einkommen wie Bundestagsabgeordnete und mehr einen höheren Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Dann müssen wir dafür auch keine Schulden aufnehmen.

Fraktion intern: Und haben Sie einen ganz konkreten Vorschlag, wie man das machen könnte?

Dagmar Schmidt: Es gibt da schon viele, jetzt nicht völlig überraschende Instrumente, mit denen man für mehr Gerechtigkeit sorgen könnte. Wie man mehr Gerechtigkeit ins Steuersystem bringen kann, diskutieren wir in der SPD-Fraktion ja schon lange.

Fraktion intern: Olaf Scholz hat Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen an einen Tisch gebeten. Wie beurteilen Sie die konzertierte Aktion?

Dagmar Schmidt: Ich finde das ein wichtiges Signal über die Sozialpartner hinaus: Wir müssen das gemeinsam packen. Und dies war ja nur der Auftakt zu weiteren Gesprächen und Verhandlungen. Zwei Dinge müssen uns in den nächsten Wochen und Monaten leiten. Zum einen müssen wir mit unserem Sozialstaat eine Brücke für diejenigen bauen, die die aktuellen Preise nicht zahlen können, für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Und zweitens müssen wir dabei die Weichen für die Zukunft stellen und in saubere Energie, eine moderne Industrie und die Arbeitsplätze der Zukunft investieren. Damit es nach der Krise besser wird als es vorher war.