Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, wie unsere gemeinsame Regierung mit den Fraktionen von CDU, CSU und SPD in den nächsten vier Jahren die Zukunft unseres Landes gestalten will.
Dies war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die erste Regierungsbildung, die vom Ausgang eines Mitgliederentscheides abhängig war, und diese Hürde haben wir souverän gemeistert.
256 000 SPD-Mitglieder haben sich für diese Regierung entschieden. Sie wollen, dass dieser Koalitionsvertrag umgesetzt wird und dass dadurch das Leben der Menschen in Deutschland besser und gerechter wird. Sie wollen, dass diese Regierung Erfolg hat. Das wollen wir auch. Deshalb freue ich mich auf die gemeinsame Arbeit. Packen wir es an!
Herr Gysi, Sie sind erstmals Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion. Sie antworten deshalb unmittelbar auf die Kanzlerin. Sie sind jetzt sozusagen Oppositionsführer. Herzlichen Glückwunsch!
Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann streben Sie gar nicht an, der größte Oppositionsführer in der Geschichte des Deutschen Bundestages zu werden, sondern Ihr Wunsch ist es, die Linke in die Regierung zu führen. Wenn das wirklich Ihr Wunsch ist, Herr Gysi, genügt es allerdings nicht, so über Europa zu reden, wie Sie es eben getan haben. Vielmehr müssen Sie dafür sorgen, dass Ihre Fraktion und Ihre Partei anders über Europa denken und sprechen.
Welchen Wert Europa für uns hat, wird uns in diesem Jahr besonders bewusst, wenn wir uns an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnern. Damals taumelte Europa verblendet vom Nationalismus in einen furchtbaren Krieg. Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, in dem moderne Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden. Das Versagen der Diplomatie in Europa forderte 17 Millionen Tote, und trotz dieser Erfahrungen zettelte Deutschland kurze Zeit später einen noch viel furchtbareren Krieg an. Ich finde, jeder, der sich vor Augen führt, welch schreckliche Dinge ihren Ausgangspunkt im nationalistischen Deutschland genommen haben, der muss doch erkennen, wie unschätzbar wertvoll die europäische Integration vor allem für uns Deutsche ist.
Die Entscheidung für Europa war die beste Antwort sowohl auf den Ersten Weltkrieg als auch auf den Zweiten Weltkrieg. Sie war die beste Antwort auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, und sie ist der beste Weg, den Frieden auch in Zukunft zu sichern.
Aber Europa steht nicht nur für Frieden, sondern Europa steht auch für unser gemeinsames Wertesystem: unsere Freiheit, unsere Demokratie und unser europäisches Sozialstaatsmodell, das Menschen, die in Not geraten, nicht fallen lässt, sondern sie absichert und ihnen wieder neue Chancen gibt. In unserer globalisierten Welt wäre jedes einzelne Land zu klein und zu schwach, um diese Werte allein zu verteidigen. Das schaffen wir nur gemeinsam. Deshalb darf es keine Rückkehr zum nationalstaatlichen Denken geben. Gerade im Jahr der Europawahl sage ich ausdrücklich: Wir dürfen Europa nicht den nationalen Populisten überlassen, egal, ob sie von links oder von rechts kommen.
Lieber Herr Gysi, Ihr Parteivorstand nennt die EU in der Präambel eines Leitantrages zur Europawahl eine „militaristische und weithin undemokratische Macht“. Das ist nicht etwa ein Zitat von Rosa Luxemburg, mit dem sie die Zustände des deutschen Kaiserreiches vor 100 Jahren beschreibt, sondern das ist Ihre Beschreibung für Europa im Jahr 2014, für eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften seit dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde das unglaublich.
Das ist so abenteuerlich, dass Sie sich davon distanzieren mussten. Ich füge hinzu: Ich glaube Ihnen, dass Sie sich davon ehrlich distanziert haben, dass das Ihre aufrichtige Meinung ist. Aber ich bezweifle, dass diese Distanzierung von Ihrer Partei und Ihrer Fraktion mitgetragen wird.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie in diesem Hause Partner finden wollen, müssen Sie Ihr Verhältnis zu Europa und zum Euro klären. Klären Sie Ihr Verhältnis zur internationalen Verantwortung Deutschlands. Damit haben Sie in den nächsten vier Jahren genug zu tun.
