Lars Klingbeil redet im Bundestag zur Aufhebung der Netzsperren

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Ministerin, das war ja ein deutlicher Beifall. Ich denke, dass wir heute hier im Parlament keine Debatte des Fingerzeigs führen sollten, sondern dass wir als Parlament selbst noch einmal reflektieren sollten, was wir die letzten zwei Jahre diskutiert haben.

 

 

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Es war ein weiter Weg bis zum heutigen Tag, ein weiter Weg, bis wir heute hier im Parlament die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes beschließen werden.
In den letzten zwei Jahren haben wir eine intensive Debatte geführt. Dies war eine kontroverse Diskussion, die wir häufig sehr emotional geführt haben. Dass heute Einigkeit unter uns besteht, dass Netzsperren der falsche Weg sind, wenn es darum geht, Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen, ist ein Erfolg. Diese Debatte – das will ich gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit sagen – ist aber vor allem von außerhalb des Parlaments angestoßen worden, durch eine große Onlinepetition mit knapp 140 000 Unterzeichnern. Stellvertretend will ich Franziska Heine nennen, die damals diese Petition auf den Weg gebracht hat, und ich will gleich zu Beginn den vielen Unterstützern dieser Onlinepetition Dank sagen, die uns als Parlamentarier sachlich und fachlich am Ende überzeugt haben. Von diesem Engagement brauchen wir mehr in Deutschland.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns hier im Parlament darüber einig, dass der sexuelle Missbrauch und die sexuelle Gewalt an Kindern zu den schlimmsten Verbrechen gehören, die es gibt. Wir sind uns einig darüber, dass es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung für solche Verbrechen, dass es keine Duldung solcher Verbrechen geben darf. Wir als Parlamentarier sind gefordert, nach den besten Wegen zu suchen, wie wir mit diesen Verbrechen umgehen können und wie wir sie wirksam bekämpfen können. Das ist auch genau das, worüber wir in den letzten zwei Jahren gestritten haben. Wir haben darüber gestritten, was die besten Wege sind, um mit diesen furchtbaren Taten umzugehen. Ich sage: Mit der heutigen Entscheidung darf dieser Weg nicht aufhören. Diese Frage muss uns weiter beschäftigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ursula von der Leyen war es, die als Ministerin in der Großen Koalition die Netzsperren durchgesetzt hat. Sie hat das mit Unterstützung meiner Partei getan. Ich will hier wie auch an anderen Stellen deutlich sagen: Ich bin dankbar, dass meine Partei erkannt hat, dass es ein Fehler war, auf die Netzsperren zu setzen. Wir haben schon vor über einem Jahr einen Aufhebungsantrag für das Zugangserschwerungsgesetz in das Parlament eingebracht.

Ich weiß, dass es nicht an der FDP lag, dass es so lange gedauert hat, und ich bin froh darüber, dass nun die schwarz-gelbe Koalition, die Regierung, ein Gesetz vorlegt, dem wir alle zustimmen können und das dafür sorgt, dass Netzsperren hier in Deutschland nicht stattfinden werden.

Wir haben als Gegner der Netzsperren immer betont, dass sie vor allem eines sind: Sie sind eine Symbolpolitik.

Ein Stoppschild gegen Kinderpornografie im Internet, das klingt gut, das lässt sich gut vermarkten. Es hat aber zwei Jahre, in denen wir argumentiert haben, gedauert, um zu zeigen, dass dies der falsche Weg ist, und es hat zwei Jahre gedauert, bis wir eine Mehrheit dafür hatten, zu zeigen, dass Netzsperren eben keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet leisten können, dass sie wenig effektiv sind, dass sie ungenau sind, dass sie sogar kontraproduktiv sein können, weil sie technisch leicht zu umgehen sind, und dass nebenbei – die Ministerin hat es angesprochen – eine Infrastruktur aufgebaut wird, die sogar verfassungsrechtlich sehr bedenklich ist.

Als Gegner der Netzsperren haben wir auch immer deutlich gemacht, dass es Alternativen gibt. Wir haben immer betont, dass wir einfordern, dass kinderpornografisches Material im Internet gelöscht wird. „Löschen statt Sperren“ war die Aussage, mit der viele Menschen vor zwei Jahren angetreten und in die Debatte eingestiegen sind. Heute sehen wir, dass es der richtige Weg war, nicht auf symbolische Stoppschilder zu setzen, und dass es richtig war, einzufordern, dass das Material von den Servern gelöscht wird. Zahlreiche Anhörungen im Rechtsausschuss, im Unterausschuss „Neue Medien“, in den Fraktionen, aber auch viele andere Gremien haben immer wieder bestätigt: Dieser Weg ist richtig.

