Passauer Neue Presse: Aufatmen nach dem Euro-Votum des Bundesverfassungsgerichts. Die Börsenkurse gehen nach oben, die europäischen Partner sind erleichtert – ist nach dem grünen Licht für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt etwa die Euro-Rettung garantiert?
Peer Steinbrück: Leider nein! Das ist noch eine lange Wegstrecke. Die Probleme in der Eurozone mit hochverschuldeten Staaten, einem Gefälle der Wettbewerbsfähigkeit und labilen Banken sind mit dieser einen Entscheidung ja nicht beseitigt. Wichtig ist heute vor allem eines: Eine andere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die die Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt be- oder sogar verhindert hätte, hätte ein riesiges Problem für uns und Europa ausgelöst. Insofern bin ich erleichtert.
Karlsruhe macht Auflagen: Die deutsche Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro beim ESM darf nur vom Bundestag aufgehoben werden. Können Sie sich vorstellen, dass die Abgeordneten mehr Geld bewilligen?
Im Ruhrgebiet gibt es den Spruch bei den Kumpels: Vor der Hacke ist’s duster. Wenn wir die Entwicklung seit Ausbruch der Griechenlandkrise Anfang 2010 betrachten, ist doch nur eins konstant: Jede Summe, die für Rettungsmaßnahmen genannt wurde, ist bald von einer anderen überholt worden. Niemand weiß, ob die Mauern inzwischen hoch genug sind. Kassandrarufe sind nicht angebracht, zweckoptimistische Prognosen aber auch nicht. Es ist nicht überraschend, dass die Karlsruher Richter eine Obergrenze definiert haben, die nur mit Einverständnis des Bundestages überschritten werden darf. Ob dies eines Tages notwendig sein wird, lässt sich jetzt nicht prognostizieren.
Hat die Kanzlerin in der Euro-Krise alles richtig gemacht?
Angela Merkel macht nicht alles falsch. Aber sie ist richtungslos. Sie schlägt eine Volte nach der anderen. Das verunsichert die Märkte, die Partner und auch die Bürger.
Die Europäische Zentralbank (EZB) will ganz ohne parlamentarische Kontrolle massiv Anleihen von Krisenstaaten aufkaufen. Lauert hier nicht die eigentliche Gefahr für die Stabilität der Währung?
Die Europäische Zentralbank ist durch das Versagen des politischen
Krisenmanagements endgültig zum einzigen handlungsfähigen Akteur gezwungen worden. Die Kanzlerin sieht das mitklammheimlicher Freude: Durch die Hilfsmaßnahmen der EZB bleibt es ihr erspart, im Bundestag um Mehrheiten für weitere Rettungspakete kämpfen zu müssen, die sie nicht hat. Vor wenigen Monaten haben CDU und CSU eine solche Entwicklung zur Staatsfinanzierung durch die EZB mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen. Heute ist es für sie akzeptabel – auch das ist eine der vielen Volten.
Wird die Zentralbank nicht zur Bad Bank Europas, wenn sie Anleihen aus Krisenländern unbegrenzt aufkauft?
Ich mache EZB-Präsident Mario Draghi und seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet keinen Vorwurf. Sie sind durch politische Unterlassung in diese Rolle gedrängt worden. Aber es gibt Punkte, die skeptisch machen: Die EZB entscheidet ohne jede demokratische Legitimation. Die Aufkäufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt führen zudem dazu, dass die Banken mit hohen Zinsmargen an den Staatsschulden verdienen. Mich stört auch, dass die Europäische Zentralbank selbst keine Konditionen für die Staatsanleihenkäufe definieren oder gar durchsetzen kann. Sie ist abhängig davon, dass dies andere europäische Institutionen tun. Das sind eklatante Schwächen beim Einsatz der EZB als Krisenfeuerwehr.
Welche Alternative würden Sie bevorzugen – etwa die gemeinsame Haftung im Euro-Raum per Eurobonds?
Ich weiß, dass das Thema Eurobonds verbrannt ist – auch wenn nie jemand von der SPD für bedingungslose Eurobonds zur Vergemeinschaftung von Schulden plädiert hat. Aber es ist erschreckend, dass CDU und CSU jede Debatte über Alternativen völlig tabuisiert und mit dem Kampfbegriff „Schuldenunion“ diskreditiert haben– mit dem Ergebnis, dass die EZB ohne demokratische Kontrolle eine Vergemeinschaftung von Schulden durch die Hintertür betreibt. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat einen Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen. Das wäre eine Alternative für eine begrenzte gemeinsame Haftung zum Abbau der Defizite. Wir haben es längst nicht mehr mit einer Abwägung zwischen guten und schlechten Lösungen zu tun, sondern können nur noch zwischen schlechten und weniger schlechten abwägen.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat jetzt seine Pläne für eine europäische Bankenaufsicht über alle 6000 Banken vorgeschlagen. Ist das ein Weg, um Pleite-Risiken zu minimieren, für die wieder der Steuerzahler aufkommen müsste?
Prinzipiell weist eine europäische Bankenaufsicht in die richtige Richtung. Sie sollte auch bei der EZB angesiedelt werden. Bei genauer Betrachtung der Barroso-Pläne wird das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Eine europäische Bankenaufsicht mit Durchgriffsrecht ist nur für große, grenzüberschreitende und systemrelevante Banken in Europa angezeigt. Für diese Banken wurden bisher Stresstests durchgeführt. Ich will aber keine europäische Aufsicht für die Volksbank Olpe oder die Sparkasse Herne.
Muss die Bankenaufsicht nachgebessert werden?
Die Pläne sind mit heißer Nadel gestrickt. Ich möchte erfahren, wie die EZB ihre Funktionen als klassische Zentralbank und als Bankenaufsicht trennen will. Dazu äußert sich die EU-Kommission nicht. Die vagen Äußerungen erwecken den Verdacht, dass hier einfach sehr schnell der Auftrag abgewickelt werden sollte, eine Bankenaufsicht zu entwerfen, um dann sagen zu können: Mit der Bankenaufsicht sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass aus dem ESM Geld direkt an Banken fließen kann. Insgesamt müssen die Finanzmärkte noch deutlich stärker reguliert werden. Ich werde dazu in zwei Wochen Vorschläge vorlegen.