Das Bekenntnis zu Europa als Macht des Friedens und Hüterin unserer Werte allein reicht nicht. Die EU-Kommission und die europäische Politik müssen klar besser werden, wenn dem Populismus das Wasser abgegraben werden soll. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, benutzte zuletzt ein sehr treffendes Bild, wenn er von den zwei Denkschulen spricht, die sich in der Europäischen Kommission sozusagen gegenseitig im Wege stehen: Die einen geben nicht eher Ruhe, bis auch der letzte kommunale Friedhof in Europa privatisiert ist. Und die anderen hören nicht auf, bevor nicht eine einheitliche Friedhofsordnung für ganz Europa entstanden ist. „Das macht die Leute verrückt“, sagt Martin Schulz. Und ich sage: Der Mann hat recht. Europa muss nicht alles machen, vor allem nicht das, was die Mitgliedstaaten selber können.
Deshalb sage ich: Die Europäische Kommission muss sich in den nächsten Jahren stärker um das kümmern, was Europa eint, was uns stark macht und was die Einzelnen alleine nicht schaffen. Dazu gehört die weitere Bändigung der Finanzmärkte. Dazu gehört die Bekämpfung von Steueroasen und Steuerschlupflöchern, die unsere Steuerzahler hier in Deutschland Milliarden kosten. Dazu gehört die Verringerung des Wohlstandsgefälles innerhalb der Europäischen Union. Und dazu gehört ganz gewiss nicht zuletzt die Bekämpfung der horrenden Arbeitslosigkeit von jungen Menschen in vielen Ländern Europas. Auf diese Dinge muss sich die EU konzentrieren, damit die Menschen erkennen können, warum Europa so wichtig für uns alle ist.
Viele fragen sich, wie wir in den harten Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD zueinander gefunden haben. In der Tat, bei so schwierigen Themen wie Mindestlohn, Rente, Leiharbeit, Pflege oder Frauenquote war es überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir uns am Ende verständigen. Das lag natürlich auch an der auf beiden Seiten vorhandenen Kompromissbereitschaft. Aber ich glaube, das lag in erster Linie daran, dass es in Deutschland einen gesellschaftlichen Grundkonsens gibt, einen Grundkonsens über die soziale Marktwirtschaft darüber hat auch die Bundeskanzlerin gesprochen; und ich stimme ihr zu : 90 Prozent der Menschen finden die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft richtig für unser Land, und sie wollen, dass sie gesichert und gestärkt werden.
Die Arbeitnehmer wissen doch ganz genau, dass Wohlstand für alle ohne eine starke Wirtschaft nicht möglich ist. In der sozialen Marktwirtschaft muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, die es Unternehmen ermöglichen, Gewinne zu machen. Unternehmer, die keine Gewinne machen, gefährden am Ende Arbeitsplätze. Deshalb brauchen wir Produktivitätsfortschritt, deshalb brauchen wir Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit auf der einen Seite. Aber auf der anderen Seite brauchen wir auch faire Regeln auf dem Arbeitsmarkt, faire Löhne, Arbeitnehmerrechte, Kündigungsschutz und Mitbestimmung. Das sind keine Problemfaktoren, sondern das sind positive Standortfaktoren in einer erfolgreichen Wirtschaft.
Das eine darf nicht auf Kosten des anderen durchgesetzt werden. Wir brauchen beides: Wettbewerb und faire Regeln. Das ist die Geschäftsgrundlage, auf der wir die soziale Marktwirtschaft in Deutschland in eine stabile Balance bringen können. Das wollen wir umsetzen. Das ist unser Programm.
Damit fangen wir gleich an. Noch in diesem Jahr wird die Koalition den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschließen. Für viele Menschen, die 4, 5 oder 6 Euro in der Stunde verdienen, wird das die kräftigste Lohnerhöhung in ihrem Leben. Das wird das Alltagsleben von Millionen Menschen in diesem Land positiv verändern.
