Frage: Herr Oppermann, können Sie die Kritik insbesondere der Grünen am Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht und den gezielten Kontrollen von Nordafrikanern nachvollziehen?
Oppermann: Manchen Leuten – auch bei den Grünen – kann man es nie Recht machen. Die Polizei hat in Köln gute Arbeit gemacht, professionell für Sicherheit gesorgt und einen friedlichen Jahreswechsel ermöglicht. Das steht für mich im Vordergrund. Es sind offensichtlich die richtigen Lehren aus Silvester 2015 gezogen worden.
Die Kölner Polizei spricht von „Nafris“, kurz für Nordafrikaner. Eine herabwürdigende Bezeichnung, wie Kritiker meinen. Halten Sie den Begriff für problematisch?
Oppermann: Ich bin froh, dass die Kölner Polizei sich inzwischen von dem Begriff distanziert hat. Wir brauchen Sicherheitskonzepte, die effektiv sind, aber niemanden aufgrund seiner Herkunft, Haut- oder Haarfarbe diskriminieren.
Ein massives Polizeiaufgebot zu Silvester in Köln und anderen Städten, Beamte mit Maschinenpistolen an Bahnhöfen, Flughäfen und auf Plätzen – müssen wir uns daran auch angesichts der Terrorgefahr gewöhnen?
Oppermann: Ja, denn die Bürger haben einen Anspruch auf Schutz vor Terror und Gewalt. Dazu gehört momentan auch eine erhöhte Polizeipräsenz an öffentlichen Plätzen und bei Großveranstaltungen. Dabei dürfen wir nicht über das Ziel hinausschießen. Benjamin Franklin hat einmal gesagt: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, verliert am Ende beides. Das ist auch heute noch richtig. Gleichzeitig gilt: Wer gegen unsere Regeln und Gesetze verstößt, darf keine Toleranz erwarten.
Die CSU will unter dem Eindruck des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin bei ihrer Winterklausur Maßnahmenkataloge für schärfere Gesetze in der Flüchtlingspolitik und für mehr Innere Sicherheit beschließen. Mit Unterstützung der SPD?
Oppermann: Es ist erschreckend, mit welcher Radikalität die CSU die gesamte Sicherheitspolitik in Deutschland auf den Kopf stellen will. Ich wünsche mir weniger kernige Sprüche und mehr kluge Gedanken. Verbale Kraftmeiereien bringen nicht mehr Sicherheit. Deshalb sollte sich die CSU stärker an Innenminister de Maizière orientieren.
Wäre der Anschlag auf dem Breitscheidplatz nicht zu verhindern gewesen, wenn die Sicherheitsbehörden anders agiert hätten?
Oppermann: Deutschland steht schon seit einigen Jahren im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus. Bisher haben die Sicherheitsbehörden mit Wachsamkeit und einer guten Portion Glück größere Anschläge verhindert. Im Fall Amri ist dagegen einiges schief gelaufen. Das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Aber ich bin gegen voreilige Schuldzuweisungen und für eine gründliche Untersuchung.
Sie wollen die Sache auf die lange Bank schieben?
Oppermann: Nein. Wir werden uns in der Koalition noch im Januar verständigen. Für die meisten notwendigen Maßnahmen reicht der rechtliche Rahmen aus. Wo das nicht der Fall ist, werden wir schnell handeln. Für die SPD gilt dabei der Grundsatz, dass politisch Verfolgte auch in Zukunft Schutz erhalten und schnell integriert werden sollen. Wer aber keinen Schutz benötigt oder sein Gastrecht missbraucht, muss schnell wieder gehen. Es darf nicht wieder vorkommen, dass ausreisepflichtige Gefährder einfach frei herumlaufen. Anis Amri war ein gewalttätiger Krimineller, ein Drogendealer und Sozialbetrüger. Er hatte in Deutschland nichts zu suchen und brauchte keinen Schutz. Im Interesse aller Flüchtlinge kann es bei solchen Gefährdern nur eine Antwort geben: Raus und zwar möglichst schnell!
