Interview mit Produzentin über SPD-Thesen

SPIO-Präsidentin Manuela Stehr über das Urheberrecht

In der Öffentlichkeit herrscht eine engagierte Debatte um das Urheberrecht. Neben Forderungen nach einer Kulturflatrate gibt es auch die Erwartung, alles im Netz kostenfrei zu machen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in Form von zwölf Thesen Stellung bezogen zu den offenen Streitpunkten und sucht nun mit Nutzern Urhebern und Verwertern im Dialog nach fairen Lösungen. In einer Reihe kommen auf spdfraktion.de Protagonisten aus allen beteiligten Bereichen zu Wort, für die das Urheberrecht eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen spielt und die sich kritisch mit den SPD-Thesen auseinandergesetzt haben. Diese Woche nimmt die Präsidentin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Filmproduzentin (X Verleih AG) Manuela Stehr Stellung zu den zwölf Thesen der SPD-Fraktion.

SPIO-Präsidentin Manuela Stehr
(Foto: Halina Schramm)

Sollte im Internet alles kostenfrei für jedermann verfügbar sein, wie es einige vorschlagen?

Warum nur „im Internet“, warum sollten nicht das Internet, die benötigten Endgeräte und Dienste ebenfalls kostenfrei sein? Das Internet ist längst kein reines Kommunikationsmittel mehr; es ist ein gesellschaftlicher und ökonomischer Raum, der durch materielle und immaterielle Güter und Dienstleistungen geprägt ist.  Erst hierdurch ist der Ausbau der Netze für Telekommunikationsunternehmen attraktiv und lukrativ geworden. Die Forderung nach kostenlosen Inhalten berührt daher auch unsere Gesellschaftsordnung. Eine Gesellschaft ohne ökonomische Anreize funktioniert aber nicht, wie wir aus einem Teil unserer eigenen Geschichte gelernt haben sollten. Wenn Künstler und die Unternehmen, die für die Verbreitung der Kunst sorgen, nicht mehr von ihren Leistungen leben können, weil sie nicht entsprechend entlohnt werden, wird es sie nicht mehr geben. Film ist gleichermaßen Wirtschaftsgut und Kulturgut, dessen Vielfalt und Qualität nur durch den Schutz der Filmschaffenden und der gesamten Branche gewährleistet werden kann.

Die SPD-Fraktion will den Urheber im Verhältnis zum Verwerter stärken und das Einkommen des Urhebers fair und angemessen gestalten. Wie kann das am besten geschehen, und wie könnte ein angemessenes Einkommen des Urhebers aussehen?

Die SPD-Fraktion müsste sich erst einmal über den Begriff „Verwerter“ verständigen. Es ist lediglich ein Schlagwort, das negative Assoziationen auslöst, aber in vielen Branchen den beteiligten Akteuren nicht gerecht wird. Filmproduzenten sind nach dieser Definition Verwerter, obwohl sie künstlerische, organisatorische und wirtschaftliche Verantwortung für den Herstellungsprozess übernehmen. Sie verwerten daher nicht alleine bestehende Werke, sondern haben eine unabdingbare Funktion für den Entstehungsprozess von Filmwerken. Kinoverleiher kreieren eine Kampagne, um einen Film erfolgreich ins Kino zu bringen. Dazu gehört nicht nur eine große Risikobereitschaft bezüglich des finanziellen Einsatzes (der Verleih eines deutschen Kinofilmes wird sehr gering durch Förderung unterstützt), sondern auch die kreative Erarbeitung des gesamten Artworks, Trailers, Spots etc. Darüber hinaus braucht es einfach Unternehmen, die sich kreativ der Vermarktung und Verbreitung von künstlerischen Werken annehmen, damit die Urheber von ihren Leistungen leben können.
Demgegenüber werden Dienste, die ihre Geschäftsmodelle alleine auf bestehende kulturelle und künstlerische Leistungen ausrichten, in Ihrer Diktion neutral als Intermediäre (Vermittler) bezeichnet. Dabei nutzen auch Intermediäre urheberrechtlich geschützte Inhalte, ohne die ihre Geschäftsmodelle nicht attraktiv wären. Welches Verhältnis wollen Sie also stärken: Das des Urhebers/ausübenden Künstlers zum Filmproduzenten, Kinoverleiher, Fernsehveranstalter etc. oder zu Y-outube und Facebook?

