Meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich so: Ich bin froh, wieder da zu sein.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Frau Präsidentin, erlauben Sie mir einige Worte vorweg: Ich habe ganz ehrlich nicht damit gerechnet, dass sich so viele aus diesem Kreis partei- und fraktionsübergreifend in den letzten Wochen bei mir gemeldet haben. Sie haben mir geschrieben, mit mir telefoniert, ihre Anteilnahme bekundet und mir Zuspruch und Genesungswünsche übermittelt. Dafür möchte ich Ihnen wie auch für Ihre herzlichen Willkommensworte, Frau Präsidentin und Frau Bundeskanzlerin, von dieser Stelle aus herzlich danken.
(Beifall)
Ich freue mich aber nicht nur selbst, dass ich wieder hier sein kann, sondern ich freue mich auch darüber, dass wir Herrn Schäuble wieder unter uns haben. Herr Schäuble, von mir persönlich, von meiner ganzen Fraktion und sicherlich von allen im Hause alle guten Wünsche für Ihre Gesundheit!
(Beifall)
Was ich zu Herrn Schäuble gesagt habe, gilt über alles Ringen um richtige Politik hinweg. Aber zum Ringen und zum guten Ton dieses Hauses gehören auch die Debatte, der Streit um Positionen und auch deutliche Kritik, wo Anlass dazu besteht. Den haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, und die Bundesregierung in den letzten Tagen und Wochen auch in der Europapolitik reichlich geboten.
Vor dem bevorstehenden europäischen Gipfeltreffen bietet die Koalition leider das gewohnte Bild. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, morgen in Brüssel mit den anderen am Tisch sitzen, dann wissen alle Ihre Kollegen dort schon, was am Wochenende hier in Berlin los war: offener Streit zwischen Kanzlerin und Vizekanzler und heftige Vorwürfe aus der Unions- und FDP-Fraktion. Von scharfer Kritik der CSU im Europaparlament war zu lesen, und es gab gegenseitige Schuldzuweisungen von allen Seiten. Glaube doch bitte keiner, das merke man nur in Berlin. Was ist das für ein trauriges Bild, mit dem diese Bundesregierung nach Brüssel fährt!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNE N )
Und das in einer Zeit – das will ich ausdrücklich sagen –, in der die Welt wieder positiv auf Deutschland blickt und Deutschland durchaus wieder Wirtschaftslokomotive in Europa ist.
Wenn jetzt die Zahl der Arbeitslosen in der Tat unter 3 Millionen sinkt, Frau Merkel, dann ist das ein Erfolg – das sehen wir auch so –, zu dem viele im Land beigetragen haben, nur einem wird er offenbar nicht zugeschrieben, nämlich dieser Bundesregierung. Und das hat Gründe.
Angekündigt haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, einen Herbst der Entscheidungen. Offensichtlich hört keiner genau hin, wenn Sie das sagen. Jedenfalls ist die Sommerpause schon lange vorbei, und es geht so weiter, wie es vor der Sommerpause geendet hat. Ich sehe keinen Herbst der Entscheidungen, sondern einen Herbst von neuer Missgunst und neuem Streit. Die Koalitionspartner streiten sich weiter wie die Kesselflicker. Auch in Brüssel hält man sich mittlerweile genervt die Ohren zu. So sieht das Bild gegenwärtig aus. Es stellt sich leider nicht in den schönen rosaroten Farben dar, wie Sie sie uns eben aufgezeigt haben, Frau Bundeskanzlerin.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir nach den Ursachen fragen, dann stellen wir fest, dass die Ursache für die ohrenbetäubende Kakofonie, die wir am Wochenende wieder gehört haben, wahrhaftig nicht bei der Opposition liegt und sicherlich nicht bei der SPD. Sie wissen, Frau Merkel: Wir Sozialdemokraten stehen für eine verantwortliche Europapolitik.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)
Sie wissen auch, dass Sie unsere Zustimmung zu den Griechenland-Hilfen und dem Euro-Rettungsschirm hätten bekommen können. Sie wissen das, aber Sie hatten weder Kraft noch Mut, Ihren eigenen Leuten beizubringen, dass auch die Finanzmärkte ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das müssen sie, weil die normalen Steuerzahler es schlicht nicht mehr ertragen, dass die Belastungen am Ende immer nur bei ihnen abgeladen werden.
