BILD am SONNTAG: Herr Oppermann, Herr Diaby, die SPD will ein Einwanderungsgesetz. Braucht Deutschland nach einer Million Flüchtlingen wirklich noch mehr Zuwanderung?
THOMAS OPPERMANN: Vor allem endlich gut gesteuerte Zuwanderung! Der demografische Wandel ist Fakt: Wir werden immer älter und wir werden weniger. Trotzdem müssen wir die Rente sichern. Und die Betriebe brauchen Nachwuchs. Viele Länder wie Kanada und Australien wählen längst unter den klügsten Köpfen weltweit aus – wir nicht.
Ihr Einwanderungsgesetz berücksichtigt die Flüchtlingszahlen nicht?
OPPERMANN: Die Frage der Flüchtlinge muss man davon trennen. Flüchtlinge kommen, weil sie vor Krieg und Verfolgung fliehen. Dafür ist und bleibt das Asylrecht da. Viele Menschen suchen aber keinen Schutz, sondern Arbeit und ein besseres Leben. Das ist menschlich verständlich, jedoch kein Asylgrund. Darum müssen wir legale Einwanderungsmöglichkeiten endlich klar und transparent gestalten. Und zwar so, dass wir definieren, wer nach Deutschland kommen kann. Wir wollen Einwanderung regeln und steuern!
Wie viele Fachkräfte braucht Deutschland denn pro Jahr?
KARAMBA DIABY: Ohne Einwanderung würde unsere Bevölkerung wegen des demografischen Wandels bis 2050 von 82 auf weniger als 60 Millionen Einwohner schrumpfen. Schon in den nächsten zehn Jahren verlieren wir sechs Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter.
Sie wollen sechs Millionen Zuwanderer in den nächsten zehn Jahren?
DIABY: Nein. Wir können fehlende Arbeitskräfte nicht alle durch Einwanderer ersetzen. Vorrangig müssen wir auch Menschen, die schon hier Leben, verstärkt für den Arbeitsmarkt mobilisieren und qualifizieren, zum Beispiel Jugendliche ohne Schulabschluss und Langzeitarbeitslose.
Für wen gilt das Einwanderungsgesetz?
DIABY: Für alle Länder außerhalb der EU. Europäer können wegen der Freizügigkeit ohnehin in Deutschland arbeiten. Aber das wird auch zusammen mit den inländischen Potenzialen nicht reichen. Indien verfügt über exzellente IT-Experten, Ägypten oder Iran haben viele gut ausgebildete Ingenieure. Für den Pflegebereich haben die Philippinen und andere asiatische Länder ein großes Potenzial.
Wie soll das Gesetz genau funktionieren?
OPPERMANN: Kernelement des Gesetzes ist ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Wir haben es weiterentwickelt und auf unser Land zugeschnitten.
DIABY: Ein Freund von mir ist ein gutes Beispiel. Ousmane ist Ingenieur, 25 Jahre alt und lebt im Senegal. Er würde gerne in Deutschland arbeiten. Gäbe es schon unser Einwanderungsgesetz, könnte sich Ousmane jetzt auf einem Internetportal des Arbeitsministeriums bewerben. Dort werden Kriterien abgefragt wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse. Dafür werden Punkte verteilt, besonders viele gibt es, wenn Ousmane ein Jobangebot vorliegen hat. Maximal können 100 Punkte erreicht werden, die Mindestpunktzahl, die man für Einwanderung erreichen muss, liegt bei 65. Wer das schafft, kommt in eine Rankingliste.
OPPERMANN: Wie viele von der Liste jedes Jahr nach Deutschland kommen dürfen, beschließt der Bundestag. Im ersten Jahr sollen darüber 25 000 Einwanderer kommen. Die Zahl soll dann jedes Jahr neu festgelegt werden und sich nach dem Bedarf des deutschen Arbeitsmarktes richten: Kommen etwa viele aus der EU, ist die Quote niedrig. Fehlen Fachkräfte, kann sie höher liegen.
Diaby: "Das Recht auf Asyl soll vom Einwanderungsgesetz getrennt sein"
Darf jemand, der bereits in Deutschland als Flüchtling eingereist ist, in das Punktesystem wechseln?
DIABY: Nein. Das Recht auf Asyl soll vom Einwanderungsgesetz getrennt sein, damit wir nicht falsche Anreize setzen.
OPPERMANN: Wir müssen gleichzeitig die Fluchtursachen bekämpfen, die EU-Außengrenzen sichern, kriminelle Schlepper bekämpfen und Flüchtlinge in verabredeten Kontingenten aufnehmen. Nur dann behalten wir die Kontrolle über die Einwanderung.
Dürfen die Einwanderer für immer bleiben?
DIABY: Wer ein Jobangebot hat, bekommt erstmal ein Visum für drei Jahre. Läuft alles, wird es danach entfristet. Wer ohne Job kommt, aber hochqualifiziert ist, bekommt ein Visum für ein Jahr. Findet er in der Zeit keinen Job, muss er wieder gehen.
Dürfen die Familien der Bewerber mitkommen?
OPPERMANN: Wer genug verdient, dass die Familie davon leben kann, darf auch Ehepartner und Kinder mitbringen. Aber nur dann. Wir wollen keine Einwanderung in das Sozialsystem. Deshalb sind die Einwanderer auch in den ersten fünf Jahren von Sozialleistungen ausgeschlossen, es sei denn sie haben ausreichend Beiträge geleistet.
