Am ersten „Medienpolitischen Dialog“ zum Thema „Journalismus und Pressefreiheit stärken - Freiheit und Sicherheit demokratischer Medien gegen internationale Desinformation und Medienmanipulation“ nahmen am Donnerstag, den 7. April 2022, im Paul-Löbe-Haus bzw. digital per Webex auf Einladung von Helge Lindh, medien- und kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag zahlreiche Gäste aus Medien, Wissenschaft und Politik teil.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt in erschreckender Deutlichkeit, welchen Gefahren Medienschaffende ausgesetzt sind und welche Bedeutung eine objektive und hochwertige Berichterstattung für die demokratische Gesellschaft und ein friedliches Europa hat.
Mit gezielten Desinformationskampagnen versuchen staatlich gelenkte russische Medien, die demokratische Wertordnung anzugreifen. Die Medienmanipulation und Verfälschung von Fakten als eine systematische internationale Kampagne bedeuten eine Bedrohung für die Ordnung und Sicherheit Europas. Eine Reaktion darauf ist das europäische Verbot von RT und Sputnik.
Dirk Wiese, Stv. Fraktionsvorsitzende der Fraktion für die Bereiche Kultur, Medien, Justiz sowie Inneres und Helge Lindh betonten, dass das wichtigste Ziel der SPD-Fraktion die Stärkung von Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sei. Dafür würden die Bedingungen für Medienschaffende verbessert und der Journalismus gestärkt. Maßnahmen im Kampf gegen Hassrede und Desinformation sowie die Schaffung von mehr Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten hätten oberste Priorität. So strebe die SPD-Fraktion zum Beispiel eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden an. Zudem würden europaweit Maßnahmen gegen Einschränkungen der Freiheitsrechte wie z. B. durch missbräuchliche Klagen (SLAPP) und die Einsetzung eine/s UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten unterstützt. Auch die Rechtssicherheit des gemeinnützigen Journalismus stehe auf der Agenda.
Prof. Dr. Frank Überall, Vorsitzender Deutscher Journalisten-Verband (DJV), sowie Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln erläuterte den hohen Wert der unabhängigen Berichterstattung und begrüßte die von der SPD-Fraktion vorgestellten Schutzmaßnahmen und Gesetzesinitiativen wie etwa das im Koalitionsvertrag verankerte Presseauskunftsrecht oder der Schutz von Whistleblowern. Auch hierzulande sei die Pressefreiheit gefährdet. Für eine lebendige Konkurrenz der Medien seien gute Rahmenbedingungen und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten unerlässlich.
„Es ist ein Zeichen der Wertschätzung, dass Journalismus und Presse gestärkt wird“. Die Wertschätzung beziehe sich einerseits auf die bessere monetäre Unterstützung, um die Arbeit des Journalismus zu würdigen, solange es etwa noch bei Tageszeitungen Honorare unterhalb des Mindestlohns gebe. Er begrüßte die Formulierung im Koalitionsvertrag zur Presseförderung; hier sei besonders darauf zu achten, dass diese Unterstützung auch tatsächlich bei den Journalistinnen und Journalisten ankäme. Andererseits gehe es bei der Wertschätzung um die Wahrnehmung der Bedeutung des Journalismus.
„Pressefreiheit ist ein Menschenrecht“, das auch hierzulande stets verteidigt werden müsste. Es habe gravierende Auswirkungen, wenn die Vielfalt und Freiheit der Presse eingeschränkt werde. So würden die Kampfbegriffe „Lügenpresse“ oder „Systempresse“ systematisch von Menschen etwa bei Demonstrationen eingesetzt, die das demokratische System und die damit verbundene Werteordnung ablehnten. Er begrüße das Vorhaben der SPD-Fraktion zur Einrichtung eines/r UN-Sonderbeauftragen für die Pressefreiheit. Die russische Kriegspropaganda zeige einmal mehr, wie wichtig es für die demokratische Öffentlichkeit sei, sich aus unabhängigen Quellen informieren zu können. Für alle gelte es, extrem wachsam zu sein. Die Presse selbst verfüge mit dem Presserat über ein Gremium, das die Qualität der Berichterstattung wie etwa die Einhaltung publizistischer Grundsätze überwacht. Es bedürfe für die freie Meinungsbildung zudem einer hohen Medienkompetenz.