Dieser Mindestlohn generiert milliardenschwere Kaufkraft. Das ist ein gewaltiges Konjunkturprogramm, das die Binnennachfrage stärken und für zusätzliches Wachstum sorgen wird. Das ist gut für unsere Wirtschaft. Der Mindestlohn ist nicht nur sozial gerecht, weil er der Arbeit wieder Wert und Würde gibt, sondern er ist auch ordnungspolitisch richtig, weil er Wettbewerbsverzerrungen durch Lohndumping beseitigt.
Wenn wir den Mindestlohn haben, wenn wir die Leiharbeit regulieren, wenn wir die missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen beenden und dafür sorgen, dass in den Betrieben gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird, dann werden sich Arbeit und Anstrengungen für Millionen Menschen in Deutschland wieder lohnen. Genau das wollen wir: eine Politik für die fleißigen Leute und für die verantwortungsvollen Unternehmer.
Das gilt natürlich auch für die Rentner. Wer ein Leben lang hart gearbeitet und Kinder großgezogen hat, hat Anspruch auf ein sicheres Auskommen im Alter. Wenn jetzt bezüglich des Gesetzentwurfs, den Andrea Nahles heute in das Kabinett eingebracht hat, von Unternehmern die Sorge geäußert wird, das könnte zu Frühverrentungen führen, dann sage ich: Diese Arbeitgeber können zuerst selber verhindern, dass es zu Frühverrentungen kommt, indem sie 61-Jährige nicht mehr in die Arbeitslosigkeit schicken. Wenn es zu einem Missbrauch kommen sollte, dann werden wir diesen Missbrauch mit geeigneten Maßnahmen sofort wieder abstellen. Denn dafür haben wir die Rente nach 45 Berufsjahren nicht eingeführt.
Die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beschäftigungsjahren haben eine Debatte über Generationengerechtigkeit ausgelöst, und wir werden uns dieser Debatte stellen. Bei der Rente geht es übrigens immer um Generationengerechtigkeit, aber in beide Richtungen und nicht nur in eine Richtung.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben den Begriff der Generationenkumpanei in diese Debatte eingeführt. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen sich in E-Mails und Briefen an uns darüber empören, dass mit diesem Begriff ihre Lebensleistung abgewertet wird. Das ist unfair gegenüber den Müttern und denjenigen, die 45 Jahre hart gearbeitet haben. Das sind doch diejenigen, die mit ihrer harten Arbeit ein umlagefinanziertes stabiles Rentensystem überhaupt erst ermöglichen, Frau Göring-Eckardt.
Wir sollten uns davor hüten, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Die Zukunftschancen der jungen Generation hängen doch nicht in erster Linie von der Rentenpolitik ab, sondern sie hängen davon ab, was wir bildungs- und wirtschaftspolitisch in diesem Lande machen.
Die Perspektiven hängen davon ab, ob wir in 20 oder 30 Jahren in Deutschland noch eine starke Wirtschaft haben und ein starkes Industrieland sind. Sie hängen davon ab, ob wir jungen Menschen attraktive Jobs anbieten können und ob dort hohe Löhne verdient werden können. Das sind doch die Fragen. Ich sage: Diese Regierung wird die Grundlagen dafür legen. Ich freue mich, dass diese Regierung und Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister endlich wieder eine aktive Industriepolitik für Deutschland machen.
Da ist natürlich die ganze Regierung gefordert; denn eine starke Wirtschaft wird es in Zukunft nur geben, wenn wir eine moderne Infrastruktur haben. Wir müssen den Investitionsstau abarbeiten, und wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Wir haben 9 Milliarden Euro für Investitionen in Kitas, Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Wir brauchen ein hohes Niveau an Forschung und Entwicklung und nicht zuletzt ein Energiesystem, das Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Klimaschutz miteinander verbindet. Deswegen ist es gut, dass das Kabinett schnell Eckpunkte für die Energiewende vorgelegt hat, mit denen der weitere Preisanstieg der erneuerbaren Energien gebremst wird; denn ein funktionierendes Energiesystem ist das Herz-Kreislauf-System der Wirtschaft; ohne ein solches System kann unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Alles hängt davon ab, dass Energie bezahlbar bleibt. Ich finde es richtig, dass wir die Nutzung der erneuerbaren Energien weiter ausbauen; aber wir müssen sie so ausbauen, dass Energie für die Menschen und für die Wirtschaft auch bezahlbar bleibt.
