NOZ: Herr Oppermann, führt der bevorstehende SPD-Bundesparteitag eine große Debatte über eine verstärkte militärische Verantwortung Deutschlands in der Welt?
Thomas Oppermann: Deutschland hat eine starke Rolle in der Außen-und Sicherheitspolitik. Und die Verantwortung Deutschlands wächst. Natürlich werden wir auch auf dem Parteitag darüber diskutieren. Dabei gilt: Politische Lösungen haben absolute Priorität. Militärische Mittel sind allerdings in Ausnahmesituationen – wie im Fall der Anti-Terror-Allianz gegen den Islamischen Staat (IS) – unumgänglich. Wir müssen verhindern, dass sich der IS weiter ausbreitet und Fakten schafft, bevor die politischen Gespräche in Wien zur Befriedung Syriens Erfolge haben können.

Befürchten Sie eine Spaltung der Partei? 31 Abgeordnete der SPD haben im Bundestag gegen den Bundeswehr-Einsatz gegen den IS in Syrien gestimmt oder sich der Stimme enthalten…
Nein. Ich glaube, die SPD ist eine Partei des Friedens und der internationalen Verantwortung. Wir gehen nicht blind in militärische Abenteuer. Wenn wir einen Bundeswehreinsatz billigen, dann nur, wenn nach sorgfältiger Abwägung militärische Mittel als ultima ratio unabdingbar sind.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat den geplanten Syrien-Einsatz der Bundeswehr als Kriegseinsatz eingestuft…
Natürlich ist das eine kriegerische Auseinandersetzung. Der Islamische Staat (IS) hat den Demokratien und Wertesystemen der westlichen Welt eindeutig den Krieg erklärt. Aber mit dem Wort „Krieg“ wird in Deutschland etwas anderes verbunden: Damit verknüpfen die Menschen die Vorstellung, dass sich die Armeen von Nationalstaaten einander gegenüber stehen. Eine solche Situation haben wir nicht. Deshalb würde ich nicht ohne weitere Erläuterungen von „Krieg“ sprechen. Fakt ist: Das ist ein gefährlicher Einsatz, bei dem unsere Soldaten ihr Leben riskieren.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt eine Aufstockung der Bundeswehr prüfen. Der Bundeswehrverband fordert 5000 bis 10 000 Soldaten mehr. Wie steht die SPD dazu?
Wir hatten während des seit 2001 laufenden Afghanistan-Einsatzes bis zu 10 000 Soldaten im Auslandseinsatz. Im Moment sind es 3000. Das kann die Bundeswehr schaffen. Ich halte es eher für notwendig die Bundespolizei weiter personell zu verstärken, um die Innere Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Wir haben für die Bundespolizei bereits weitere 3000 Stellen beschlossen. Zusätzliche Verstärkungen werden notwendig sein.

Stichwort Flüchtlingspolitik: Bleibt die SPD die stärkste Stütze der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel?
Wir haben ganz sicher nicht in allen Fragen die gleiche Auffassung wie die CDU-Bundesvorsitzende. Deren Position können wir in dem fortgesetzten Streit innerhalb der Union über die Flüchtlingspolitik nicht immer klar erkennen. Es kann jedenfalls nicht richtig sein, eine Million Flüchtlinge mit einem freundlichen Gesicht ins Land zu holen und sie dann aber möglichst schlecht zu behandeln, um weitere Flüchtlinge abzuschrecken. In diesem tiefen Widerspruch steckt die Union und ist deswegen zurzeit ein schwieriger Koalitionspartner.