Im Filmbereich sind die verschiedensten Gewerke mit unterschiedlichen handwerklichen und/oder künstlerischen Leistungen beteiligt. Grundlage ihrer Bezahlung sind sowohl feste Gagen als auch prozentuale Beteiligungen. Das hängt u. a. davon ab, ob es sich um eine Auftragsproduktion oder eine frei finanzierte Produktion handelt, und welchen Beitrag der Urheber oder Künstler zum Filmwerk leistet. Kommt dieses Gefüge aus dem Lot, ist der Urheber und ausübende Künstler durch einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung geschützt. Diese Grundkonstellation ist zu begrüßen. Der Streit entzündet sich im Wesentlichen daran, dass die zur Festlegung der angemessenen Vergütung vorgesehenen rechtlichen Instrumentarien zu langwierig und nicht in allen Bereichen praxistauglich sind. Hier sehen wir gesetzlichen Nachbesserungsbedarf.

Die SPD-Fraktion lehnt eine Kulturflatrate als allgemeine Pauschale für jedermann ab, kann sich aber pauschale Vergütungsmodelle in Teilbereichen wie bspw. Musik und Film vorstellen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Nein, auch pauschale Vergütungssysteme für bestimmte Branchen sind keine Lösung. Die freie Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken auch in Teilbranchen geht immer mit dem Verlust des Urheberpersönlichkeitsrechts und dem Abbau von Ausschließlichkeitsrechten einher, deren Auswirkungen bisher nicht annähernd erfasst und untersucht sind. Auch das Nutzungsverhalten wird bei pauschalen Vergütungssystemen nicht berücksichtigt: Musik wird wesentlich häufiger, wiederkehrender und manchmal auch beiläufiger genutzt, als beispielsweise Bücher und Filme. Die Herstellungs- und Investitionskosten für Filme sind aber auf der anderen Seite um ein Vielfaches höher als im Bereich Musik und Buch. Deshalb gibt es unterschiedliche Vertriebs- und Marktstrukturen in den Branchen, die durch gesetzlich vorgesehene pauschale Vergütungssysteme nivelliert würden. Eine solche Nivellierung zerstört aber die wirtschaftlichen Grundlagen der Kreativ- und Kulturwirtschaft.

Eine Sperrung eines Internetanschlusses bei einer – bewusst oder unbewusst – begangenen Urheberrechtsverletzung betrachtet die SPD-Fraktion als nicht verhältnismäßig. Wie könnten Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums im Netz aussehen, ohne jedoch Kontrollmechanismen und -strukturen zu etablieren?

Wir können das Bewusstsein für den Wert des geistigen Eigentums stärken und damit versuchen, die Akzeptanz des Urheberrechts in der Bevölkerung zu erhöhen, was wichtig ist. Aber wenn es um den notwendigen und erforderlichen Schutz des geistigen Eigentums geht, enthält Ihre Frage ein Paradoxon, das sich auch durch das Thesenpapier der SPD zieht. Schützen kann ich nur etwas, wenn ich es auch verteidigen kann. Wenn wir also über Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums sprechen, reden wir über Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und damit zwangsläufig über Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten. Diese Kontrollmöglichkeiten müssen verhältnismäßig und rechtsstaatlich abgesichert sein, weil wir in einem Rechtsstaat leben.
Schwierig wird die Diskussion mit der SPD und anderen Netzpolitikern aber, wenn selbst Hinweise an den Anschlussinhaber eines Kommunikationsanschlusses, dass von seinem Anschluss aus, Rechtsverletzungen begangen werden, als unverhältnismäßig und das Fernmeldegeheimnis verletzend verschrien werden. Oder wenn vor dem Laden eines offensichtlich Urheberrechte verletzenden Angebots ein Pop-up Fenster mit dem Wunsch erscheint, man möge bitte auf ein lizensiertes Angebot zurückgreifen. Beides Beispiele, die in der Werbewirtschaft, bei Social-Media-Anbietern oder bei den Geschäftsmodellen der Telekommunikationsunternehmen längst gängige Praxis sind – werden sie als Vor-schläge für ein Warnhinweismodell von den Rechteinhabern genannt, aber als unverhältnismäßig und das Fernmeldegeheimnis verletzend gebrandmarkt.

