„Ganove“? „Für einen Lobbyisten okay“? Was beschreibt Lutz Goebel nur am besten? Vielleicht doch eher „Wirtschaftswundermann“? Thomas Oppermann hat drei Kärtchen zur Auswahl vor sich liegen, ebenso sein Gegenüber: Wie sieht der Unternehmer den SPD-Mann? Als „Standort-Veredler“? „Arbeitsplatz-Vernichter“? Oder reicht es nur zu „Für einen Genossen okay“? Die Stimmung zwischen Koalition und Wirtschaft, sie ist so schlecht wie lange nicht, aber die beiden sind bestens aufgelegt – zumindest zu Beginn des Gesprächs.
Thomas Oppermann: (lacht) Na, den „Ganoven“ lassen wir lieber liegen… Also würde ich sagen: „Für einen Lobbyisten okay“.
Lutz Goebel: Das Kompliment gebe ich gerne zurück, Herr Oppermann: „Für einen Genossen okay“.
WirtschaftsWoche: Wir halten fest: Loben wollen Sie sich nicht. Dabei hat die SPD gerade ihr neues „Wirtschaftsforum“ gefeiert. Sie hatten doch sicher eine Einladung, Herr Goebel?
Goebel: Nein, hatte ich nicht. Aber wir schicken künftig gerne einen Vertreter. Die Gründung des Forums ist ein richtiges und überfälliges Signal.
Oppermann: Ich bin mir sicher, Sie sind im Wirtschaftsforum herzlich willkommen! Das Forum zeigt: SPD und Wirtschaft gehören zusammen. Wir müssen nur mehr miteinander sprechen.
Herr Oppermann, Ihre freundlichen Worte in Ehren. Aber Herr Goebel wartet nur darauf, dass Sie sich dabei ins Wort fallen.
Oppermann: Warum? Wenn wir Sozialdemokraten über Wirtschaft reden, dann meinen wir damit vor allem gute Arbeit für Millionen von Menschen. Arbeit, die mehr ist als eine Erwerbsquelle. Und Menschen, die mehr sind als ein Kostenfaktor. Diese Arbeit gibt es in der sozialen Marktwirtschaft nur mit verantwortungsbewussten, risikobereiten Unternehmern.
Goebel: Die sind wir! Aber die zwei SPD-Damen im Bundeskabinett...
...Sie meinen Arbeitsministerin Nahles und Familienministerin Schwesig...
Goebel: ...die verbreiten nur Misstrauen gegen Unternehmer. Jeder gute Vorstoß der SPD, jede vernünftige Aussage von Wirtschaftsminister Gabriel wird von ihnen mit einer Schnapsidee konterkariert.
Oppermann: Unsinn! Andrea Nahles hat den Mindestlohn durchgesetzt und damit Geschichte geschrieben. Ebenso wie Manuela Schwesig arbeitet sie erfolgreich an der überfälligen Renovierung und Modernisierung unserer sozialen Marktwirtschaft. Die beiden sind Leistungsträgerinnen unserer Regierung.
Ist die Kritik aus den Reihen der Wirtschaft am Mindestlohn nicht in der Tat zu schrill ausgefallen, Herr Goebel?
Goebel: Damit das klar ist: Auch ich will keine Hungerlöhne von vier, fünf Euro – die waren nicht in Ordnung, die mussten verschwinden. Aber 8,50 Euro die Stunde, überall? Das wird Dienstleistungen verteuern und in einigen Regionen Arbeitsplätze kosten, so viel ist sicher. Und weniger Arbeit – was daran ist bitte sozialdemokratisch? Die SPD wollte die skandalöse Bezahlung von einigen wenigen Arbeitnehmern abschaffen, drangsaliert mit ihrer Überregulierung aber Millionen.
Oppermann: Sie übertreiben – und schüren Vorurteile. Die Dokumentationspflichten sind nicht neu und verhältnismäßiges Mittel zu einem wichtigen Zweck: Der Mindestlohn darf nicht unterlaufen werden.
