Frage: Die SPD bleibt nach zwei Jahren Große Koalition weiter im Umfragetief. Die Stimmung vor dem Parteitag ist mäßig. Wo soll jetzt neuer Schwung herkommen?

Oppermann: Wir hatten eine gute erste Halbzeit mit vielen Treffern für die SPD. Mit Mindestlohn, Mietpreisbremse und Frauenquote – um nur wenige Themen zu nennen – haben wir wichtige Projekte umgesetzt. Die SPD ist die bestimmende Kraft in der Koalition und geht jetzt mit Schwung in die zweite Halbzeit. Wir machen verlässliche Politik in schwierigen Zeiten. Das wird sich am Ende auch in Wählerstimmen auszahlen.

Frage: Das klingt nach Zweckoptimismus und Durchhalteparolen!

Oppermann: Wir machen Politik aus Überzeugung. Frauen, junge Menschen, die arbeitende Mitte können wir aber noch besser ansprechen. Wir müssen deutlich machen, dass wir für die Menschen da sind, die täglich ganz normal ihrer Arbeit nachgehen, ihre Kinder großziehen und sich in der Gesellschaft engagieren. Volkspartei heißt vor allem, die Mitte der Gesellschaft zu erreichen.

Frage: Sigmar Gabriel führt die Partei inzwischen solange wie kein anderer SPD-Chef seit Willy Brandt – wie groß ist sein Rückhalt?

Oppermann: Sigmar Gabriel hat die SPD in den letzten Jahren mit Erfolg durch schwierige Zeiten gesteuert. Dass wir heute so viel positiven Einfluss auf das Geschehen nehmen können, ist vor allem sein Verdienst. Er wird als Parteivorsitzender ein sehr gutes Ergebnis bekommen. Da bin ich mir sicher.

Frage: Ist er auch der richtige Mann für die Kanzlerkandidatur 2017? Davon ist nicht einmal die Hälfte der SPD-Anhänger überzeugt ...

Oppermann: Natürlich ist Sigmar Gabriel der richtige. Als Parteivorsitzender ist er der natürliche Kanzlerkandidat.

Frage: Welche Alternativen hat die SPD denn zur Großen Koalition oder wird es 2017 einfach zu einer Neuauflage kommen?

Oppermann: Das entscheiden allein die Wähler. Die Große Koalition darf keine Dauereinrichtung werden. Die Demokratie lebt vom Wechsel. Wir kämpfen für ein gutes Ergebnis. Die SPD will den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft erhalten.

Frage: Sicher, gerecht, weltoffen, heißt das Parteitagsmotto. Lange hat das Thema Sicherheit keine herausgehobene Rolle gespielt. Warum setzen Sie jetzt auf diese Karte?

Oppermann: Sicherheit ist für die SPD schon immer ein zentrales Thema. Dazu gehört soziale Sicherheit genauso wie innere und äußere Sicherheit. Die Politik muss dafür die Voraussetzungen schaffen. Einen schwachen Staat können sich nur Reiche leisten. Wir brauchen ein handlungsfähiges Gemeinwesen, das die sozial Schwächeren schützt.

Frage: Was folgt daraus in Zeiten der Flüchtlingskrise und der allgegenwärtigen Terrorgefahr?

Oppermann: Wir müssen wachsam sein und Gefahren erkennen. Dazu brauchen wir vor allem ausreichend Personal bei den Sicherheitsbehörden. In den vergangenen Jahren wurden bei der Polizei in Bund und Ländern zu viele Stellen abgebaut. Jetzt zeigt sich, dass das ein Fehler war. Die SPD hat dafür gesorgt, dass die Bundespolizei mit 3000 zusätzlichen Beamten verstärkt wird. Der Personalbedarf wird weiter steigen.

Frage: In der Union wird der Ruf nach einer Obergrenze für Flüchtlinge immer lauter. Welchen Kurs fährt die SPD?