Vor dem CDU-Parteitag an diesem Montag  wächst der Druck auf Angela Merkel, den Zustrom an der deutschen Grenze aufzuhalten. Wird sie aus Gründen des Machterhalts der parteiinternen Forderung nach einer Obergrenze nachgeben?
Das weiß ich nicht. Ich halte die Diskussion um nationale Obergrenzen für populistisches Geschwätz. Sie lösen kein einziges Problem und führen nicht dazu, dass ein einziger Flüchtling weniger kommt. Was wir brauchen sind drei Dinge: Wir müssen die Lagen der Flüchtlinge in der Krisenregion deutlich verbessern. Wir müssen unsere Außengrenzen sichern. Wir müssen gleichzeitig Abschottung vermeiden und über großzügige Kontingente Flüchtlinge aufnehmen. So bekommen wir die Kontrolle über unsere Grenzen zurück und schalten kriminelle Schlepper aus.

Wenn jetzt die CDU die Forderung nach Obergrenze für Flüchtlinge beschließt, was hat das für eine Auswirkung auf das Regierungsbündnis mit der SPD im Bund?
Das wäre eine  Rolle rückwärts der Bundeskanzlerin, eine Kehrtwende in ihrer Flüchtlingspolitik. Ich glaube nicht, dass die CDU ein solches Risiko eingeht.

Sehen Sie eine Machterosion bei der Kanzlerin, auch weil ihre Kontingent-Strategie für die Verteilung von Flüchtlingen in der EU auf Ablehnung stößt? Hat dies Folgen für die Große Koalition?
Ich hoffe sehr, dass die CDU auf ihrem Parteitag ihren monatelangen Streit beenden kann. Die SPD ist ein verlässlicher Koalitionspartner. Aber wir brauchen auch eine berechenbare Union. Ich wünsche mir vom CDU-Parteitag hinreichende Klarheit in der Flüchtlingspolitik.

Muss die EU-Grenzschutzagentur Frontex zu einem massiven EU-Grenz- und Küstenschutz ausgebaut werden, wie die CSU fordert?
Teile der EU-Außengrenzen sind komplett ungesichert. Zwischen Griechenland und der Türkei bestimmen oftmals allein Schlepperorganisationen, was dort an den Grenzen passiert. Das kann so nicht weitergehen. Wir brauchen die stärkere Unterstützung der Türkei, aber auch den stärkeren Einfluss von Frontex. Wenn einzelne Staaten – wie Griechenland – mit der Grenzsicherung hoffnungslos überfordert sind, muss Frontex stärkere Kompetenz eingeräumt werden.

Zum Schluss: SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt sich auf dem bevorstehenden SPD-Parteitag zur Wiederwahl:  84 Prozent bekam er bei der letzten Vorstandswahl….
Sigmar Gabriel hat als Parteivorsitzender eine exzellente Arbeit gemacht. Die SPD ist auch nach zwei Jahren Großer Koalition im Bund weiterhin die bestimmende Kraft. Es war eine gute erste Halbzeit für die SPD – mit vielen Treffern. Mindestlohn, Mietpreisbremse, Frauenquote – das sind nur einige Beispiele. Ich bin sicher, dass der Parteitag dies anerkennt und Sigmar Gabriel ein gutes Ergebnis erzielen wird.

Erreicht er über 90 Prozent?
Unsere Delegierten sind politisch klug genug, um zu wissen, dass Deutschland eine starke SPD braucht und einen starken SPD-Vorsitzenden, damit es  in unserem Land auch in den nächsten beiden Jahren in die richtige Richtung geht.

Nach einer Umfrage von Infratest Dimap halten 44 Prozent der Befragten Außenminister Frank-Walter Steinmeier für den besten SPD-Bewerber um das Kanzleramt, aber nur 17 Prozent Gabriel. Welche Folgen hat das?
Es ist kein Zufall, dass Frank-Walter Steinmeier das höchste Ansehen aller Regierungsmitglieder genießt. Mit großer Ausdauer und Diplomatie trägt er dazu bei, Konflikte in aller Welt ohne militärische Mittel zu entschärfen. Dafür sind die Menschen dankbar. Sigmar Gabriel ist als Parteivorsitzender der natürliche SPD-Kanzlerkandidat. Ich bin mir sicher, dass er dafür auch die volle Unterstützung der ganzen Partei hat.