Das Wetter war nicht mehr ganz so gut, die Stimmung dafür umso besser: An diesem Donnerstag haben sich die Geschäftsführenden Fraktionsvorstände der Koalitionsfraktionen in der Aula der Georg-August-Universität in Göttingen getroffen. Im Wahlkreis des SPD-Fraktionschefs Thomas Oppermann wollten die Spitzen der Fraktionen über das weitere politische Vorgehen im Allgemeinen und wichtige politische Vorhaben im Speziellen beraten. "Wir haben in dieser Großen Koalition noch viel vor", sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht vor Beginn der Beratungen.

Ein Schwerpunkt der Klausursitzung liege auf der Frage, wie Wachstum und Innovation in Deutschland auf hohem Niveau erhalten werden können, sagte Thomas Oppermann. Hierzu tauschten sich die Fraktionsvorstände unter anderem mit Stefan W. Hell, Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie, sowie mit Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft aus.

Kriminalität effektiv bekämpfen

Nach einer Begrüßung durch die Fraktionschefs Thomas Oppermann und Volker Kauder widmete sich die Runde zunächst dem drängenden Thema Kriminalitätsbekämpfung. Effektiv gegen Einbrüche vorzugehen, ist dabei das Hauptziel. Denn die Zahl der Einbrüche in Wohnungen und Häusern steigt seit Jahren dramatisch an. Und die Aufklärungsquoten liegen deutlich unter dem Niveau der allgemeinen Kriminalität. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern die Fraktionen nun eine bessere Ausstattung von Polizei und Justiz in Bund und Ländern.

Im Rahmen von Förderprogrammen der Kreditanstalt für Wiederaufbau sollen die Maßnahmen zum Schutz vor Einbruch und Diebstahl verstärkt werden. Wichtig ist der Koalition dabei, dass nicht nur Haus- und Wohnungseigentümer profitieren, sondern sich auch Mieter besser vor Einbrüchen in ihr Zuhause schützen können.
Zudem wollen die Fraktionen die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in Sicherheitstechnik und weitere Fördermöglichkeiten und Änderungen im Bundesrecht prüfen.

Bandenmäßige Einbrüche sind nicht selten der organisierten Kriminalität zuzuordnen, deren Drahtzieher immer häufiger im Ausland sitzen. Deshalb, so steht es im Papier, wird das Vereinsrecht in den Fällen, in denen ein Club lediglich Deckmantel für kriminelle Aktivitäten ist, verschärft, um etwa kriminellen Rockerclubs leichter die Privilegien des Vereinsrechts entziehen zu können. Zusätzlich soll es eine Beweislastumkehr bei Vermögen unklarer Herkunft geben, Lückenschließung bei der Strafbarkeit von Datenhehlerei und eine Reform des allgemeinen Strafverfahrens und Jugendgerichtsverfahrens.

Zuständig für das Papier sind die Fraktionsvizes Eva Högl (SPD) und Thomas Strobel von der Union.

Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung

Im Anschluss trugen die Fraktionsvizes Karl Lauterbach (SPD) und Georg Nüßlein (Union) zum Thema Palliativversorgung vor. Auch dazu liegt ein gemeinsames Beschlusspapier vor. Was bedeuten Selbstbestimmung und Wertschätzung auf der letzten Wegstrecke des Lebens? Und wie können diese ethischen Werte vom Gesetzgeber rechtlich verankert werden?

Ein Eckpunktepapier der Regierungskoalition vom November 2014 fordert die Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen zur Finanzierung von Hospizen, eine bessere Qualifikation der Leistungserbringer und eine verbesserte Versorgung schwerstkranker Kinder und Jugendlicher. In ihrem Papier bekräftigen die Spitzen der Koalitionsfraktionen nun ihre Überzeugung, dass „nicht die aktive Sterbehilfe die richtige Antwort auf die Sorgen und Nöte Schwerstkranker und Sterbender“ sei, sondern „eine umfängliche ärztliche, pflegerische und psychosoziale Begleitung bis zum Schluss“.

Auf Basis der Vorschläge im Eckpunktepapier von 2014 will die Große Koalition daher bis zum Sommer 2015 einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung vorlegen. Vor der entscheidenden Beratung im Bundestag nehmen sich die Abgeordneten regelmäßig die Zeit, mit Fachleuten und Bürgerinnen und Bürgern offen über die rechtlichen, ethischen und menschlichen Aspekte zu diskutieren.

Alleinerziehende stärker unterstützen

In Deutschland gibt es immer mehr Alleinerziehende. In rund 20 Prozent aller Familien leben inzwischen Mutter oder Vater allein mit ihren Kindern. Alleinerziehende leisten enorm viel, müssen dabei im Schnitt mit einem deutlich geringeren Haushaltseinkommen auskommen als Paarfamilien und sind überproportional von Armut betroffen.

Auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion haben die Koalitionsfraktionen auf der Vorstandsklausur beschlossen, den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 600 Euro auf 1908 Euro zu erhöhen.

Da Familien mit mehreren Kindern finanziell stärker belastet sind, soll der Entlastungsbetrag wie im Koalitionsvertrag vereinbart nach der Kinderzahl gestaffelt werden. Für jedes weitere Kind wird der Entlastungsbetrag um jeweils 240 Euro extra angehoben.

Die Umsetzung wird im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags erfolgen – mit Wirkung zum 1. Januar 2015.

Innovation antreiben, Technologietransfer beschleunigen

Ob demografischer Wandel, Globalisierung, Ressourcenknappheit oder technologischer Wandel: Die Koalitionsfraktionen stellen sich diesen vier großen Herausforderungen der Gegenwart.

In einem weiteren Beschlusspapier haben die Spitzen der Unions- und der SPD-Bundestagsfraktion ihre gemeinsamen Schwerpunkte in der Innovations- und Forschungspolitik festgeschrieben.

So haben sich die Koalitionspolitiker darauf verständigt, die Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung an Hochschulen über 2017 hinaus zu verlängern. Der Bund wird dafür bis 2028 jährlich 400 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Verknüpft wird das mit einer stärkeren Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Darüber hinaus wollen die Koalitionsfraktionen die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands weiter ausbauen durch Technologietransfer, insbesondere produktionsnahe Digitalisierung („Industrie 4.0“). Dafür soll die Bundesregierung in dieser Wahlperiode rund 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.

Außerdem soll die anwendungsorientierte Forschung an Hochschulen deutlich gestärkt und die Vernetzung des Mittelstandes gefördert werden, zum Beispiel durch beispielgebende Pilotprojekte innovativer KMU und die verstärkte Förderung des bewährten Förderprogramms „Zentrales Investitionsprogramm Mittelstand“ (ZIM).

Mit den Fraktionsführungen diskutierte zu diesem Komplex Heinz-Jakob Neußer, Mitglied des Markenvorstands Volkswagen für den Geschäftsbereich Entwicklung.

Wirtschaft begründet Wohlstand

Im letzten Beschluss, referiert von Hubertus Heil (SPD) und Michael Fuchs (Union), geht es vor allem darum, Wachstumskräfte zu stärken. Die gute Lage am Arbeitsmarkt und der Wohlstand des Landes sind zwar Erfolge der Arbeitnehmer, aber auch die Folge politischer Entscheidungen. Die Koalition will sich demzufolge weiter intensiv für mehr Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Beschäftigungsstandortes Europa einsetzen. Insbesondere die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist auf mehr freien und fairen Welthandel angewiesen.

Laut Beschluss nimmt sich die Koalition vor, die Wirtschaft von Bürokratie zu entlasten und die Infrastruktur deutlich stärker zu fördern und auszubauen. Eine Offensive für öffentliche Investitionen hat sie bereits gestartet und will nun zudem private Investitionen von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen anreizen. Beides sichert Lebensqualität und Wohlstand.

Die Investitionsbereitschaft von Unternehmen wird gefördert und dabei die von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) vorgestellte „Plattform Industrie 4.0“ in den Bereichen IT-Sicherheit, Standardisierung, Gründungsförderung, Infrastrukturen und „gute Arbeit 4.0“ unterstützt.

Es bedarf in Deutschland einer „Neuen Gründerzeit“. So wollen die Koalitionsfraktionen Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital international attraktiver machen und dafür in den nächsten Monaten ein entsprechendes Maßnahmenpaket auf den Weg bringen – als Hilfe vor allem für Start-ups.

Außerdem entlastet der Bund die Länder und Kommunen. So wird er zusätzlich zu der im Koalitionsvertrag vereinbarten Entlastung der Kommunen von insgesamt 3 Milliarden Euro bis 2017 und 5 Milliarden Euro jährlich ab 2018 die Investitionskraft der Kommunen mit weiteren 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2017 stärken und einen kommunalen Investitionsfonds von 3,5 Milliarden Euro für die Jahre 2015 bis 2018 schaffen. Der Fonds wird speziell für finanz-schwache Kommunen aufgelegt.

Um schließlich die Energiewende erfolgreich zu gestalten, will die Koalition in den kommenden Monaten zentrale Weichenstellungen in den folgenden Bereichen vornehmen: neues Strommarktdesign, Novelle des Kraft-Wärme-Kopplung-Gesetzes, Netzausbau und Modernisierung, Verbraucherpreise und die Entwicklung einer Gasversorgungsstrategie.