Angefangen hat alles im Jahr 2009, als Künstler, Startup-Unternehmer und Kreative wie Filmemacher Pepe Danquart, DJ Paul van Dyk, Musikproduzent Tim Renner, der Galerist Frank-Thomas Gaulin, Blogger Sascha Lobo und andere den Anstoß für den Kreativpakt gaben. Der damalige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier griff den Impuls auf. Aus der Initiative wurde 2011 der Kreativpakt e. V., in dem seither Kreative gemeinsam an der Idee arbeiten, bessere Bedingungen für die Kreativwirtschaft zu formulieren und auf den Weg zu bringen.

Der Kreativpakt gab dem Projekt „Zukunft – Deutschland 2020“ der SPD-Bundestagsfraktion in einem langfristig angelegten, engen Arbeitsprozess entscheidende Impulse zur Entwicklung der Kreativwirtschaft. Diese brachten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wie versprochen in den gegenwärtigen Koalitionsvertrag ein – in den Fachbereichen Kultur, Wirtschaft, Recht, Finanzen, Arbeit und Soziales, Bildung und Netzpolitik.

Viele getan, noch viel zu tun

„Reboot Arbeit, update Urheberrecht, bildet soziale Netzwerke!“ war vor sieben Jahren Titel und Ziel des gemeinsamen Kreativpaktes. Seitdem sei zwar nicht alles, aber sehr vieles auf den Weg gebracht worden, berichtete Antje Kronacher, Gründungsmitglied von Kreativpakt e. V. und Inhaberin einer Agentur für Schauspieler, Filmkomponisten und Regie. Lob bekam die SPD-Fraktion vor allem für die erfolgreiche Stabilisierung der Künstlersozialversicherung. Und der kultur- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Dörmann, stellte klar: „Für uns bleibt die Künstlersozialversicherung ein kulturpolitisches Herzstück – daran werden wir nicht rütteln.“

Besonders wichtig noch bis zum Ende der Legislatur: die Reform des Urheberrechts. Aufbauend auf dem Entwurf zum Urhebervertragsrechts von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) strebt die SPD-Fraktion mit der Reform wirksame Regulierungen an, die die Disbalance zwischen Urhebern und Verwertern aufhebt und angemessene Vergütungen über gemeinsame Vergütungsregeln festschreibt. Bald soll es soweit sein. „Wir meinen es ernst als Sozialdemokraten. Wir haben nicht nur die Lippen gespitzt, wir pfeifen auch“, betonte Siegmund Ehrmann, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien (>> Thesenpapier der SPD-Fraktion „Angemessene Vergütung von Urhebern und ausübenden Künstlern durchsetzen“).

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) konnte Förderprogramme und die Initiative „Kultur- und Kreativwirtschaft“ deutlich ausbauen. Die Regelungen zum Arbeitslosenversicherung I für Kreative und Kulturschaffende als kurz befristet Beschäftigte konnten in der Großen Koalition lediglich verlängert werden. Zufriedenstellend gelöst werden konnte das Problem leider noch nicht, so Ehrmann.

In Bewegung gekommen ist dafür der Ausbau von Internetzugang, zum Beispiel mit dem Breitbandförderprogramm des Bundes sowie dem in der EU verankerten Prinzip der Netzneutralität. Damit gebe es endlich die Voraussetzungen für mehr offene WLAN-Hotspots und schnelles Internet für alle, sagte der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Klingbeil.

>> Mehr Details: Broschüre „#KREATIVPAKT. Eine erste Bilanz“

Schonungslos und unbequem – schon die Keynote-Beiträge der Schauspielerin und Künstlerin Heike-Melba Fendel und des Bloggers und Digital-Venture-Partners Nico Lumma zeigten: Die SPD-Fraktion scheute sich bei ihrer Bilanz-Veranstaltung zu ihrem „Kreativpakt“ nicht, auch unverblümter Kritik Raum zu geben. Schließlich war auch dies im Sinne der Erfinder. Denn beim Experiment Kreativpakt haben sich zwei Welten zusammengetan, die strukturell kaum verschiedener sein könnten.

Mit Blick auf den Kreativpakt als Ganzes räumte Klingbeil gleichzeitig selbstkritisch ein: „Es fehlte die ganzheitliche Umsetzung des Pakts“. Da die vielfältigen Themen des Kreativpaktes in den Zuständigkeitsbereich mehrerer Ministerien fielen, sei es nach der Bundestagswahl schwierig gewesen den Überblick über den Fortschritt aller Kreativpakt-Themen zu behalten. Rückblickend würde er heute für eine Monitoring-Runde auf Staatssekretärsebene plädieren.

Wenn "Gehemmte" und "Verrückte" voneinander lernen

Tim Renner, der in der Zwischenzeit als Berliner Kulturstaatssekretär die politischen Rahmenbedingungen von der anderen Seite mitgestaltet, plädierte dafür, auch auf Bundesländer-Ebene Menschen aus der kreativen Szene mit an den Tisch zu holen. In Anspielung an eine Harvard-Studie fügte er hinzu: So könnten die „Gehemmten“ (die Politiker) von „den Verrückten“ (die Kreativen) lernen und umgekehrt. Das führe für die Gesellschaft oft zu nachhaltigen Ergebnissen. Auch im Kleinen merke er dies im Berliner Senat. Die Kommunikationskultur und das Verständnis füreinander habe sich positiv verändert.