Für mich und meine Fraktion – das sei hier noch einmal klargestellt – bleibt es dabei: Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, dass diejenigen, die in und an der Finanzkrise Milliarden verdient haben, auch zahlen. Wir streiten weiter mit aller Kraft und Energie für die finanzielle Beteiligung der Finanzmärkte. Deshalb sage ich noch einmal: Die Finanzmarkttransaktionsteuer war vernünftig und ist vernünftig. Sie ist notwendig, und – ich bin sicher – sie muss und sie wird auch kommen, allen momentanen Widerständen, die es gibt und die ich sehe, zum Trotz, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie die Signale im Vorfeld dieser Debatte und des Gipfels einmal genau analysieren, zeigt sich doch: Mit ein wenig Anstrengung, mit ein wenig Geschick hätten Sie weit mehr als nur die eigenen Koalitionsfraktionen auf Ihrer Seite. Wir wollen auch nicht, dass sich eine so gefährliche Situation wiederholt, wie Sie sie eben geschildert und wie wir sie alle im Frühjahr erlebt haben. Viele hier, auch die SPD, streiten für einen vernünftigen Frühwarnmechanismus, für einen wirksamen Stabilitätspakt. Über manches Instrument lässt sich diskutieren und müssen wir auch diskutieren. In der Grundhaltung gibt es doch zwischen vielen von uns keinen völlig unüberwindlichen Streit. Aber so, wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, in den letzten Monaten und Wochen Europapolitik betrieben haben, so geht das nicht und so können wir das nicht durchgehen lassen. Ich sage gleich, warum.
(Beifall bei der SPD)
Angefangen hat das im Grunde genommen – daran erinnern wir uns doch alle miteinander – schon in der Griechenland-Krise. Wochen- und monatelang, noch bis kurz vor dem Tag der Entscheidung, haben im Frühjahr große Teile der Regierung und auch Sie selbst, Frau Merkel, beteuert: Keine Hilfen für Griechenland! Manche haben Sie sogar dafür gefeiert, und Sie haben es geschehen lassen. Aus Angst und wahrscheinlich obwohl Sie wussten, was am Ende kommen würde, hat die Regierung den Menschen die Wahrheit vorenthalten und damit den Großteil der EU zunächst einmal gegen sich aufgebracht. Und was war das Ergebnis? Am Ende wurde hier im Hause das ganze Programm fast ohne Diskussionsmöglichkeiten in den Ausschüssen durchgepeitscht. Das war alles nicht notwendig und hat das Vertrauen nicht gestärkt.
Damit wären wir zum überwiegenden Teil vielleicht noch klargekommen, weil die Griechenland-Hilfe eine Nothilfe war. Das Finanzministerium hatte hier von diesem Pult aus ja auch gesagt: Seien Sie sicher, das ist das Letzte, was in diesem Hause dazu debattiert und beschlossen werden muss.
Dann kam das Mai-Wochenende; Sie erinnern sich alle. Nachdem zugesichert worden war: „Da kommt nichts mehr“, sind Sie – offensichtlich ohne Vorbereitung durch die europäischen Kollegen, auch ohne Vorbereitung durch Paris – nach Brüssel gefahren und kamen dann – Wunder und Überraschung! – mit einem Euro-Rettungsschirm in Höhe von 440 Milliarden Euro im Gepäck wieder zurück. Auch da wurde das Parlament wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Zweimal sozusagen dasselbe Schauspiel: Erst dicke Backen aufgeblasen, bis sie fast platzen, aber nach der Rückkehr aus Brüssel fällt die ganze deutsche Position wie ein Soufflé in sich zusammen. Erst Rücksicht nehmen auf die Innenpolitik, auf umstrittene Positionen in der eigenen Koalition, und dann folgt das Einknicken vor der europäischen Realität.
