Sie sind seit Dezember Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Als Parlamentarischer Geschäftführer haben Sie offensiv die politischen Gegner attackiert. Wie interpretieren Sie ihre neue Rolle?

Als Parlamentarischer Geschäftsführer in der Opposition habe ich die Regierung genau beobachtet, deutlich kritisiert und auch mal hart attackiert. Das war meine Aufgabe. Jetzt aber sind wir Regierungsfraktion. Wir wollen und können etwas bewegen, etwas verändern, damit es den Menschen besser geht. Es geht darum, die vielen guten Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Darin steckt viel sozialdemokratische Substanz. Allerdings dürfen wir über die Arbeit an den Gesetzen nicht vergessen, den Menschen unsere Politik zu erklären. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe der Fraktion und ihres Vorsitzenden.

Welche Rolle kommt der SPD-Fraktion insgesamt zu, abgesehen von der Bestätigung der Kabinettsbeschlüsse?

Die 193 Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion haben sich nicht zu einem Abnickverein zusammengeschlossen, ganz im Gegenteil. Ihr Engagement und ihre Kompetenz werden sie konsequent einbringen. Wir werden diskutieren und dann entscheiden. Das überlassen wir nicht allein der Regierung. Denn die Aufgabenverteilung ist klar geregelt: Am Ende sind es die Abgeordneten des Bundestages, die an jedes Gesetz den letzten Strich machen.

Wie zufrieden sind Sie mit den ersten Monaten nach der Regierungsübernahme?

Wir hatten einen guten Start, aber manches hätte auch besser laufen können. Atmosphärisch haben wir jetzt eine Strecke vor uns, die wir mit Hilfe guter Sacharbeit auch bewältigen können. Vertrauen gewinnen wir durch enge Zusammenarbeit. Politisch bin ich durchaus zufrieden. Immerhin haben wir einiges bereits auf den Weg gebracht, das uns wichtig ist: die bezahlbare Energiewende, ein gerechtes Rentenpaket, den Mindestlohn und einiges mehr.

Große Koalitionen haben die nötige Mehrheit, um auch größere Probleme anzupacken. Welche Projekte stehen in den nächsten vier Jahren im Vordergrund?

Da ist natürlich als erstes und größtes Projekt die Energiewende, weil von ihr in den nächsten Jahrzehnten unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit unser Wohlstand abhängt. Wir müssen die Energiewende schaffen, aber wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Sie muss für alle bezahlbar bleiben. Deswegen war es so wichtig, dass Sigmar Gabriel schnell gehandelt und ein sehr gutes Konzept vorgelegt hat. Im Kern geht es darum, die Erneuerbaren Energien auszubauen, ohne dass die Strompreise weiter ungebremst steigen wie bisher.

Was können speziell Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von dieser Regierung erwarten?

Gute Arbeit, faire Löhne, gerechte Rente - das ist kurz gesagt die Formel, unter die sich unser Programm für Arbeitnehmer zusammenfassen lässt. Noch im April wird Andrea Nahles einen Gesetzentwurf zum Mindestlohn vorlegen. Im gleichen Zug gehen wir gegen den Missbrauch bei den Werkverträgen vor und werden die Leiharbeit begrenzen. Alles in allem verbessern wir damit die Einkommens- und Arbeitssituation von sehr, sehr vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Bei der Rente sind wir sogar schon einen Schritt weiter. Das Rentenpaket von Andrea Nahles wird bis zum Sommer verabschiedet.

Die Debatte über den Mindestlohn gewinnt gerade wieder an Fahrt. Kritiker fürchten Jobverluste und Zunahme an Schwarzarbeit. Wie wirtschaftsfeindlich ist der Mindestlohn?

Der Mindestlohn wird für Millionen von Menschen die größte Gehaltserhöhung ihres Lebens. Er stärkt die Kaufkraft und wirkt wie ein gewaltiges Konjunkturprogramm. Natürlich funktionieren einige Geschäftsmodelle, die auf Lohndumping aufgebaut sind, dann nicht mehr. Insofern können auch besonders schlecht bezahlte Arbeitsplätze wegfallen. Aber durch die Steigerung der Kaufkraft und das dadurch entstehende Wachstum werden mindestens genauso viele Arbeitsplätze entstehen. Und vor allem beseitigen wir für Arbeitgeber, die faire Löhne zahlen, den Wettbewerbsnachteil gegenüber denen, die ihre Gewinne allein mit Dumpinglöhnen erreichen wollen.

Beim Thema Rente stehen vor allem die Kosten im Mittelpunkt der Diskussion. Wie generationengerecht ist das Rentenpaket?

Ich warne davor, aus dem Thema Rente einen Generationenkonflikt zu machen. Niemand wird einem Arbeitnehmer, der 45 Jahre hart gearbeitet hat und einfach nicht mehr kann, seine gerechte Rente streitig machen. Diejenigen, die Kinder groß gezogen oder die 45 Jahre Job hinter sich haben, haben unser Sozialsystem stabil gemacht. Das verdient Respekt, das verdient Anerkennung und das verdient auch eine höhere und gegebenenfalls frühere Rente als bisher.

Außerdem investieren wir gleichzeitig in Bildung, Forschung und Infrastruktur, um die wirtschaftliche Stärke Deutschlands in den kommenden Jahrzehnten zu erhalten. Davon profitieren besonders die Jungen.

Nur knapp 20 Prozent der Abgeordneten bilden die Opposition im neuen Bundestag. Braucht eine so kleine Opposition mehr Rechte?

Ja und die räumen wir auch ein. Der Bundestag braucht lebhafte Debatten, deswegen bekommen die Oppositionsfraktionen längere Redezeiten, als ihnen nach ihrem Wahlergebnis zustehen würde. Zudem passen wir in dieser Legislaturperiode die Minderheitenrechte an die Gegebenheiten an. So kann die Opposition Sondersitzungen durchsetzen, Untersuchungsausschusse einsetzen und Experten-Anhörungen verlangen, obwohl sie nicht die eigentlich erforderlichen 25 Prozent zusammenbringen. Und zu guter Letzt erhöhen wir auch noch den Oppositionszuschlag, damit die kleinen Fraktionen genug Geld haben, um den erforderlichen Arbeitsaufwand bezahlen zu können.

Damit kommt diese sehr kleine Opposition praktisch den Möglichkeiten einer normalen Opposition sehr nah.

Wie sieht es mit dem Einfluss der Bürger aus. Wann bekommen wir mehr direkte Demokratie auf Bundesebene?

Bei der direkten Demokratie haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen leider nicht mit CDU und CSU einigen können. Aber da bleiben wir dran. Gerade die SPD hat zuletzt bei ihrem Mitgliederentscheid sehr gute Erfahrungen gemacht. Da hat jeder, der mitgemacht hat, gesehen: Demokratie macht Spaß. Daran werden wir anknüpfen.