Da muss uns die Europäische Union auch die Möglichkeit lassen, energieintensive, tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen von der EEG-Umlage zu befreien. Das sind doch keine wettbewerbsverzerrenden Entlastungen - entsprechende Belastungen in anderen Ländern gibt es doch gar nicht.
Wenn übrigens an anderer Stelle argumentiert wird, dass wir auf die energieintensiven Unternehmen in Deutschland im Interesse einer besseren Ökobilanz vielleicht ganz verzichten könnten, dann halte ich das für absolut verantwortungslos. Die Stärke unserer Wirtschaft, das sind doch nicht einzelne industrielle Leuchttürme. Stark sind wir doch deshalb in Deutschland, weil wir über die ganze Wertschöpfungskette verfügen: von der Grundstoffindustrie bis zu den Hightechunternehmen und den hochwertigen Dienstleistungen. Diese Wertschöpfungskette darf nicht zerstört werden, meine Damen und Herren.
Ich finde, Energieminister Gabriel hat in dieser Debatte einen ganz wichtigen Satz gesagt, der übrigens auch etwas über die Art und Weise, wie Politik gemacht werden sollte, aussagt: Die Summe der jetzt geltend gemachten Interessen ist nicht identisch mit dem Gemeinwohl. Da hat er recht.
Natürlich müssen alle Interessen und Argumente gehört, diskutiert und gewichtet werden; aber am Ende muss es eine Entscheidung für eine Energiepolitik im Interesse des Allgemeinwohls geben. Dafür hat der Bundeswirtschaftsminister die volle Unterstützung der Koalition.
Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wie vielfältig wir geworden sind, spiegelt übrigens auch der Deutsche Bundestag wider: Spitzenreiter bleibt zwar der Nachname „Schmidt“, auf den sechs Kollegen und Kolleginnen hören, aber „Özdemir“ kommt inzwischen genauso häufig vor wie „Mayer/Meier“: zwei Mal. Ich freue mich, dass wir vielfältiger geworden sind - genauso wie unser Land.
Auch wenn die Koalition nicht in allen Fragen der doppelten Staatsangehörigkeit wirklich einer Meinung ist, finde ich es doch gut, dass wir es geschafft haben, uns darauf zu verständigen, dass wir junge Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, nicht mehr in die Zwangslage bringen wollen, sich, um Deutsche bleiben zu können, vor Vollendung des 23. Lebensjahres gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und Großeltern zu entscheiden. Das wollen wir diesen Menschen ersparen, indem wir ihnen die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglichen.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist vor allem wegen seines starken Arbeitsmarktes ein attraktives Einwanderungsland geworden. Angesichts der demografischen Veränderungen und des Fachkräftemangels gilt Einwanderung heute nicht mehr als Belastung, sondern als Chance. 2012 kamen 370 000 Menschen, im letzten Jahr 400 000 Menschen mehr nach Deutschland, als weggegangen sind. Das sind ganz überwiegend gut Ausgebildete und hoch Qualifizierte. Sie sind ein Riesengewinn für unsere Wirtschaft. Deutschland profitiert wie kein anderes Land in der Europäischen Union von der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Deshalb sage ich: Wir freuen uns über jeden und über jede, die zu uns kommen, um hier zu arbeiten, Geld zu verdienen und ihr Glück zu machen.
Natürlich bleibt es eine große Herausforderung, unsere Einwanderungsgesellschaft so zu organisieren, dass alle Menschen gut zusammenleben können. Aber da, wo durch Zuwanderung Probleme entstehen - wie in Duisburg, Dortmund, Mannheim oder Berlin -, helfen keine lautstarken Debatten und Parolen, sondern da ist tatkräftiges Handeln gefragt. Deshalb begrüße ich es, dass die Regierung schnell einen Staatssekretärsausschuss eingesetzt hat und wir alsbald mit geeigneten Maßnahmen beginnen können, um vor allem den betroffenen Kommunen zu helfen. Wir dürfen diese Kommunen mit ihren Problemen nicht alleinlassen.
Auch wenn das jetzt vielleicht überraschen mag, möchte ich unserem CSU-Koalitionspartner in diesem Zusammenhang ein Kompliment machen.