Oppermann: In diesem Jahr werden mehr als eine Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Viele Kommunen sind am Ende ihrer Belastbarkeit. Es ist gut, dass die Zahl der Flüchtlinge an den Grenzen derzeit sinkt. Wir brauchen diese Atempause. Nationale Obergrenzen helfen aber nicht im Geringsten. Ich halte das für populistisches Geschwätz. Kein einziger Flüchtling würde deshalb weniger kommen. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Die Lage der Flüchtlinge in den Krisenregionen muss deutlich verbessert werden. Darüber hinaus brauchen wir sichere Außengrenzen der EU. Europa wird sich aber nicht abschotten, sondern auch in Zukunft seine humanitäre Verpflichtung erfüllen müssen – aber in einem geordneten Verfahren, mit großzügigen Kontingenten.

Frage: Angela Merkel steht weiter zu ihrem „Wir-schaffen-das“-Kurs. Jetzt kommt aber jede Menge Gegenwind aus der Union, ihre Umfragewerte sinken. Wie angeschlagen ist die Kanzlerin?

Oppermann: Angela Merkel hat es in der Union sehr schwer. Ich sehe mit großer Sorge, dass unser Koalitionspartner in der Flüchtlingsfrage tief zerstritten ist. Die einen wollen den Flüchtlingen mit einem freundlichen Gesicht begegnen, die anderen wollen sie möglichst schlecht behandeln und viele in der Union wollen in Wirklichkeit die Grenzen dicht machen. Ich hoffe, dass die CDU auf ihrem Parteitag ihre Position klärt und wieder ein berechenbarer Partner wird.

Frage: Beim Flüchtlingsbundesamt stapeln sich Hunderttausende unbearbeitete Anträge und beim Asylpaket II geht es nicht voran. Kann sich Deutschland eine Politikpause erlauben, nur aus Rücksicht auf die Parteitage von CDU und SPD?

Oppermann: Das letzte Gesetz dazu ist erst vor sechs Wochen in Kraft getreten. Auch das Asylpaket II werden wir schnell beschließen, sobald es fertig ist.  Im nächsten Jahr werden wir dann verstärkt über die Integration reden müssen. Dafür haben die zuständigen SPD-Ministerinnen einen guten Plan vorlegt. Wir brauchen 80.000 zusätzliche Kita-Plätze, 20.000 Erzieherinnen für die Kitas und Tausende neuer Lehrer. Flüchtlinge mit Bleibeperspektive müssen integriert werden. Was wir jetzt investieren, zahlt sich in zehn Jahren doppelt aus. Was wir versäumen, lässt sich nicht nachholen.

Frage: Warum braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz und wie wollen Sie die Union zur Zustimmung bewegen?

Unsere Gesellschaft altert rasant, in weniger als 20 Jahren ist das Durchschnittsalter um über vier Jahre gestiegen. In den nächsten 15 Jahren verlassen sieben Millionen Menschen den Erwerbsprozess. Die können wir zu einem großen Teil nur mit Einwanderern ersetzen. Wir müssen die in vielen Gesetzen zersplitterten Vorschriften zu einem Einwanderungsgesetz bündeln, mit dem wir die Einwanderung nach Deutschland besser steuern. Auch hier ist die Union noch zerstritten, aber ich hoffe, dass der Parteitag der CDU da endlich eine mutige Entscheidung trifft. Dann könnten wir sofort loslegen und das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode machen.

Frage: Themenwechsel: Der Syrien-Einsatz der Bundeswehr ist beschlossen und läuft jetzt an. Wird es beim SPD-Parteitag einen Aufstand gegen die Entscheidung geben?

Oppermann: Nein. Die SPD ist ganz überwiegend für den Einsatz der Bundeswehr. Wir wollen, dass Deutschland ein Signal der Solidarität mit Frankreich setzt und hilft, die Mörderbande des IS zu bekämpfen. Jeder Bundeswehr-Einsatz ist für die SPD eine schwierige Entscheidung. Wir haben es uns nicht einfach gemacht und eine verantwortliche Entscheidung getroffen. Für uns hat nicht die militärische Operation Priorität, sondern der politische Prozess. Wir brauchen Fortschritte in Wien bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Syrien.

Frage: Wird es in Zukunft eher mehr als weniger Bundeswehr-Auslandseinsätze geben?

Oppermann: Wir spielen schon jetzt international eine starke Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik. Deutschland hat derzeit 3000 Soldaten im Auslandseinsatz. Auch wenn es künftig mehr werden: Ich glaube, dass die Bundeswehr das auch ohne eine Aufstockung schaffen kann.

Das Interview führte Rasmus Buchsteiner