Genau dieses Bewusstwerden und Anerkennen der gegenseitigen Unterschiede, sei grundsätzlich erforderlich für eine gute Zusammenarbeit von Politik und Kunst, betonte die Schauspielerin und Künstlerin Heike-Melba Fendel in ihrem Impuls-Vortrag zum Thema „Förderst Du noch oder forderst Du schon?“. Politik brauche visionäre Ideen und Räume. Und Kunst brauche manchmal einen Reality-Check, sagte sie. Dabei dürfe die Verbrüderung von Politik und Kultur nie das Ziel sein. Fendel wünschte sich von beiden Seiten wieder ein ganzheitliches Verständnis von Kunst, und weniger „Set PR“, um Kunst und Kultur zu legitimieren und sich mit ihr zu schmücken. Klar sein müsste allen Beteiligten: „Politik ist legitimiert durch den Wähler, der Künstler durch seinen Größenwahn“. Im Gegensatz zur Politik, dürfe es der Kunst nicht um Mehrheiten, Erfolge und Kompromisse gehen, gab Fendel zu bedenken. Kunstförderung dürfe daher nicht allein vom öffentlichen Erfolg abhängen, sondern wieder stärker als Mäzenatentum begriffen werden – die nicht nach dem „Return-on-investment“ im Sinne eines „Was habe ich davon?“ fragt, forderte sie. Erfolg sei „ein Unfall des künstlerischen Prozesses“. Politik müsse das aushalten. 

Nico Lumma, der bei der „Geburt“ des Kreativpaktes dabei gewesen ist, wünschte sich auch für ‚seinen Bereich‘, den digitalen Zweig der Kreativwirtschaft, weniger Schaufensterdebatten und mehr politischen Tatendrang. Obwohl es auch in Deutschland inzwischen viele innovative Startups gebe, kämen die jungen Kreativen in politischen Debatten kaum zu Wort, sagte er in seiner Keynote. Von der Politik und speziell der Sozialdemokratie forderte Lumma von ihnen zu lernen und „mehr Mut und Elan, mehr Punk und Rock 'n' Roll“ ins politische System zu einzubringen. Neben neuer kultureller Vielfalt gehe es schließlich auch um die Suche nach neuen Geschäftsmodellen, die die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen. Trotz wichtiger Teilerfolge auf dem Weg ins digitale Zeitalter, müsse man in Deutschland noch viel schneller und umfänglicher als derzeit die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen: mehr digitale Infrastruktur in ganz Deutschland, mehr digitale Bildung und Smartphone/Tablet-Einsatz in den Schulen, und mehr Austausch mit jungen Gründerinnen und Gründern der Digitalwirtschaft über neue Lebens- und Arbeitswelten. Angesichts der großen Umbrüche, die die Digitalisierung mit sich bringe, wünschte sich Lumma für Deutschland zudem eine Aufbruchstimmung wie zu Zeiten von Willy Brandt und Günter Grass.

KreativpaktPlus – es wird weitergemacht

Nicht nur die Kreativwirtschaft befindet sich im Wandel: Neue Technologien erschaffen neue Verwertungssysteme, flexiblere Arbeits- und Lebensmodelle erfordern dringender denn je neue Antworten für Erlösmodelle und vor allem die soziale Absicherung der Kreativen und Künstler. Ob Beschäftigte am Filmset, Journalisten oder Musiker – das größte Problem der kommenden Generationen sei vor allem die Prekarisierung von Arbeit in der Kreativwirtschaft, betonten die Diskussionsteilnehmer wie Heinrich Schafmeister (Schauspieler und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel), Frank Überall (Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes) oder Michael Herberger (Musikproduzent bei Naidoo/Herberger Produktion). Dies behalte die SPD-Fraktion Partei besonders im Blick, versprach Siegmund Ehrmann.

Klingbeil und Renner appellierten in diesem Zusammenhang an die Kreativen: „Mischt Euch ein! Vernetzt Euch! Wir müssen mehr werden und uns weiter austauschen“. Gemeinsam könne man „bessere Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden“. Je mehr Kreative sich einbringen, umso stärker und lauter könnten ihre Interessen auch innerhalb zukünftiger Koalitionsverhandlungen und Regierungsrunden vertreten werden, erklärte Klingbeil

Christoph Backes, Leiter Kompetenzzentrum Kultur und Kreativwirtschaft des Bundes, resümierte treffend: Gut, dass es den Kreativpakt gibt. Jetzt müsse er nur noch „lauter, schneller und dreckiger“ werden. Und so vereinbarte man am Ende der Veranstaltung, die Forderungen des bisherigen Kreativpaktes noch einmal gemeinsam zu aktualisieren – in einem KreativpaktPlus.

 

Jasmin Hihat / Stephanie Weyand