Es gab aber Argumente, die immer wieder angeführt wurden. Es gab zum Beispiel das Argument, man könne das Material nicht löschen, weil sich die Server in Staaten befänden, die weit weg von hier seien und mit denen wir keine Kooperation hätten. Auch dieses Argument konnten wir in den zwei Jahren dieser Debatte widerlegen. Wir sehen: Die Mehrzahl der Server steht in den USA, in Russland und in Westeuropa, auch in Deutschland. Da ist es doch für niemanden verständlich, dass es hier keine internationale Kooperation der Strafermittlungsbehörden gibt. Genau hier haben wir in den letzten zwei Jahren Druck gemacht. Wir haben darauf gedrungen, dass die Meldeverfahren effizienter und die Löschbemühungen international besser werden. Eco, der Verband der deutschen Internetwirtschaft, sagt heute, dass innerhalb kürzester Zeit 90 Prozent der Seiten gelöscht werden können. Das ist auch ein Verdienst von Parlamentariern, die immer wieder Druck gemacht haben, dass der Weg des Löschens gegangen wird.

Auch wenn wir bei über 90 Prozent sind, kann uns das nicht reichen. Wir müssen weiter Druck machen. Wir müssen die Löschbemühungen weiter steigern. Ich will hier etwas Wasser in den Wein gießen; denn ich hätte mir schon gewünscht, dass die vereinbarte Evaluierung der Löschbemühungen von der Bundesregierung durchgeführt worden wäre und dass sie uns Hinweise gegeben hätte, was man hätte besser machen können, gerade da wir gemeinsam feststellen, dass unser Weg noch nicht zu Ende ist und wir noch besser werden müssen, was das Löschen angeht.

Wir haben in den zwei Jahren einer kontrovers geführten Diskussion viel Zeit verloren. Dabei gibt es viele Instrumente, die auf der Hand liegen, aber die wir in den letzten zwei Jahren nicht genutzt haben. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass wir das Löschen verbessern und dass wir die internationale Kooperation ausbauen, wenn es darum geht, unsere Behörden auch mit ausreichendem Material, technischem Know-how und mehr Personal auszustatten, und wenn es etwa um Schwerpunktstaatsanwaltschaften geht, dann haben wir zwei Jahre in der Debatte verloren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt, wie wir den Ursprung des Ganzen, den Missbrauch von Kindern, bekämpfen können. Ich fordere die Regierung auf, aktiver zu werden. Unsere Unterstützung, die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion, werden Sie dabei haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Am Ende will ich etwas zur generellen Diskussion sagen. Ich habe schon zu Beginn gesagt, dass es eine emotionale Diskussion war. Ich empfinde keine Genugtuung am heutigen Tag, aber ich will doch sagen: Vor zwei Jahren musste ich mir als Gegner von Netzsperren so manche Argumentation anhören, die lautete: Wenn du nicht für Netzsperren bist, dann unterstützt du Kinderpornografie. Dann willst du nichts gegen Kinderpornografie machen. – Ich will all denen hier im Parlament, aber auch außerhalb des Parlaments danken, die immer wieder dagegen argumentiert haben. Am Ende haben wir recht behalten. Mit der heutigen Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes bekommen wir recht. Wir sollten keine Genugtuung empfinden, aber wir sollten uns als Parlament fragen, wie wir so manche Debatte in den letzten zwei Jahren geführt haben und ob so mancher Populismus angebracht war. Wir werden weitere Diskussionen in den nächsten Monaten haben, etwa wenn es um die Vorratsdatenspeicherung geht. Einige kennen meine Position dazu. Ich warne aber auch hier: Wer gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, ist nicht gegen eine effiziente Strafverfolgung. Lassen Sie uns in uns gehen und uns fragen, ob wir nicht gerade netzpolitische Debatten auf einem seriöseren und sachlicheren Niveau führen können.

Ich glaube, die Diskussion über Netzsperren hat uns hier im Parlament vorangebracht. Das ist so etwas wie der Startschuss zu einer digitalen Diskussion, die wir hier im Bundestag begonnen haben. Viele weitere Diskussionen werden folgen. Netzpolitik bedeutet nicht, Twitter und Facebook zu benutzen, sondern die Umbrüche einer digitalen Gesellschaft zu begreifen. Wenn die Diskussion über Netzsperren in den letzten zwei Jahren dazu beigetragen hat, dass wir in den kommenden Jahren seriöser diskutieren und andere Argumente ernst nehmen, dann hat diese ganze Diskussion eine erfolgreiche Seite gehabt.

Ich freue mich, dass wir heute einstimmig das Zugangserschwerungsgesetzaufheben, und danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)