Warum nehmen in Europa nur wenige Länder Flüchtlinge auf? Kann man die andern nicht dazu bringen, ebenfalls Flüchtlingen zu helfen?

Wir stehen in ganz Europa vor der drängenden Aufgabe, eine Flüchtlingspolitik zu gestalten, die unseren europäischen Werten auch wirklich gerecht wird. Im Kern heißt das: Menschen Schutz vor politischer Verfolgung und Krieg zu bieten und sie im wirklichen Sinne des Wortes human zu behandeln. Niemand ist bereit, alles aufzugeben, wenn er sich nicht in einer dramatischen Notlage befindet. Alle in Europa müssen dafür große Kraftanstrengungen leisten.

Auch Deutschland fordern die steigenden Flüchtlingszahlen viel ab. Deshalb bin ich froh, dass es in Deutschland so viele Menschen gibt, die helfen und sich für Flüchtlinge engagieren. Auch in anderen Ländern gibt es diese Solidarität. Dabei setzen wir uns mit Nachdruck für eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa ein. Es kann nicht sein, dass nur wenige EU-Länder die ganze Bürde auf sich nehmen. Wir müssen das auf viele Schultern verteilen. Das ist auch wichtig, um eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten. Wir brauchen eine europäische Antwort, die ein besseres Grenzmanagement, gemeinsame europäische Standards bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Schritte in Richtung einer einheitlichen europäischen Asylpolitik umfasst. Nur so kann es voran gehen. 

Was kann man tun, um den Menschen vor Ort zu helfen, dass sie gar nicht erst fliehen müssen? Was kann Europa tun?

Wir müssen die Ursachen angehen, die Menschen dazu bringen, unter großen Opfern und Risiken ihre Heimat zu verlassen. Das geht sinnvoll nur im europäischen Rahmen. Krieg, Hunger, Vertreibung, Unterdrückung, möglicherweise auch wirtschaftliche Ausweglosigkeit, als dies sind wichtige Faktoren, um die wir uns kümmern müssen. Daran arbeiten wir schon länger.

Ich habe deshalb mit meinem italienischen Kollegen im letzten November eine Initiative für ein verstärktes europäisches Engagement am Horn von Afrika gestartet. Wir müssen mit den Ländern entlang der ostafrikanischen Migrationsrouten zusammenarbeiten. Nur so können wir den Machenschaften der Schleuser ihr Handwerk legen und eine Verbesserung der Lage der Menschen vor Ort erreichen. Im November wollen wir Europäer uns deshalb auch mit afrikanischen Herkunfts- und Transitstaaten auf Malta treffen. Auch hier gilt: Europa tut bereits viel, aber das ist noch nicht genug.

Würde es wirklich nützen, weitere Länder zu sicheren Herkunftstaaten zu erklären?

Die Staaten der Region des Westlichen Balkan streben eine EU-Aufnahme an – und aus guten Gründen bestärken wir sie auf diesem Weg. Es wäre widersprüchlich, diese Staaten nun gleichzeitig als potenzielle Verfolgerstaaten zu behandeln. Es ist nur ehrlich und wichtig, den Menschen im Westlichen  Balkan zu sagen, dass der Weg über einen Asylantrag im Zweifelsfall nicht zu Arbeit und einem Leben nach Deutschland führt. Wir brauchen deshalb auch Wege, die legale Arbeitsaufenthalte möglich machen. Auch darum fordere ich ein Einwanderungsgesetz für Deutschland.

Das Interview führte Alexander Linden