Christine Lambrecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, skizzierte die Umstände der Entdeckung des NSU durch die Polizei, die nämlich „zunächst nach einem Banküberfall aussahen und sich dann als grauenhafte Mordserie entpuppten“. Lambrecht diagnostizierte „kolossales Versagen der Sicherheitsbehörden“. In dem Zusammenhang kritisierte sie auch das umstrittene Aktenschreddern des zuständigen Referatsleiters im Bundesamt für Verfassungsschutz unmittelbar nach Auffliegen der Terrorzelle: „Das kann kein Zufall sein.“

 

Als „eines der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Republik“ bezeichnete SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann die Mordserie. Es sei ein „deprimierender Befund, dass Behörden das nicht verhinderten“. Nun gehe es darum, eine erste Bilanz zu ziehen: Wo stehen wir nach einem Jahr Ermittlungen und Aufarbeitung? Denn immerhin gebe es inzwischen mehrere Untersuchungsausschüsse in den Parlamenten, so auch im Bund.
Bald werde der Generalbundesanwalt Anklage gegen die inhaftierte Beate Zschäpe erheben – „und darauf haben wir gewartet“.

Oppermann betonte, dass die professionelle Arbeit der Geheimdienste bei islamistischem Terror Vorbild sein müsse bei der Abwehr rechtsterroristischer Akte. „Ich sehe nicht, dass Bundesinnenminister Friedrich den Umbau der Sicherheitsbehörden wirklich vorantreibt“, kritisierte Oppermann. Es gebe zudem bis heute keinen Überblick, welche Gewalttaten NPD-Funktionäre genau begangen haben und begehen. Überhaupt könne die NPD immer noch schalten und walten. Für Oppermann steht fest: „Der Rechtsextremismus ist systematisch unterschätzt worden“.

U-Ausschuss hat vieles zutage gefördert

Eva Högl, Obfrau der SPD im Untersuchungsausschuss NSU, bezeichnete den Nationalsozialistischen Untergrund als „Anschlag auf die Demokratie“. Sie berichtete von der Arbeit des Ausschusses und erläuterte das koordinierte und erfolgreiche Vorgehen gemeinsam mit den Untersuchungsausschüssen auf Länderebene. „Es war für alle Beteiligten im U-Ausschuss immer klar, dass wir hier kein Kampfinstrument schaffen wollten“, sagte Högl, und das sei auch gelungen. Der Ausschuss habe vieles offen gelegt und herausgefunden, auch wenn das zunächst nur wenige geglaubt hätten. Ein Befund sei beispielsweise, dass der NSU sich das föderale System der Bundesrepublik zunutze gemacht habe. Das bedeute, es müsse künftig mehr die Bundeskompetenz bei Ermittlungen hinzugezogen werden.
Der Ausschuss, so Högl, soll seine Arbeit bis zum Ende der Legislatur abgeschlossen haben, um dann dem neuen Bundestag Empfehlungen mit auf den Weg zu geben.

In der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von SPIEGEL-Ressortleiter Holger Stark, erläuterte Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, wie der Verfassungsschutz reformiert werden müsste. Daneben gelte es aber auch, die Finanzkraft der Kommunen zu stärken, etwa damit sie Jugendhäuser und ähnliches betreiben könnten – Stichwort Prävention. Hartmann sagte, dass auch auf politischer Ebene viel versäumt worden sei: „Wir haben nicht immer hartnäckig genug nachgefragt im Kontrollgremium.“

Der Chef des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke konstatierte eine Überforderung der Öffentlichkeit durch die verschiedenen Geheimdienstinstitutionen und Zuständigkeiten. Er forderte eine Einstellungsquote im BKA für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Ziercke konzedierte, dass die parlamenatrischen Kontrollrechte gestärkt werden müssten.

Ulrich Mäurer, Senator für Inneres in Bremen, stellte die Frage in den Raum, wie künftig mit V-Leuten umgegangen werden soll. Dürfen sie nur noch nach Genehmigung durch das Parlament eingesetzt werden?

Die Vorhaltung Holger Starks nach der Denkschule in Ermittlungsbehörden konterte Ziercke, Ermittlungen beruhten immer auf Erkenntnissen – „aber da war eben nichts“.

„Empathielosigkeit gegenüber den Opfern“

In der zweiten Diskussionsrunde, moderiert von Steffen Hebestreit von der Frankfurter Rundschau/Berliner Zeitung, stellte Kenan Kolat, Vorsitzender der türkischen Gemeinde, klar, dass es bei der Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden nicht reiche, nur den Präsidenten auszutauschen; sondern die Kontrolle müsse auch reformiert werden. Kolat: „So, wie er ist, habe ich Angst vor dem Verfassungsschutz“.

 

Sönke Rix, Leiter der AG Strategien gegen Rechtsextremismus, postulierte, dass „Rassismus leider zum Alltag der Gesellschaft“ gehöre. Er warnte davor, Links- und Rechtsextremismus gleichzusetzen.

Innerhalb der intensiven Diskussionen sagte Bianca Klose von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, dass der latente Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zu wenig thematisiert werde; das sei ein Problem in den Behörden genauso wie bei den Medien. Zudem herrsche eine „Empathielosigkeit gegenüber den Opfern“.

Barbara John (CDU) schließlich, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der Opfer des NSU-Terrors, kritisierte die fehlende Solidaritätsbekundung mit den Opfern und ihren Angehörigen. Sie arbeite mit 70 Familien der Opfer der NSU-Attentate zusammen. John erzählte, wie schlimm die Familien durch den Verlust des Ernährers in den „Strudel aus Schulden und Chaos“ gerieten.
Sie forderte, als Standard müsse künftig „immer auch nach rechts ermittelt werden“. John empfahl eine Stiftung zu gründen, bei der alles Ermittlungsmaterial im Zusammenhang mit dem NSU archiviert werde; das helfe nicht zuletzt den Angehörigen, das Geschehene zu verarbeiten.

In seinem Schlussstatement sagte Sebastian Edathy, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses: „Hier sind Impulse gegeben worden, die wir mit in den Ausschuss nehmen werden.“ Der Abschlussbericht werde Mitte des kommenden Jahres vorliegen.

 

Alexander Linden