Herr Oppermann, viele freuen sich über die deutsche Willkommenskultur. Aber ganz viele Bürger haben auch Angst vor dem Neuen, vor dem Fremden. De Maizière sagt, da kommen „nicht nur Heilige“. Wieso geben Sie den Ängstlichen nicht auch eine Stimme?

Thomas Oppermann: Ich will die Chancen betonen, nicht die Risiken. Die große Bereitschaft der Deutschen, Flüchtlinge freundlich aufzunehmen, ist ungebrochen. Janusz Reiter, der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland, hat das einen „Triumph der Menschlichkeit“ genannt. Aber sie haben ja recht: Selbst manche ehrenamtliche Helfer sind von Angst nicht frei. Angst machen nicht die Flüchtlinge, die da sind. Anlass zur Sorge macht eher, dass keiner weiß, wie viele noch kommen, ob das immer so weiter geht? Deshalb müssen wir dringend mit allen finanziellen und politischen Mitteln erreichen, dass weniger Menschen die Flucht ergreifen. Die Geschwindigkeit des Flüchtlingszuzugs muss deutlich verringert werden. Und die Politik muss dafür sorgen, dass die Flüchtlinge kein Anlass für Verteilungskonflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen sind. Deshalb bin ich froh, dass wir ein Programm von zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau auf den Weg bringen. Damit werden bezahlbare Wohnungen für alle geschaffen.

Welchen Eigenbeitrag erwarten sie von den Flüchtlingen?

Gefordert sind auch die Flüchtlinge. Entscheidend ist ihre uneingeschränkte Bereitschaft, schnell Deutsch zu lernen. Die, die schon gut Deutsch können, sollten wir schnell einbeziehen in die praktische Flüchtlingshilfe. Dann können sie helfen und auch eigenes Geld verdienen.

Bundesregierung und Bundesländer haben sich auf einen nationalen Kraftakt geeinigt. Erwarten Sie von den politischen Parteien, dass diese sich jetzt ohne politische und verbale Ausfälle zu diesem nationalen Kraftakt bekennen?

Das war in der Tat ein Befreiungsschlag. Die Verteilungskämpfe sind beendet. Jetzt können sich alle auf ihre Aufgaben konzentrieren. Die Zivilgesellschaft hat bereits gezeigt, dass sie stark ist. Jetzt steht auch die Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen.

Auch CSU, Linke und Grüne müssen uneingeschränkt mitmachen?

Die drei Kleinparteien CSU, Grüne und Linke werden durch dieses Paket mit in die Pflicht genommen. Ich habe die klare Erwartung, dass auch Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen dem Paket im Bundesrat zustimmen. Es darf nicht so sein, dass sie sich die Rosinen herauszupicken und sich im Übrigen für unzuständig erklären.

Muss die Große Koalition als Leistungsbeweis in dieser Legislaturperiode noch ein Einwanderungsgesetz zustande bringen?

Das Einwanderungsgesetz ist ein Baustein, der noch fehlt. Viele Menschen, die zu uns kommen, suchen nicht Schutz vor politischer Verfolgung oder Bürgerkriegen. Sie suchen Arbeit und ein besseres Leben. Für diese Menschen brauchen wir Steuerungsmöglichkeiten. mit denen wir bestimmen können, wer zu uns kommt. Dafür ist ein Einwanderungsgesetz die richtige Antwort.

Wieso überlässt die SPD Horst Seehofer die alleinige  Verteidigung der deutschen Leitkultur?

Das gute Zusammenleben ist auch ein zentrales Anliegen der SPD. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, müssen unsere Werte akzeptieren. Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Toleranz aber auch Eigenverantwortung sind im Grundgesetz angelegt. Das Grundgesetz ist unsere Leitkultur. Jeder syrische Flüchtling sollte ein Grundgesetz auf Arabisch als Teil seiner Erstausstattung erhalten. Gerade die syrischen Flüchtlinge haben die Nase gestrichen voll von selbsternannten Gotteskriegern und religiösen Eiferern.

Ist die SPD bereit, knallhart gegen ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber vorzugehen?

Dazu sind beim Gipfel im Kanzleramt klare Vereinbarungen getroffen worden. Wir können nur so viele Menschen aufnehmen, wenn wir diejenigen, die kein Recht haben zu bleiben, auch schnell zurückführen. Ich denke da an Johannes Rau und bin für eine Asylpolitik ohne Angst, aber auch ohne Träumereien.

Wo beginnt für die SPD die Zumutbarkeitsgrenze bei der Zuwanderung?

Wir können in diesem Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen, unterbringen und integrieren. Aber das schaffen wir nicht jedes Jahr. Dabei stoßen wir nicht an die Grenze unseres guten Willens, wir stoßen aber an die Grenze des faktisch Möglichen. Auch Grundrechte können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn es uns praktisch möglich ist, sie umzusetzen.

Der Bundesinnenminister war bisher der Minister der Hilflosigkeit. Erwarten Sie nach dem Gipfel, dass er zeigt, was er kann?

De Maizière hat den schwersten Job in der Bundesregierung. Mit den Beschlüssen des Gipfels hat er nun alle notwendigen Instrumente bekommen. Jetzt erwarten wir ein tatkräftiges Krisenmanagement. Die Prozesse müssen schneller, koordinierter und zielgenauer werden.

Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen ist es entscheidend, dass beispielsweise auch in Syrien wieder halbwegs geregelte staatliche Zustände eintreten. Kann der Massenmörder wieder für eine begrenzte Zeit Teil der Lösung sein?

Niemand wird sich gerne neben Assad an einen Tisch setzen. Assad hat die allermeisten Toten in diesem grauenhaften Bürgerkrieg zu verantworten. Trotzdem muss er in den Verhandlungsprozess einbezogen werden. Der komplette Zerfall eines Staates -  wie in Libyen - kann eine noch größere Katastrophe nach sich ziehen.

Schließen Sie aus, dass sich Deutschland auch an einer praktischen Absicherung zukünftiger UN-Zonen der humanitären Sicherheit in Syrien beteiligt?

Ich hoffe, dass es unter einem UN-Mandat humanitäre Sicherheitszonen in Syrien gibt. Diese müssen auch abgesichert werden. Da sehe ich aber nicht Deutschland an erster Stelle.

 

Das Interview mit SPD-Fraktionschef Oppermann führte Dieter Wonka für das Redaktionsnetzwerk Deutschland am 25. September 2015.