Die Große Koalition hat fast einhundert Tage geschafft. Ihre persönliche Bilanz nach dieser Einarbeitungszeit?

Christine Lambrecht: Ich bin froh, dass jetzt wesentliche Sachfragen wie der Rente nach 45 Beitragsjahren, der Energiewende und dem Mindestlohn in die parlamentarische Beratung kommen. Diese Gesetzesvorhaben wollen wir schnellstmöglich umsetzten. So wird die sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag Realität.

Innenpolitisch hakt es in der Großen Koalition an vielen Punkten: Beim Mindestlohn gab es bis zuletzt Streit, auch bei der Rente mit 63. Woran liegt das?

Ich empfehle uns den Koalitionsvertrag als Grundlage zu nehmen und ihn abzuarbeiten. Es gibt an der ein oder anderen Stelle noch unterschiedliche Auffassungen, was einzelne Details betrifft. Bei der Rente zum Beispiel geht es ja immerhin um Festlegungen, die auch kommende Generationen betreffen. Um die besten Lösungen sollten wir ringen, aber am Ende müssen klare Entscheidungen getroffen werden, hinter denen die Koalition dann gemeinsam steht.

Wie wichtig ist die Einigung beim Mindestlohn für die SPD?

Der Mindestlohn ist einer der wichtigsten Gründe für uns gewesen mitzuregieren. Für Millionen Menschen wird sich die Lebenssituation verbessern. Das ist für uns eine Herzenssache.

Die CSU hätte gerne noch Ausnahmen für verschiedene Branchen wie Saisonarbeiter erreicht. Ist sie damit durchgekommen?

Wir wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und keinen löchrigen Käse. Ausnahmen gibt es nur da, wo es sich um kein Arbeitsverhältnis handelt, also bei der Ausbildung, bei Schülerpraktika und bei Ehrenamtlichen. Und wir nehmen die jungen Menschen unter 18 Jahren aus, weil wir sie bewegen wollen, eine Ausbildung anzutreten und nicht einen Job anzunehmen.

Wer eine Ausbildung erst mit 19, 21 oder 25 aufnimmt, bekommt der den Mindestlohn?

Nein, den Mindestlohn gibt es nur für das klassische Arbeitsverhältnis, aber nicht für die Ausbildung.

Gibt es bei der Rente mit 63 schon eine Annäherung? In CDU und CSU befürchten einige eine Frühverrentungswelle.

Bei der Rente mit 63 geht es darum, Menschen einen Weg zur abschlagsfreien Rente zu eröffnen, die 45 Beitragsjahre aufzuweisen haben. In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff Frühverrentung ausgesprochen zynisch. Im Übrigen sind bei dieser Frage in erster Linie die Arbeitgeber gefordert.

Strittig ist aber noch wie viele Jahre der Kurzzeitarbeitslosigkeit angerechnet werden dürfen.

Die große Mehrheit der Menschen, die für die Rente mit 63 in Frage kommen, haben weniger als zwei Jahre Arbeitslosigkeit in ihrem Lebenslauf. Wir sollten hier keine Dinge künstlich aufbauschen.

Es gibt auch Streit um die Höhe der Entlastung für die Kommunen. Die Städte und Gemeinden hoffen bereits in dieser Wahlperiode auf 5 Milliarden Euro jährlich.

In diesem Jahr bekommen die Kommunen den restlichen Beitrag für die Kosten der Unterkunft, das sind 1,1 Milliarden Euro. Für 2015 und 2016 sind jeweils eine Milliarde Euro vorgesehen, im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz, das Andrea Nahles auf den Weg bringt. Wir in der SPD machen uns dafür stark, dass es 2016 verabschiedet wird. Unser Ziel ist es, schon 2017 zu einer höheren Entlastung für die Kommunen zu kommen.

Zur Weltpolitik: Russland hat die Halbinsel Krim annektiert. Was ist jetzt zu tun?

Erst einmal müssen wir glasklar feststellen. dass es sich hier um einen Bruch des Völkerrechts handelt, da gibt es nichts zu akzeptieren oder zu beschönigen. Wir wollen jedoch weiter versuchen auf De-eskalation zu setzen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier arbeitet daran, eine unabhängige Beobachtermission für die Ukraine auf den Weg zu bringen. Und wir müssen uns weiter darum bemühen, Russland und die Ukraine gemeinsam an den Verhandlungstisch zu bekommen.

Der Konflikt um die Ukraine hat das Verhältnis der SPD zur Linkspartei belastet. Wird es jetzt 2017 nichts mehr mit Rot-Rot-Grün?

In der Außenpolitik gab es schon immer große Differenzen. So lehnt die Linkspartei jegliche Auslandseinsätze ab, auch wenn sie durch ein UN-Mandat legitimiert sind. Es ist wichtig, dass diese Unterschiede deutlich werden. Aber vorrangig sind wir jetzt damit beschäftigt bis 2017 erfolgreiche Arbeit in der Großen Koalition zu leisten. Es geht darum, die Lage der Menschen zu verbessern. alle Kräfte in der Partei sind aufgefordert, sich darauf zu konzentrieren.

Durch den Konflikt um die Ukraine ist der Bürgerkrieg in Syrien aus dem Blickfeld geraten. Gibt es da noch Hoffnung?

Ich rede über diesen Konflikt sehr viel. Erst kürzlich war ich in einem syrischen Flüchtlingscamp in Jordanien. Ich bin Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks und das THW ist in dem Camp für die Wasserversorgung zuständig. Dort leben 130.000 Flüchtlinge aus Syrien unter ganz schwierigen Bedingungen auf engstem Raum. Auch in Syrien selbst ist die Lage nicht mehr hinnehmbar und gekennzeichnet von Angst, Flucht Gewalt. Der Konflikt muss dringend wieder auf den Radar Öffentlichkeit. Das Ausmaß des Elends und der Brutalität ist erschreckend. Das ist übrigens ein Konflikt, den wir ohne Russland wohl nicht lösen werden.

Das Interview führte Alexandra Jacobsen