Es sei eine Gemeinschaftsaufgabe, das verloren gegangene Vertrauen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiederherzustellen, sagt der medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Helge Lindh, gegenüber medienpolitik.net. Auf die Rede von Tom Buhrow in Hamburg Bezug nehmend stellt er fest, dass es im Kern richtig sein, dass es dabei keine Tabus geben dürfe. Doch Schlagworte würden aktuell aber nur bedingt weiterhelfen. Es brauche einen strukturierten Prozess, unter Beteiligung der Länder, Sender, Gremien, Mitarbeiter:innen sowie der Beitragszahlerinnen und -zahler. „Was es nicht braucht: Selbstmord aus Angst vor dem Tode“, so Lindh. Dabei ginge es um alle Reformen, die helfen, die Arbeit der Medienschaffenden zu stärken und verkrustete Strukturen abzubauen: Reformen zur Demokratisierung nach innen und außen und zur Stärkung von Compliance und Transparenz. Dabei gelte es: raus aus der Defensive, die Debatte nicht scheuen, Flucht nach vorne.

medienpolitik.net: Herr Lindh, wie bewerten Sie den Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die in den vergangenen Wochen bekanntgewordenen Missstände in einigen ARD-Anstalten?

Helge Lindh: Es ist sehr nachvollziehbar, dass ein Teil der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgrund der jüngsten Vorfälle bei Sendern wie dem rbb nun weniger vertraut. Das Fehlverhalten einzelner in den Führungsriegen trifft auch die vielen Journalistinnen und Journalisten, die Tag für Tag aufopferungsvoll dafür arbeiten, eine qualitativ hochwertige Berichterstattung und ein vielfältiges Programmangebot für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen. Das wichtigste Ziel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss es sein, diesem erheblichen Vertrauensverlust entgegenzuwirken. Vertrauen ist die Grundlage des öffentlich-rechtlichen Auftrags und Basis der Beitragsfinanzierung durch die Allgemeinheit. Jegliches Fehlverhalten muss schonungslos aufgeklärt werden. An Strukturen, die dieses Fehlverhalten ermöglicht haben, muss nicht nur gerüttelt werden. Sie müssen vollständig destruiert werden.

medienpolitik.net: Wie kann das verlorengegangene Vertrauen jetzt wiedergewonnen werden?

Helge Lindh: Mit Mut und Demut, mit schonungsloser Ehrlichkeit und Selbstkritik, mit grundlegenden Strukturreformen. Die Devise der Reformierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss lauten: mehr Demokratie nach innen, mehr Demokratie nach außen. Bei den Gehältern braucht es die größtmögliche Transparenz. Der ÖRR muss sich selbst hohe Standards in Sachen Compliance und Transparenz setzen, um das Vertrauen bei den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern wiederzuerlangen. Der ÖRR muss zeigen, wie effektive Transparenz und Corporate Governance heutzutage auszusehen haben.

medienpolitik.net: Welche Rolle spielt dabei der sparsame Umgang mit Beitragsmitteln?

Lindh: Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Sender sind wichtige Grundlagen für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. In öffentlichen Bereichen und gerade dort, wo öffentliche Mittel eingesetzt werden, sind zeitgemäße Transparenz- und Compliance-Systeme essentiell. Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten lassen sich so bereits frühzeitig aufdecken und aufklären. Die Nutzung von Mitteln muss glasklar dokumentiert werden. Fragen der Produktionsgesellschaften sind dabei genauso zu klären wie Vergaben an Dritte und stille Beteiligungen. Sparsamkeit muss gewährleistet werden – aber nicht auf Kosten der Qualität von journalistischer Arbeit und Berichterstattung. Gerade in Zeiten der Desinformation und parzellierten Öffentlichkeit müssen wir weiterhin in unabhängige und qualitativ hochwertige journalistische Arbeit investieren.

medienpolitik.net: Welche Verantwortung bei der Aufarbeitung und Veränderungen bei der Kontrolle der Verwendung der Beitragsmittel und einer Verbesserung der Compliance-Regeln tragen die öffentlich-rechtlichen Sender, welche die Medienpolitik der Länder?

Helge Lindh: Sowohl die öffentlich-rechtlichen Sender als auch die Länder tragen Verantwortung. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Die Politik muss die Erwartungen, Ziele und Standards definieren. Staatsverträge und Landesrundfunkgesetze setzen den Rahmen. Die Sender ihrerseits müssen entsprechende Mechanismen entwickeln, die Praxis der Aufsichtsgremien gewährleisten und verbessern. Sie müssen Compliance und Transparenz operationalisieren. Darüber hinaus müssen die Sender nach innen und nach außen demokratische Strukturen stärken. Sie müssen sowohl ihre Mitarbeiter und die Aufsichtsgremien stärker beteiligen und ermächtigen – als auch die Zuschauerinnen und Zuschauer, die den Rundfunk finanzieren.

„Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Sender sind wichtige Grundlagen für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.“

medienpolitik.net: Welche Reformen bei ARD und ZDF sind Ihrer Meinung nach jetzt erforderlich?

Helge Lindh: Alle, die helfen, die Arbeit der Medienschaffenden zu stärken und verkrustete Strukturen abzubauen. Reformen zur Demokratisierung nach innen und außen und zur Stärkung von Compliance und Transparenz. Dabei gilt es: raus aus der Defensive, die Debatte nicht scheuen, Flucht nach vorne!

Es ist gut, dass die Debatte gesellschaftlich breit geführt wird. Wir hören viele Stimmen, die konstruktiv kritisieren, sinnvolle Lösungsvorschläge unterbreiten. Es gibt aber auch populistische Kommentierungen von Kritikerinnen und Kritikern, denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon lange ein Dorn im Auge ist. Sie wollen den Moment der Schwäche nutzen, um den ÖRR weiter zu beschädigen und letztendlich abzuschaffen. Tom Buhrow sagte jüngst, es dürfe keine Tabus geben. Das ist im Kern richtig. Schlagworte helfen aktuell aber nur bedingt weiter. Es braucht einen strukturierten Prozess, unter Beteiligung der Länder, Sender, Gremien, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Beitragszahlerinnen und -zahler. Was es nicht braucht: Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

medienpolitik.net: Der 3. Medienänderungsstaatsvertrag sieht eine Stärkung der Aufsichtsgremien vor. Wie können die Gremien die gewachsenen Anforderungen, angesichts der bisher anscheinend unzureichenden Kontrolle, bewältigen?

Helge Lindh: Im Zuge der Reform sollte das Intendantenmodell geprüft werden, Teamlösungen der Spitze könnten eine ernsthafte Alternative sein. Die Rolle der Aufsichtsgremien sollte in Bezug auf ihre Kontrollfunktion gestärkt, die Befugnis der Mitglieder der Aufsichtsgremien gesteigert werden. So sind exklusive Absprachen und Vereinbarungen zwischen Intendanz und Spitze des Verwaltungsrats oder Rundfunkrats zu verhindern. Es darf nicht sein, dass Vergütungssysteme z.B. in kleinsten Zirkeln vereinbart werden und so Abhängigkeiten bestehen. Die Aufsichtsgremien sollte die Gesellschaft möglichst zeitgemäß abbilden. Damit die Mitglieder der Aufsicht tatsächlich Kontrolle ausüben können, müssen sie zwingend bestimmte Standards der Qualifizierung und fortwährenden Weiterbildung erfüllen. Sie müssen befähigt werden, über die Instrumente zur Kontrolle auch souverän zu verfügen.

medienpolitik.net: Die SPD-Bundestagsfraktion sowie die medienpolitischen Sprecher der SPD in den Landtagen hatten kürzlich einen Informationsaustausch mit den Intendanten von ARD und ZDF zu dieser Problematik. Haben die Sender den Ernst der Lage erkannt?

Helge Lindh: Mein Eindruck war: Der Ernst der Lage wurde von allen Beteiligten erkannt. Allen ist bewusst, dass Schönheitsreparaturen diesmal nicht ausreichen, sondern sich grundlegend etwas ändern muss. Sowohl der ARD-Vorsitzende als auch der ZDF-Intendant haben ihre große Betroffenheit über das verlorene Vertrauen geäußert, sich durchaus selbstkritisch gezeigt. Beide sehen sich als Reformer, die für tatsächliche Veränderungen, eine Demokratisierung der Strukturen und mehr Dialog arbeiten. Gemessen werden sie nun an konkreten Reformmaßnahmen und ihren Erfolgen.

medienpolitik.net: Die Medienpolitik fällt in die Kompetenz der Bundesländer. Warum befasst sich die SPD-Bundestagsfraktion mit dieser Problematik?

Helge Lindh: In dieser Frage fühle ich mich sowohl als demokratiepolitischer als auch als medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion angesprochen. Dazu hilft zunächst ein Blick in den Koalitionsvertrag, dort steht für den Bereich der Medienpolitik: „Freie und unabhängige Medien sind in einer Demokratie unverzichtbar. Dazu gehören private und öffentlich-rechtliche Medien. Sie sichern Pluralität und Vielfalt und müssen barrierefrei sein. Gemeinsam mit den Ländern befördern wir eine breite gesellschaftliche Debatte über den Wert freier Medien für die Demokratie.“  Der Wert freier Medien für die Demokratie kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Ein freier Bürger-Rundfunk ist ein essentieller Teil der Demokratie. Wir brauchen ihn gerade jetzt im Kampf gegen Desinformation, Fake News und Manipulation in sozialen Netzwerken. Ich bin überzeugt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird überleben und er wird aus dem notwendigen Reformprozess gestärkt herausgehen.