Als die Verbrechen der Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannt wurden, hat der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung „Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ (Drs. 17/7771) festgelegt zu überprüfen, wo Hindernisse dem Engagement demokratischer Gruppen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegenstehen. Darin heißt es: „Wir sind entschlossen, sowohl die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten vertieft fortzusetzen als auch die unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen. Dazu ist eine umfassende Fehleranalyse unverzichtbar. Aus Fehlern müssen die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.“
Die Datenlage rechtsextremistisch motivierter Vorfälle und Fälle von „Hasskriminalität“ in Deutschland bildet die Realität nicht vollständig ab. Zivilgesellschaftliche Akteure listen regelmäßig mehr rechtsextremistische Vorfälle und Fälle von „Hasskriminalität“ als die amtliche Statistik. So zählt die amtliche Statistik 47 Todesopfer rechtsextremer Gewalt im Zeitraum von 1990 bis 2009, wohingegen Opferberatungsstellen und Journalisten für die Zeit von 1990 bis 2009 bis zu 181 Todesopfer nennen. Beide Zählweisen erfassen nur die Fälle, in denen durch Zeugenbeobachtungen ein rechtsextremistischer Bezug herzustellen ist. Das Dunkelfeld ist dagegen überhaupt nicht erfasst.
In Städten herrscht oft die Kultur des Wegschauens
Oft liegt der Grund dafür im Umgang der Behörden mit Rechtsextremismus im Alltag. Opfer rechter Gewalt, Beratungsstellen und Opfervereine beklagen, bundesweit gegen eine Mauer aus Ignoranz und Verharmlosung kämpfen zu müssen. Polizei und Strafverfolgungsbehörden verneinten allzu oft die politischen Motive von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Darüber hinaus existiere in vielen Städten eine Kultur des Wegschauens.
Die SPD-Fraktion bringt nun einen Antrag ins Plenum ein, der den Titel trägt „Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus“ (Drs. 17/11366). Darin fordert sie die Bundesregierung auf:
- einen Forschungsauftrag zu erteilen, der statistisch ermittelt, wie viele Menschen Opfer /Zeuge, bzw. Zeugin rechtsextremer Gewalt bzw. Propagandadelikte geworden sind. Die Ergebnisse der Studie sollen mit der amtlichen Statistik politisch motivierter Straftaten abgeglichen werden, um eine Annäherung an die tatsächlich Zahl rechtsextrem und rassistisch motivierter Straften zu erreichen;
- einen Forschungsauftrag zu erteilen, in dem Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch aufgedeckt werden. In einer solchen repräsentativen Studie sollen die Erfahrungen der Engagierten mit rechtsextremer Propaganda und rechtsextremer Gewalt transparent gemacht werden;
- einen Bericht vorzulegen, der einen bundesweiten Überblick über die Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden gibt.
Ziel: Die Verfassungsschutzbehörden müssen als Frühwarnsystem fungieren. Die geltende Zählweise rechtsextremer Straftaten verfehlt dieses Ziel. Die Sicherheitsbehörden benötigen umfassende Kenntnisse, welche durch systematische und kontinuierliche Opferstudien im Bereich Rechtsextremismus ergänzt und so insgesamt sichergestellt werden müssen.