Die Idee von Horst Seehofer, einem Minister aus seinem Kabinett die Zuständigkeit für die Heimat zu übertragen, musste ja viel Spott ertragen, aber ich finde sie überhaupt nicht abwegig.
Heimat ist die emotionale Verbindung der Menschen mit einer ihnen vertrauten Umgebung. Für ganz viele Menschen in der heutigen Welt ist Heimat alles andere als selbstverständlich. Ob sie aus Syrien fliehen, um ihr Leben zu retten, oder ob sie innerhalb Europas nach neuen Chancen suchen: Viele Menschen sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Deshalb muss es doch die Aufgabe der Politik sein, denen, die einen Neuanfang in Deutschland machen wollen, hier in Deutschland auch eine Heimat zu geben, in der sie sich wohlfühlen und von wo sie nicht gleich wieder weggehen wollen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ändern. Dazu können wir alle und kann dann auch ein Heimatminister beitragen.
Die Große Koalition hat im Deutschen Bundestag eine Mehrheit von 504 Abgeordneten. Natürlich werden wir unsere politischen Ziele mit dieser Mehrheit umsetzen. Diese große Mehrheit darf uns aber nicht zu Arroganz verleiten. Deshalb wollen wir die Arbeit des Parlamentes mit Augenmaß gestalten.
Ich bin mir sicher, dass wir uns über die Minderheiten- und Oppositionsrechte noch einigen werden. In den Vorschlägen, die der Bundestagspräsident gemacht hat, sehe ich eine gute Grundlage. Hinsichtlich der Redezeit bitte ich um Verständnis, dass auch die Abgeordneten der Koalition frei gewählte Abgeordnete sind und dass sie zu Wort kommen müssen und hier nicht zu Statisten degradiert werden können.
Die Kontrolle der Regierung ist zwar zuerst die Aufgabe der Opposition, aber nicht allein Aufgabe der Opposition, sondern des gesamten Parlamentes. Deshalb, liebe Britta Haßelmann und lieber Herr Gysi, werden wir die Kontrolle der Regierung nicht allein den Oppositionsfraktionen überlassen.
Wie wichtig diese Arbeit des Parlamentes ist, hat in der letzten Wahlperiode die fraktionsübergreifende Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses gezeigt. Der Ausschuss hat die eklatanten Versäumnisse der Sicherheitsbehörden aufgedeckt und eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um das gestörte Vertrauen in die Fähigkeit des Staates wiederherzustellen, allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion, in Deutschland Sicherheit und Schutz zu bieten.
Die Koalition hat sich darauf verständigt, all diese Empfehlungen umzusetzen. Daran können Sie sehen, wie wichtig eine fraktionsübergreifende Kontrolle der Regierung durch das Parlament ist. Wir bieten Ihnen deshalb auch an, beim NSA-Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten. Dass Millionen Bürger abgehört werden und dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört wird, ist eine Angelegenheit, die das ganze Parlament etwas angeht.
Die Regierungsbildung war nicht einfach. Wir haben hart gerungen und uns Zeit genommen auch, um die außergewöhnliche Beteiligung unserer Partei zu ermöglichen.
Jetzt erwarten die Menschen, dass unsere Vorhaben umgesetzt werden und wir Ergebnisse liefern.
Menschen, die nach langer Arbeit auf eine Rente in Würde hoffen, warten auf die Möglichkeit, nach 45 Berufsjahren in Rente zu gehen. Arbeitnehmer, die trotz Vollzeitjob nicht genug zum Leben verdienen, hoffen auf den Mindestlohn. Pflegebedürftige und ihre Pfleger erwarten, dass die Politik den Pflegenotstand beseitigt. Frauen, die im Beruf Nachteile erfahren, warten auf eine neue Gleichstellungspolitik. Unternehmen, die viel Energie zum Produzieren brauchen, erwarten eine neue Verlässlichkeit in der Energiepolitik.
Wir werden Antworten auf diese Erwartungen geben. Mit diesen Antworten werden wir Deutschland Stück für Stück ein bisschen besser und gerechter machen.
Das ist der Anspruch. Daran sollten wir in vier Jahren gemessen werden.
Vielen Dank.