Wer immer wieder nach diesem Muster handelt – und das droht doch jetzt auch hier –, der schädigt am Ende nicht nur die europapolitische Position Deutschlands und seine eigene Position gegenüber der deutschen Bevölkerung, der schädigt auch das Ansehen der Deutschen und der deutschen Regierung in Brüssel. Und das will ich nicht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin an dem Punkt auch deshalb sehr energisch, weil ich befürchte, dass es jetzt nach demselben Muster wie bei der Griechenland-Hilfe und beim europäischen Rettungsschirm abläuft und auf ein ähnliches Ergebnis hinausläuft. Das könnte durchaus in einem europapolitischen Debakel für diese Regierung enden.
Wir haben doch jetzt schon die Hälfte Europas gegen uns aufgebracht. Der Europäische Ratspräsident Van Rompuy arbeitet – Sie haben das eben selbst gesagt – seit vielen Wochen an konkreten Vorschlägen für eine Reform des Stabilitätspaktes; ebenfalls die Kommission. In Deauville ist nun der Eindruck entstanden, Sie und Präsident Sarkozy wischen erst einmal beides vom Tisch nach dem Motto: Die können das nicht, die haben nicht die Kapazitäten. Viele EU-Staaten, bei denen Sie falsche Hoffnungen geweckt hatten, laufen jetzt Sturm gegen den Kuhhandel, der in Deauville stattgefunden hat, und zwar gerade die kleineren Mitgliedstaaten und damit diejenigen Staaten, Herr Westerwelle, um die Sie sich doch besonders kümmern wollten.
Ich bin davon überzeugt und befürchte – ganz anders, als Sie eben vorgetragen haben –, dass Deauville nicht die Tür zu einer möglichen Verständigung aufgemacht hat, sondern dass das Gegenteil eintreten wird und dieser Deal von Deauville die Lage in Europa und Einigungsmöglichkeiten für die Zukunft noch wesentlich schwieriger gemacht hat. Das wird sich beweisen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist nämlich wieder dasselbe Muster. Sie treten mit großen Ankündigungen an, aber dann kommt die europäische Realität.
Wo wir jetzt über den Stabilitätspakt und mögliche automatische Sanktionen reden, will ich nur zitieren, was Herr Schäuble am Wochenende gesagt hat – so war es ja in der Presse zu lesen –: Nie habe es eine realistische Chance auf automatische Sanktionen gegeben. – Wenn das so ist, Herr Schäuble, wenn Sie in dem Text, den ich gelesen habe, einigermaßen richtig zitiert worden sind, dann stellen sich weitere Fragen. Wenn Sie davon überzeugt waren, dass automatische Sanktionen nicht kommen werden: Wie ist es dann um die anderen Dinge bestellt, um die wir im Augenblick streiten? Wie ist es um die Vertragsänderungen bestellt, für die Sie um Zustimmung des Hauses nachsuchen? Und erst recht stellt sich die Frage: Warum sagt Herr Schäuble, wenn er der Meinung ist, dass für automatische Sanktionen keine Chance bestünde, das nicht vorher? Warum fragt man sich nicht vorher, ob für den Entzug des Stimmrechts eine Chance besteht und ob es überhaupt sinnvoll ist, das Verhandlungspaket wieder aufzuschnüren? Zumindest Transparenz müsste darüber hergestellt werden, ob Sie selbst der Meinung sind, dass der Vorschlag, mit dem Sie dort ins Rennen gehen, am Ende verhandlungsfähig ist und eine Chance auf Erfolg hat.
Wenn man genau hinschaut – darum ging es offensichtlich auch ein bisschen in den Diskussionen in Ihrer Fraktion –, dann stellt man fest: In Deauville ist Deutschland in Wahrheit eher mit leeren Händen vom Tisch aufgestanden. Frau Merkel, wenn ich die französische Position richtig deute, dann hatte Präsident Sarkozy drei Vorstellungen: erstens möglichst keine automatischen Sanktionen einzuführen, die auch Frankreich treffen können, zweitens den unliebsamen und etwas zu unabhängigen Ecofin-Rat möglichst weit einzuhegen und drittens den Deutschen das Angebot zu machen, die Vertragsänderungen zu unterstützen, wohl wissend, dass andere dagegen streiten werden und Frankreich diese Rolle gar nicht übernehmen muss. Das ist ein ganz wunderbares Ergebnis.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nur, beglückwünschen kann ich Sie dazu nicht, liebe Frau Merkel.
