Herr Steinmeier, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA Raketen gegen Syrien abfeuern?
Frank-Walter Steinmeier: Das ist zu befürchten. Der amerikanische Präsident bemüht sich ja nun intensiv, den öffentlichen und parlamentarischen Widerstand in den USA zu überwinden und einen Militärschlag gegen Syrien auszuführen. Ich befürchte jedoch, ein solcher Schlag wird das Assad-Regime weder beseitigen noch schwächen können, sondern leider die Spaltung der internationalen Gemeinschaft in der Syrien-Frage noch weiter zementieren und die Lage in der hochexplosiven Region weiter verschärfen.
Hätte der G 20-Gipfel in St. Petersburg eine politische Lösung bringen können?
Steinmeier: Es ist tragisch, dass dieser Gipfel scheiterte. Dort und nur dort war die realistische Möglichkeit gegeben, dass die USA und Russland Gespräche über eine neue Syrien-Politik führen, die notwendig ist. Assads größte Sorge sind nicht Bomben auf Damaskus, wirklich fürchten müsste er ein gemeinsames Vorgehen von Washington und Moskau in der Syrienfrage.
Sind Militärschläge das Ende jedweder Diplomatie im Fall Syrien?
Steinmeier: Helmut Schmidt hat vor wenigen Tagen bei einer Veranstaltung in Brandenburg gesagt, wenn ich als Politiker nicht weiß, was ich in einer Region will, dann darf ich keine Soldaten dorthin schicken. Ich denke, die Möglichkeiten zu einer politischen Lösung des Syrien-Konflikts, der ja viele unterschiedliche Akteure und Interessen hat, sind noch nicht ausgeschöpft. Israel ist betroffen, der Iran ist beteiligt, die Türkei ebenfalls. All dies ist bei der Suche nach einer politischen Lösung zu beachten.
War es richtig, dass die Bundesregierung die G20-Entschließung doch noch unterschrieben hat?
Steinmeier: Die Defizite der deutschen Außenpolitik werden nicht nur im unwürdigen Hin und Her um die Unterzeichnung der Entschließung deutlich. Viel tragischer ist der Verlust der internationalen Rolle Deutschlands. Ein Pfund der deutschen Außenpolitik waren immer die guten Kontakte zu Washington und Moskau. Berlin hat da oft zwischen Amerikanern und Russen vermitteln können. Doch nun haben wir in Washington an Gewicht verloren und die aktuelle Bundesregierung hat die guten Kontakte nach Moskau gekappt.
Themenwechsel. Kann ein Kanzlerkandidat mit einer Putzfrauenaffäre am Hals noch Wahlkampf für die SPD machen?
Steinmeier: Welche Putzfrauenaffäre? Ich sehe nur den widerlichen Versuch, mittels Erpressung den SPD-Kanzlerkandidaten in Bedrängnis zu bringen. Ich kann Peer Steinbrück nur raten, seinen Weg, den er seit dem erfolgreichen Fernseh-Duell geht, unbeirrt fortzusetzen. Eine klare Mehrheit von 17 Millionen Fernsehzuschauern hat einen eindeutigen Sieger des Duells gesehen.
Was sich in den Umfragen aber noch nicht niedergeschlagen hat. Hoffen Sie wirklich noch auf einen Sieg von Rot-Grün am 22. September?
Steinmeier: Es sind noch knapp zwei Wochen Zeit. Viele Wählerinnen und Wähler sind noch unentschlossen. Viele kommen gerade aus dem Urlaub, wie in Bayern oder Baden-Württemberg. Es kommt auf die letzten 12 Tage an. Das TV-Duell hat doch gezeigt: Es bewegt sich etwas. Die Menschen haben die Wahl zwischen Klartext und Entscheidungsfreude auf der einen oder Schönreden und Lavieren auf der anderen Seite. Ich bin zuversichtlich, das Rennen ist offen. Wir kämpfen um jede Stimme bis zum Wahltag um 18 Uhr.
Zur NSA-Affäre. Offenbar kann der US-Geheimdienst sämtliche E-Mails und SMS ausspähen. Sind Sie überrascht von diesem Ausmaß?
Steinmeier: Es ist unerträglich, dass befreundete Dienste unter Umgehung elementarer Formen der Zusammenarbeit massenhaft offenbar auch öffentliche Einrichtungen, etwa Botschaften von Partnern abgehört haben. Das erinnert mich sehr an die Echolon-Affäre Ende der 90er-Jahre. Damals haben die USA, Kanada, Australien zugesichert, dass die Abhör-Netzwerke aufgelöst werden und dass Abschöpfung der befreundeten Staaten nicht stattfindet. Inzwischen scheint, begünstigt von den neuen technischen Möglichkeiten der Smartphones, Iphones, Ipads und so weiter, die Grenze des Erlaubten weit überschritten. Es ist die Frage zu stellen, ob bei den Ausspähaktionen nicht nur die Privatsphäre von Bürgern verletzt, sondern auch Wirtschaftsspionage betrieben wurde. Wir stehen am Anfang der Debatte, nicht am Ende, wie die Bundesregierung glauben machen will.
Aber in Ihre Zeit als Kanzleramtsminister fällt das Abkommen zwischen BND und NSA. War dieses Abkommen nicht gewissermaßen der Türöffner für spätere Ausspähungen im Internet?
Steinmeier: Unsinn. Diese Argumentation der Bundesregierung ist doch nur ein durchschaubarer Ablenkungsversuch. Wir haben das Abkommen mit der NSA seinerzeit geschlossen, damit von US-Stellen in Deutschland auch deutsches Recht anzuerkennen ist. Bis dahin galt etwa in der Überwachungsstelle Bad Aibling US-Recht. Ziel war damals, Grenzen zu ziehen für die Überwachung und nicht Erweiterung der Abhörmöglichkeiten. Deshalb hatte und konnte es aber nichts mit der Billigung von Abhörpraktiken zu tun haben, die erst später auf Grundlage einer neuen Internet-Technologie und eines neuen Kommunikationsverhaltens der Bürger mehr als zehn Jahre später stattfinden sollte.