Mindestlohn und Erbschaftssteuer
Verfolgen Sie, Herr Goebel, mit der Mindestlohn-Kritik nicht ohnehin eher das Ziel, die Reformen der Zeitarbeit und der Werkverträge milder ausfallen zu lassen?
Goebel: Diesen Zusammenhang stellen Sie her. In unserem rigiden Arbeitsrecht müssen flexible Optionen bestehen bleiben und nötigenfalls auch ausgebaut werden. Eine vernetzte, dezentrale Industrie 4.0 wird jedenfalls nicht mit weniger flexibler Arbeit funktionieren.
Oppermann: Hier bin ich bei Ihnen. Die Regierung muss Unternehmen beim Strukturwandel unterstützen. Aber es gibt eben auch einige Unternehmen, die mit Zeitarbeit und Werkverträgen Schindluder treiben. Das müssen wir unterbinden.
Einige Unternehmen, Herr Oppermann, richtig. Und doch erweckt die SPD oft den Eindruck, das Land insgesamt stehe kurz vor seiner endgültigen Prekarisierung.
Oppermann: Das stimmt überhaupt nicht. Deutschland geht es ökonomisch ausgesprochen gut. Das gefällt jedem Sozialdemokraten – insbesondere dann, wenn möglichst viele am Wohlstand teilhaben können. Und ich möchte schon darauf hinweisen, dass wir unsere wirtschaftliche Kraft vor allem einem Kanzler namens Gerhard Schröder zu verdanken haben...
Goebel: ...an dessen Tugenden Ihre Partei sich künftig bitte wieder häufiger erinnern könnte!
Zu einem anderen strittigen Thema, der Reform der Erbschaftsteuer, hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jüngst Eckpunkte vorgelegt. Wie finden Sie die?
Goebel: Diese Steuer geht an die Substanz und ist an sich schon fragwürdig: Erbschaften sind bereits versteuerte Vermögen, auf die der Staat ein zweites Mal zugreift.
Oppermann: Aber er greift doch nicht beim selben Steuerpflichtigen zu!
Goebel: Tut er, wenn er auch das bereits vorhandene Privatvermögen einbezieht, um die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen zu zahlen. Was vielen offenbar nicht ganz klar ist: Unternehmen werden wegen der extrem niedrigen Zinsen momentan viel zu hoch bewertet. Der Jahresertrag wird mit etwa 18 multipliziert, um den Wert zu erhalten, auf den dann die Steuer berechnet wird. Da müssten Erben eines Unternehmens ohne Verschonung über zehn Jahre hinweg 30 bis 40 Prozent ihres Gewinns ans Finanzamt überweisen, um die Erbschaftsteuer zu begleichen. Das ist mit Blick auf Investitionen und Arbeitsplätze kontraproduktiv – und im Übrigen wäre es auch nie und nimmer verfassungsfest.
Oppermann: Ich glaube nicht, dass die Erbschaftsteuer eine zu große Belastung darstellt. Wir reden über fünf Milliarden Euro bei rund 630 Milliarden an Steuereinnahmen insgesamt. Das ist kaum mehr als eine homöopathische Größe. Dennoch gilt auf einer viel grundsätzlicheren Ebene: Die Steuer ist ordnungspolitisch richtig. Jede Generation muss mindestens einen Teil ihres Wohlstands selbst erarbeiten. Eine reine Erbengesellschaft wäre das Ende unserer Leistungsgesellschaft.
Viele Unternehmer fürchten, dass im Erbfall Teile ihrer Betriebe verkauft werden müssten – etwa an Investoren.
Oppermann: Familienunternehmer vererben nicht nur Geld, sondern auch Tradition, Verantwortung, Arbeitsplätze. Diesen gesellschaftlichen Wert wollen und werden wir auch künftig privilegieren. Wir reden im Moment bei Familienunternehmen über eine Freigrenze von 20 Millionen pro Erbe. Erst danach soll eine Bedürfnisprüfung stattfinden. Das ist nun wahrlich zumutbar. Dadurch ist keiner gezwungen, einen Investor in die Firma zu holen. Wir werden darauf achten, dass es zu solchen Nebeneffekten nicht kommen wird.