Oppermann: "Gerade in die Qualifizierung von jungen Arbeitslosen müssen wir massiv investieren"
Wie wollen Sie verhindern, dass mit Einwanderern Lohndumping betrieben wird?
DIABY: Das darf es nicht geben. Die Arbeitsagentur wird, bevor der Einwanderer kommt, prüfen, ob es sich um eine tariflich oder vergleichbar bezahlte Tätigkeit handelt.
Ist es für die Wirtschaft nicht billiger, Fachkräfte aus dem Ausland zu holen statt hier lebende junge Menschen selbst auszubilden?
OPPERMANN: Natürlich müssen wir gleichzeitig das inländische Potenzial ausschöpfen: Kein junger Mensch darf mehr ohne Schulabschluss und Berufsausbildung bleiben. Da ist die Wirtschaft genauso gefragt wie die Politik. Gerade in die Qualifizierung von jungen Arbeitslosen müssen wir massiv investieren.
Man kann auch einen Job haben und trotzdem in einer Parallelgesellschaft leben.
DIABY: Der Staat kann Integration nicht anordnen. Es liegt aber nahe, dass jemand, der diesen anspruchsvollen Einwanderungsprozess bestanden hat, sich auch integrieren will. Schließlich geht es hier nicht um Problemfälle, sondern um die besten Köpfe der Welt.
OPPERMANN: Und wir haben klare Erwartungen an die Einwanderer. Wer hier leben will, muss Deutsch lernen und unsere Werte und die Spielregeln des Grundgesetzes akzeptieren.
Was lösen Bilder und Berichte von Pegida aus?
DIABY: Wenn ich als Ingenieur in Dakar sitze und die Bilder von grölenden Rassisten aus Bautzen sehe, dann schreckt mich das ab, mich für Deutschland zu bewerben.
OPPERMANN: Pegida und fremdenfeindliche Ausschreitungen schaden Deutschland massiv – nicht nur im Ansehen, auch ökonomisch. Ein Arbeitgeber aus Dresden oder Bautzen hat es in dieser Zeit schwer, einen Einwanderer nach Sachsen zu locken. Es muss ein Umdenken stattfinden: Deutschland braucht Fachkräfte aus aller Welt.
Herr Diaby, erleben Sie Rassismus in Deutschland?
DIABY: Rassismus und Diskriminierung sind für mich keine Theorie, ich kenne sie aus meinem Alltag. Ich bekomme Hassbotschaften und werde als „dreckiger Neger“ beschimpft. Es ist mir auch schon passiert, dass mich eine Taxifahrerin nicht mitnehmen wollte. Neulich setzten sich in der Bahn drei Jugendliche zu mir, schimpften laut über Asylbewerber, guckten mich demonstrativ an. In dem Moment war ich sprachlos. Aber wir alle dürfen bei so etwas nicht schweigen. Unser Land ist viel zu wichtig, um es diesen rechten Hetzern zu überlassen.
Diaby: "Viele sind verunsichert, weil sie schwarze Menschen nicht kennen"
Wo fängt Rassismus an?
DIABY: Viele sind verunsichert, weil sie schwarze Menschen nicht kennen. Ich rate uns allen: Entspannt sein und auf sein eigenes Gefühl hören. Man merkt doch, wenn es darum geht, die Würde des anderen anzugreifen. Sie können mich als Schwarzen bezeichnen. Das bin ich, genauso wie ich Hallenser, Brillenträger, Familienvater und Kleingartenfreund bin. Rassistisch wird es, wenn Sie mich auf meine Hautfarbe reduzieren wollen.
Ist das Wort Neger für Sie eine Beleidigung?
DIABY: Das Wort ist eine Beleidigung. Schwarze Menschen wurden und werden durch diesen Begriff zu minderwertigen Menschen erklärt. Anders sieht es aus mit dem Wort Schwarzer: Ein SPD-Kollege hat mal über mich getwittert: Der erste Schwarze, den man wählen kann. Er wurde dafür sofort als Rassist beschimpft. Das nervt mich. Es war doch klar, dass er mich nicht herabwürdigen wollte. Es war ein Wortspiel mit meiner Hautfarbe und der Parteifarbe der Union, die ja auch schwarz ist. So viel Humor müssen wir uns doch erlauben.
Wann soll Ihr Einwanderungsgesetz in Kraft treten?
OPPERMANN: Unser Gesetzentwurf soll ab der kommenden Woche breit diskutiert werden. Vorschläge, die ihn noch besser machen, sind willkommen. Klar ist aber: Wir wollen das Gesetz mit unseren Koalitionspartnern CDU und CSU noch vor der Bundestagswahl 2017 verabschieden.
Die CSU will die Religionszugehörigkeit zu einem Einwanderungskriterium machen und Christen vor Muslimen bevorzugen.
OPPERMANN: Das macht die SPD nicht mit. Und ich bin sicher, auch die katholische und die evangelische Kirche würden massive Einwände erheben. Das Grundgesetz schützt die Religionsfreiheit und verbietet es, Menschen wegen ihres Glaubens zu benachteiligen oder zu bevorzugen.
Herr Diaby, gibt es etwas, dass Sie an Deutschland ändern würden?
DIABY: Dem Essen fehlen oft die Gewürze. Da vermisse ich die afrikanischen Aromen. Was aber super ist: Eisbein und Sauerkraut!