Warum blockiert die SPD dann den Gesetzentwurf des Bundesinnenministers zur Verschärfung und Verlängerung der Abschiebehaft für Gefährder?
Oppermann: Es gibt schon jetzt die Möglichkeit, Ausreisepflichtige bis zu 18 Monate in Abschiebehaft zu nehmen. Davon muss aber auch Gebrauch gemacht werden. Für mich ist klar: Abschiebungen dürfen nicht an bürokratischen Hindernissen scheitern. Deshalb werden wir prüfen, ob die Voraussetzungen für Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft geändert werden müssen.
Datenschutz dürfe nicht Täterschutz sein, heißt es von der CSU unter anderem mit Blick auf die Videoüberwachung.
Oppermann: Ich bin für eine flächendeckende Videoüberwachung an Bahnhöfen und auf anderen neuralgischen Plätzen. Das Bildmaterial kann zur schnellen Überführung brutaler Gewalttäter beitragen. Überall, wo damit ein Sicherheitsgewinn verbunden ist, sollten wir Videoüberwachung gezielt ausbauen.
Gibt es weitere Änderungen, die als Konsequenz aus dem Anschlag von Berlin dringend notwendig sind?
Oppermann: Ich vermute, dass es weitere Männer wie Anis Amri gibt, die unter falscher Identität nach Deutschland eingereist sind und die unübersichtlichen Verhältnisse im Herbst 2015 und danach genutzt haben. Wir müssen zweifelsfrei klären, wer sich in Deutschland aufhält. Falsche Identitäten dürfen unter keinen Umständen hingenommen werden. Grund für Asyl ist ein Verfolgungsschicksal, das untrennbar mit der Identität der Person verknüpft ist. Jeder Flüchtling muss wissen, dass er mit falschen Angaben über seine Person das Recht auf Schutz verwirkt.
Ist die Einigung auf Konsequenzen aus dem Anschlag das letzte gemeinsame Projekt der Großen Koalition?
Oppermann: Wir wollen noch viele wichtige Gesetze durch den Bundestag bringen. Dazu gehören die Lohngerechtigkeit, die Renten-Reformen und die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Bis zum Beginn der Sommerpause werden wir alle Hände voll zu tun haben. Vorher wird für Wahlkampf nicht viel Zeit sein.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz soll sich aus dem Rennen genommen haben, was die SPD-Kanzlerkandidatur betrifft. Ist der Weg für Sigmar Gabriel jetzt frei?
Oppermann: Der Weg ist frei für eine Entscheidung der SPD Ende Januar. Zwischenstände werde ich nicht kommentieren. Wir haben das Verfahren bewusst so gewählt und werden Ende des Monats einen Kanzlerkandidaten und inhaltliche Botschaften präsentieren.
Und doch ist der Eindruck von Zögern und Zaudern bei Sigmar Gabriel entstanden. Ist das nicht fatal?
Oppermann: Die SPD ist fest entschlossen, bei der nächsten Bundestagswahl kräftig zuzulegen und den Spielraum für sozialdemokratische Politik in Deutschland zu vergrößern. Wir wollen wieder Kanzlerpartei sein. Und es ist doch ganz klar: Natürlich hat Sigmar Gabriel den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur.
Wie stehen Sie zu einer Mindestlohn-Ausnahme für Flüchtlinge?
Oppermann: Es gibt keine Mindestlohn-Ausnahmen für Flüchtlinge. Wir brauchen aber eine Orientierungshilfe zur richtigen Einordnung von Qualifizierungsmaßnahmen. Daran arbeitet die Bundesregierung gerade. Die Umsetzung wird nicht dazu führen, dass plötzlich Lohndumping möglich wird, im Gegenteil: Die Anerkennung der Berufsabschlüssen verbessert die Verdienstmöglichkeiten von Flüchtlingen.
Das Interview führte der Journalist Rasmus Buchsteiner mit SPD-Fraktionschef Oppermann am 2. Januar 2016.