Goebel: Wenn Herr Schäuble seine Pläne nicht ändert, wird es aber genau zu solchen Nebeneffekten kommen. Unsere Unternehmen sind eine deutsche Besonderheit. Kein anderes Land hat so viele mittlere und große Familienbetriebe. Wir wollen unsere Unternehmen an die kommende Generation weiterreichen. Aber das geht nur, wenn unsere Kinder dieses Erbe in Zukunft nicht wegen allzu hoher Steuerbelastung ablehnen.
Steuersenkungen und TTIP
Will die SPD uns nicht mal überraschen und Steuersenkungen in Aussicht stellen?
Oppermann: Die SPD ist nicht nur dafür, sondern auch bekannt dafür, die Einkommensteuern zu senken. Die größte Steuereform der letzten 30 Jahre kam von Rot-Grün. Aber jetzt muss zuerst investiert werden. Denn wir wollen der nächsten Generation keine marode Infrastruktur hinterlassen. Wenn sich danach weitere Spielräume ergeben sollten, sollten wir die Abschaffung der kalten Progression anpacken.
Goebel: Investieren und Lohnsteuern senken – das kann und muss in der gegenwärtig günstigen Lage gleichzeitig gehen. Wenn nicht jetzt – wann dann? Ich werde zornig, wenn ich Abrechnungen meiner Mitarbeiter sehe, die das Unglück haben, in Steuerklasse 1 eingruppiert zu sein.
Also, Herr Oppermann: Steuern runter noch vor der Wahl 2017?
Oppermann: Wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt, sind Steuersenkungen noch in dieser Wahlperiode nicht nur möglich, sondern auch richtig – Stichwort kalte Progression. Warten Sie’s ab. Die SPD kann noch überraschen!
Eine Überraschung wäre auch, wenn die SPD geschlossen hinter dem Freihandelsabkommen TTIP stünde. Wie steht es da bei Ihnen, Herr Oppermann?
Oppermann: Ich halte es für sehr wichtig, dass wir zu einer transatlantischen Freihandelszone kommen. Wenn wir diese Chance nicht nutzen, werden uns ganz andere die globalen Standards diktieren.
Goebel: Ich bin sehr beeindruckt, wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel für TTIP kämpft. Aber in Ihrer Partei, lieber Herr Oppermann, ist noch ziemlich viel Basisarbeit zu leisten, wenn ich mir die Befindlichkeiten einiger Genossen so anschaue. Vielleicht sollten auch wir Unternehmer dazu das Gespräch mit unseren Belegschaften suchen.
Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet im Land des Exportweltmeisters eine derart hysterische Debatte geführt wird?
Goebel: Da kommt vermutlich die alte „German Angst“ hoch. Und es macht sich wohl auch eine gewisse postkapitalistische Bequemlichkeit breit. Uns geht es, wenn man so will, zu gut. So gut, dass viele möchten, alles möge so bleiben, wie es ist – ohne daran zu denken, dass wir heute die Basis für morgen legen.
Oppermann: Wir erleben hier eine Mischung aus Globalisierungsangst und Antiamerikanismus, eine Stimmung, in der Vorurteile und falsche Gerüchte gedeihen. Aber berechtigte Sorgen nehmen wir ernst: Nichts, was wir an sozialen, kulturellen und öffentlichen Standards schätzen, darf durch TTIP infrage gestellt werden.
Herrn Goebel wäre der ideale Gastredner pro TTIP beim nächsten SPD-Konvent...
Oppermann: Herr Goebel hat heute so einiges gesagt, was er vor Sozialdemokraten gern ausdrücklich wiederholen darf. Ich hoffe, ich habe ihm damit jetzt nicht geschadet… (lacht)