Wer sich in den europäischen Dingen ein bisschen auskennt, muss befürchten, dass man sich im Élysée angesichts dieses Ergebnisses ein wenig die Hände gerieben hat. Ich selbst weiß, wie schwierig es ist, im internationalen Geschäft Vereinbarungen zu erringen. Deshalb lasse ich mir auch nicht vormachen, das Ergebnis von Deauville sei am Ende ein riesiger Erfolg für Deutschland gewesen.
(Beifall bei der SPD)
Damit wir uns nicht missverstehen: Auch wir, die SPD, sind für einen wirksamen Frühwarnmechanismus. Auch wir sind für glaubwürdige Sanktionen gegen notorische Defizitsünder. Aber genau das scheint mir durch den Alleingang, den ich Ihnen eben geschildert habe, gefährdet zu sein. Sie sind mit unhaltbaren Maximalforderungen losgerannt und haben diese gegen wenig belastbare Zusagen eingetauscht. Sie sind sozusagen als Hans im Glück gestartet und versuchen nun, das, was Sie mitgebracht haben, als Goldklumpen zu verkaufen. Das funktioniert nicht. Das nimmt Ihnen jedenfalls die SPD-Fraktion nicht ab, Frau Bundeskanzlerin.
(Beifall bei der SPD)
Frau Merkel, was wird eigentlich aus der Zusicherung – das ist ja Ihre Position –, dass sich so etwas wie die Griechenland-Hilfe nicht wiederholen darf? Sie haben immer wieder beteuert und auch hier zum Ausdruck gebracht, dass sich nach den drei Jahren die Geltungsdauer des Rettungsschirms auf keinen Fall verlängern soll. Wenn man sich anschaut, was die deutsch-französische Erklärung dazu enthält, dann findet man genau vier Zeilen. Was wird darin dazu gesagt? Es sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden. – Was ist damit eigentlich gemeint? Was passiert eigentlich, wenn nach drei Jahren keine Vertragsänderung in Kraft getreten ist und dann einzelne Spekulanten, wie wir im Frühjahr erlebt haben, wieder beginnen, gegen den Euro zu zocken? Was tun Sie konkret, damit in Zukunft eben auch private Gläubiger – auch darüber haben wir in diesem Hause gestritten – bei der Umschuldung von schwer verschuldeten Staaten zur Kasse gebeten werden?
Solange das nicht klar gesagt wird und solange darüber nicht hier im Hause debattiert und meinetwegen auch gestritten werden kann, bleiben solche wolkigen Sätze doch nichts als leeres Gerede. Es darf jedenfalls nicht passieren, dass der Gipfel in Brüssel und das, was danach kommt – das wünschen wir uns für Deutschland in gar keinem Fall –, zu einem erneuten europapolitischen Reinfall wird.
(Beifall bei der SPD)
Nun jubelt die Bundesregierung, dass die Krise vorbei ist. „Aufschwung XXL“ – das lässt Herr Brüderle im Augenblick plakatieren bzw. bundesweit in Anzeigen verlauten. Für viele Betriebe stimmt das mit dem Aufschwung. Es trifft nur nicht auf die Stärkung des Stabilitätspakts und es trifft auch nicht auf die Regulierung der Finanzmärkte zu. Anders gesagt, Herr Brüderle: Da sind wir eher bei der Größe S, und das ist bekanntlich den meisten, von uns jedenfalls, zu knapp.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Auf den Finanzmärkten geht es im Grunde genommen zu wie vor der Krise: Banken und Investmenthäuser peitschen Renditeziele hoch. 144 Milliarden Euro an Boni werden in diesem Jahr an der Wall Street ausgeschüttet. Der Handel mit Derivaten, so war dieser Tage zu lesen, blüht wie nie zuvor. In der Finanzwelt geht alles so weiter. Die Politik dagegen, gegen diese Praxis und gegen diese Auswüchse, ist aus meiner Sicht nach wie vor ohne Überzeugung, ohne Zähne und vor allem ohne wirklich notwendige Konsequenz. Auch daran trägt diese Bundesregierung Mitschuld. Das ist die traurige Wahrheit.