Juliane Leopold, Chefredaktion ARD-aktuell und Digitales der ARD berichtete aus der Praxis und betonte ebenfalls den hohen Wert der Medienkompetenz, so dass Fakten erkannt und Desinformationen benannt werden können.
„Kriegszeiten sind Desinformationszeiten“, das bedeute, dass formulierte Lügen und Zweifel verstärkt würden. Lügen und Desinformation zeigten sich etwa in Bildern, die aus dem Zusammenhang gerissen im Netz (falsch) dargestellt würden. Durch das Wiederholen von solchen Narrativen würden weitere Zweifel gesät. Solche Strategien potenzierten sich in Kriegszeiten. Die ARD biete im Kampf dagegen beispielsweise einen Faktenfinder zum Faktencheck an.
Die Nachfrage nach Nachrichten und Berichterstattungen der ARD steigere sich derzeit massiv. Ihr Ziel sei es, Nachrichten weiterhin auf unterschiedlichen Wegen und an verschiedenen Orten auszuspielen, um mehr junge Menschen zu erreichen und zu informieren. Das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Sender ist in diesen Zeiten gestiegen.
Jede und jeder Einzelne leiste per Smartphone einen Beitrag zur Meinungsbildung, zur Verbreitung von Botschaften und zur Bewertung von Fakten und der Benennung von Lügen - dies zeige sich im Krieg gegen die Ukraine deutlich. Wir seien alle gut beraten, medienkompetenter zu werden und Medienkompetenz zu streuen. „Wir müssen auf allen Kanälen aktiv gegen Desinformationen ankämpfen, um ihnen die Macht zu nehmen“.
Prof. Dr. Christoph Neuberger, Geschäftsführender Direktor des Weizenbaum-Instituts sowie Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin erläuterte die Wirkweisen und Bedeutung von Propaganda und Medienmanipulation in der vernetzten Welt. Es sei derzeit viel die Rede vom „Ende der Illusionen“, vom „Zeitpunkt des Erwachens“, dabei sei in unterschiedlichen Veröffentlichungen bereits frühzeitig über den Einfluss russischer Propaganda auf die Meinungsbildung in Europa berichtet und davor gewarnt worden.
Die Arbeit des Journalismus mit der unabhängigen Berichterstattung und der Aufklärung über Fake-News und Desinformation sei wesentlich für die Demokratie. Die Schilderungen in der Runde zeigten, wie wichtig der professionelle Journalismus sei, auch wenn der klassische Journalismus in der digitalen Öffentlichkeit seine machtvolle Position als Gatekeeper verloren habe. Im Kontext digitaler Plattformen sei ein fairer publizistischer Wettbewerb keine Selbstverständlichkeit mehr. Das traditionelle Mediensystem stehe vor großen Herausforderungen.
Mit dem Verbot von RT - Russia Today und Sputnik sei beispielsweise eine Maßnahme gegen die Verbreitung von Desinformation erfolgt. Diese Entscheidung sei zwar in der akuten Notlage nachvollziehbar gewesen, dennoch sei es wichtig, eine Rechtsgrundlage für solche Maßnahmen in einer „wehrhaften Demokratie“ zum Schutze der freien Meinungsbildung und zur Abwehr staatlicher Propaganda zu schaffen. Dafür müssten auch die Begriffe „Propaganda“ und „Desinformation“ weiter geschärft werden.
Als einer der Verfasser des Begleitgutachtens zum Medien- und Kommunikationsbericht 2021 stellte er zum Schutz der Medienfreiheit und für eine liberale Demokratie Lösungsansätze vor, wie etwa der Aufbau kooperativer Medienplattformen. Mit der Schaffung eines adäquaten Rechtsrahmens könnten Medienakteure auch auf neuen „kooperativen Medienplattformen zusammenarbeiten und eine mediale Grundversorgung“ bieten. Es brauche für den Journalismus mehr Möglichkeiten für Innovationen und die Stärkung seiner Navigations- und Moderationsleistungen. Wichtig sei zudem der Ausbau der Medienkompetenz sowie die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in Form von Bürgermedien.