Die Erfahrungen mit den Sharehostern kino.to und megaupload.com zeigen, dass Plattformbetreiber, deren Geschäftsmodelle auf die massenhafte Verletzung geistigen Eigentums ausgerichtet sind, schon heute wirksam bekämpft werden können. Wie sollten dennoch die Regelungen zur Verantwortlichkeit von Hostprovidern neu justiert werden? Sollten die inkriminierten Inhalte entfernt werden?

Nein, die Erfahrungen mit Kino.to haben das Gegenteil gezeigt. Letztlich waren die jahrelangen Bemühungen der GVU und anderer Verbände nur erfolgreich, weil man Informationen aus dem engen Kreis der Betreiber der Plattform erhielt.
Auf der strafrechtlichen Ebene besteht gerade ,was die Ausstattung der Ermittlungsbehörden, ihre nationale und internationale Zusammenarbeit betrifft, ein großer Nachholbedarf. Und in diesem Zusammenhang sind internationale Abkommen existenziell, weil anders länderübergreifend kein wirksames Schutzniveau und keine internationale Zusammenarbeit vereinbart werden kann. Deshalb ist es bedauerlich, dass Abkommen wie ACTA in eine undemokratische Ecke gestellt werden, obwohl die Bundesregierung jahrelang an den Beratungen beteiligt war und das Abkommen mitgestaltet hat.
 
Im Bereich der Hostproviderhaftung ist festzustellen, dass alle illegalen Dienste im Wesentlichen eine Haftungslücke ausnutzen. Sie nutzen die Anonymität ihrer Kunden aus, um ihre Geschäftsmodelle auf rechtswidrig bereitgestellten Inhalten ihrer Kunden aufzubauen. In diesen Fällen nützt auch ein sogenanntes Notice and Take Down-Verfahren wenig, weil entfernte Inhalte sofort wieder von einem anderen Kunden oder durch ein automatisiertes Verfahren dem Dienst bereitgestellt werden können. Für diese von der Rechtsordnung missbilligten Geschäftsmodelle fordern wir ein strengeres Haftungsregime. Aber auch im Bereich der Accessprovider besteht Nachbesserungsbedarf, weil die deutschen Regelungen hinter den europäischen Vorgaben zurückbleiben. So ist das oben beschriebene Pop-Up-Fenster mit dem Hinweis auf ein illegales Angebot durchaus mit europäischen Vorgaben vereinbar, aber in Deutschland aufgrund lückenhafter Umsetzung der  Enforcement Richtlinie nicht gesetzlich geregelt.

Wie ist Ihre Meinung zu dem Papier „Zwölf Thesen für ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht“ der SPD-Fraktion insgesamt? Haben Sie darüber hinaus Anregungen?

Wir begrüßen das Bekenntnis der SPD-Fraktion zum Schutz des geistigen Eigentums. Wie belastbar diese Bekenntnis ist, werden wir aber erst beurteilen können, wenn sich die Thesen konkretisieren.

www.spio.de

Das Interview führte Alexander Linden.

Kreativität ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts! Künstlerinnen und Künstler aus allen Bereichen machen sich stark für eine bessere soziale Absicherung, ein modernes Urheberrecht und kulturelle und wirtschaftliche Förderung. Gemeinsam unterstützen sie den Kreativpakt der SPD-Bundestagsfraktion.

https://www.spdfraktion.de/kreativpakt

Weitere Informationen

Zum Seitenanfang