(Beifall bei der SPD)
Die SPD-Fraktion und auch ich wissen: Natürlich können wir von deutscher Seite aus nicht alles im Alleingang erreichen. Aber gerade wenn wir uns gegenseitig ein bisschen ernst nehmen, dann wissen wir auch: Wenn man schon nicht alles im Alleingang erreichen kann, dann kommt es darauf an, dass man deutliche Signale setzt und ein klares Auftreten, auch gegenüber dem Ausland, an den Tag legt. Genau daran fehlt es. Das will ich Ihnen an der Finanzmarkttransaktionsteuer noch einmal klarmachen.
Vonseiten der Bundesregierung tun Sie so, als seien Sie im Prinzip dafür. Es waren sogar entsprechende Erträge in Ihre mittelfristige Finanzplanung eingestellt; 2 Milliarden Euro jährlich ab 2012. Herr Schäuble hat dann aber auf einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrates gesagt, wie ich gelesen habe, er sei kein Freund dieses Instruments. Das wird natürlich am nächsten Tag in allen Hauptstädten Europas genüsslich vernommen. Nicht nur das: Herr Schäuble soll sogar gesagt haben, diese Steuer sei gar nicht auf seine Initiative in das Konsolidierungskonzept der Regierung aufgenommen worden. Das alles sind natürlich Signale, die in Europa verstanden werden. Es ist genau dieser Unernst, diese Unentschiedenheit, mit denen die gegenwärtige Koalition das Vertrauen eben nicht nur in Deutschland, sondern, wie ich befürchte, auch in Europa verspielt.
Das gilt zum Beispiel auch für die Frage der Kohlebeihilfen; ich führe das noch an, weil es in dieses Schema passt. Da hat es am Wochenende offenbar eine Einigung gegeben, die ich begrüße.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber mit sich selbst!)
– Ja, darauf wollte ich zu sprechen kommen. – Wir haben jedoch durch diese internen Streitigkeiten drei Monate verloren. Jetzt hat Herr Brüderle, wie ich lese, anscheinend beigedreht, ist aber, wie ich höre, nicht bereit, diese Einigung in Brüssel zu vertreten. So machen wir uns, meine Damen und Herren, bei unseren Partnern lächerlich, und das darf nicht unsere Rolle in Brüssel sein und werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Ja, ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, Europa ist in keiner guten Verfassung; das spüren Sie alle. Das sage ich weiß Gott nicht nur mit Blick auf die Haushaltsdefizite in den meisten Mitgliedstaaten. Das hat mit vielem zu tun, auch damit, dass der Gründungsmythos Europas bei der jungen Generation offenbar nicht mehr ausreichend trägt. Das hat damit zu tun, dass die Entscheidungsprozesse in Europa nach wie vor zu schwerfällig, zu wenig transparent sind. Das hat auch damit zu tun, dass sich europäisches Engagement von Regierungen häufig nicht entsprechend lohnt. Aber ich stelle eben auch eine Unterströmung in der europäischen Diskussion fest, bei der vor allen Dingen große Mitgliedstaaten verdächtigt werden, europäische Politik schon langsam wieder in nationale Hände zu übernehmen. Renationalisierung ist das Stichwort, ein Verdacht, der leider gelegentlich auch uns trifft.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege!
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Ich halte das für den falschen Weg, und ich bin mir sicher, das tun alle hier im Hause. Wir brauchen gerade mit Blick auf die Konsequenzen der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht weniger Europa, sondern wir brauchen entschieden mehr Europa. Dafür müssen wir eintreten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Frau Präsidentin, ein letzter Satz.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ein allerletzter.
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Es mag manchmal beschwerlich sein, für Stabilität und Solidarität, für deutsch-französische Kooperation auf der einen Seite und für ein gutes Verhältnis zu den kleinen Mitgliedstaaten auf der anderen Seite zu sein; aber genau das zu schaffen, das auszubalancieren, das war immer die Kunst deutscher Europapolitik. Diese Kunst scheint dieser Regierung ein Stück weit verloren gegangen zu sein.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)