Dr. Marco Holtz, Justiziar der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), der Dr. Eva Flecken Direktorin der Medienanstalt vertrat, berichtete zum Stand der Medienregulierung.
Zum Hintergrund: Die Gemeinschaft der Landesmedienanstalten hatte im Februar 2022 die Veranstaltung und Verbreitung des Fernsehprogramms „RT DE“ in Deutschland beanstandet und untersagt, da die erforderliche medienrechtliche Zulassung nicht vorlag. Am Tag des Mediendialogs, dem 7. April, berichtete die mabb, dass die Verbreitung des linearen Fernsehprogramms „RT DE“ in Deutschland vollständig eingestellt sei.
Solche medienrechtlichen Verfahren zeigten, dass die staatsferne Medienregulierung in Deutschland funktioniert. Bei der Durchsetzung sei es gleichwohl wünschenswert, dass Dritte schneller und einfacher in Anspruch genommen werden können, so z.B. Satellitenbetreiber oder Access-Provider. Der Fall belege zudem die Bedeutung des Staatsfernegebots des Rundfunks, wie es in Deutschland gilt. Die Medienanstalten schlagen daher vor, dass die Staatsferne europaweit verankert wird.
Mit der Reform des Medienstaatsvertrages seien bereits erste wichtige Schritte getan worden. Denn aufgrund des neuen § 19 Medienstaatsvertrag, wird die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht von Onlinemedien (Telemedien) geregelt. Hier seien dicke Bretter zu bohren, die Abgrenzung von Onlinemedien von der Onlinepresse sei nicht immer einfach. Mit einer Nachschärfung des Medienstaatsvertrages könne die Abgrenzung oder die Beteiligung von Dritten besser geregelt werden. Ein Ziel wäre auch ein europaweit einheitliches Gebot der Staatsferne.
Im Zweifel gehe es den Medienanstalten immer zugunsten der Meinungsfreiheit, damit sie nicht das gefährdet, was sie schützt: denn ihre Kernaufgabe sei die Sicherung von Medienvielfalt und Meinungsfreiheit.
Unabhängig davon wurden im März EU-weit als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sämtliche Inhalte von RT und von Sputnik im Rahmen von Wirtschaftssanktionen verboten. Da die Russische Föderation laut EU-Kommission mit diesen „Propagandaaktionen“ eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union darstellte1.
An der anschließenden Diskussion zur Pressefreiheit und Medienvielfalt und dem Umgang mit Propaganda und Fake-News beteiligten sich unter anderem Prof. Christoph Fiedler vom Medienverband der freien Presse, Dr. Susanne Pfab von der ARD, Tim Steinhauer von VAUNET, Helmut Verdenhalven vom BDZV, Daniel Scheschkewitz vom Personalrat der Deutschen Welle, Dr. Wolfgang Ressmann von den Bürgermedien, Stephanie Hajdamowicz vom ARD-Freienrat sowie das Mitglied der SPD-Fraktion Daniel Schneider. Bei allen Beteiligten gab es Übereinstimmung in dem Ziel, die Medien- und Pressefreiheit und -vielfalt zu stärken und Medienkompetenz auszubauen. Ein Beispiel für die Stärkung der Medien- und Nachrichtenkompetenz ist etwa das Projekt „Journalismus macht Schule“ oder der Austausch im „Media Dialogue“ (Motto ‚Don’t feed the flame – tell the truth‘ der Bürgermedien).
Die SPD-Fraktion dankt den Gästen für die vielseitige Diskussion und die zahlreichen Anmerkungen. Der Austausch im Rahmen des „Medienpolitischen Dialogs“ wird zu unterschiedlichen Themen in dieser Legislatur weitergeführt.