Herr Oppermann, mit den Worten „Jetzt langt es aber mal“, ruft CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder die Sozialdemokraten auf, Gesetzesprojekte der Union mit der gleichen Verve zu vertreten wie die eigenen. Aus der SPD-Spitze wird CSU-Chef Horst Seehofer aufgefordert, sich nicht wie ein „Rumpelstilzchen“ aufzuführen. Brechen in der großen Koalition ungemütliche Zeiten an?

Oppermann: Wir haben nach wie vor eine sehr gute Arbeitsatmosphäre innerhalb der Koalition. Wir haben den Willen zum Kompromiss wie die Fähigkeit, Entscheidungen herbeizuführen. Das unterscheidet uns von der Vorgängerregierung. Aber natürlich kommen wir jetzt in einen normaleren Regierungsalltag. Die Zeit der Durchmärsche wie bei Mindestlohn oder Rentenreform sind vorbei.

Gehört zu einer guten Arbeitsatmosphäre, dass Seehofer mit dem Ende der Koalition droht, falls die PKW-Maut nicht kommt?

Das würde ich jetzt nicht überbewerten.

Sollte man Seehofer generell nicht überbewerten?

Ich würde seine Äußerungen nicht überbewerten. Noch liegt kein konkreter Gesetzentwurf für die Einführung der Maut vor, und deswegen brauchen wir auch jetzt nicht nervös zu werden. Die Maut ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Und wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, wird diese Maut kommen.

Mit Seehofer liegt die SPD auch beim Thema Rüstungsexporte über Kreuz. Die neue Linie von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der deutlich weniger Exportgenehmigungen erteilen will als bisher, empfindet Bayern als Gefahr für die deutsche Rüstungsindustrie.

Die SPD will zurück zu den Grundsätzen für den Export von Rüstungsgütern, wie sie in der rot-grünen Regierung galten. Diese Grundsätze sind unter Schwarz-Gelb sehr weit ausgelegt worden. Das müssen wir jetzt korrigieren. Waffenlieferungen in Spannungsgebiete und in Diktaturen darf es nicht geben.
Dann fielen Länder wie Saudi-Arabien und Katar als Exportziele generell aus.
Das sind ganz sicher grenzwertige Fälle. Man muss immer genau prüfen, um welche Rüstungsgüter es sich im Einzelnen handelt und in welche Hände sie am Ende geraten. Heute hantieren diverse Terrorgruppen und Separatistenbewegungen mit deutschen Kleinwaffen. Auch zum Schutz unserer Soldaten müssen wir verhindern, dass eines Tages die Bundeswehr im Auslandseinsatz mit deutschen Waffen angegriffen wird.

Wie wollen Sie verhindern, dass diese neue Linie viele Arbeitsplätze kostet?

Das ist eine Frage, die wir sehr ernst nehmen. Im Rüstungsbereich im engeren Sinne arbeiten ungefähr 20.000 Menschen. Aber wenn man die ganze Zulieferindustrie dazu rechnet, sind es viel mehr. Deshalb müssen wir uns mit den Unternehmen wie den betroffenen Arbeitnehmern überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, von militärischen auf zivile Produkte umzustellen.

Die SPD hat ihre Großprojekte aus dem Koalitionsvertrag weitgehend durchgesetzt: Mindestlohn, Rente mit 63, EEG-Reform. Haben Sie Ihr Programm schon abgearbeitet?

Der Eindruck täuscht. Wir haben zwar schon viel erreicht, aber die meiste Arbeit noch vor uns. Nach der Sommerpause werden wir die Mietpreisbremse, die Frauenquote und die Bekämpfung der Altersarmut in Angriff nehmen. Auch eine deutliche Bafög-Erhöhung wird kommen. Und nicht zuletzt werden wir die Energiewende vorantreiben und durch marktwirtschaftliche Elemente dafür sorgen, dass Strom langfristig bezahlbar bleibt.

Trotz ihrer Erfolge gewinnt die SPD keine neuen Anhänger – ihre Umfragewerte stagnieren. Ist es Zeit, die Strategie der Partei zu überprüfen, wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil mahnt?

Zunächst war es eine richtige Strategie, nach der verlorenen Wahl auf der Grundlage eines gut verhandelten Vertrages eine Koalition zu bilden. Wir haben solide Reformen auf den Weg gebracht und gezeigt: Die SPD hält, was sie versprochen hat. Das Ganze passiert bei einem ausgeglichenen Haushalt, den wir im nächsten Jahr anstreben. Natürlich ist es auch richtig, dass wirtschaftspolitische Profil der SPD weiter zu schärfen. Für uns ist völlig klar, dass soziale Gerechtigkeit und ein funktionierender Sozialstaat nur möglich sind mit einer starken, auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft.

Sie bezeichnen die bisherige Strategie als richtig. Weil und SPD-Vize Schäfer-Gümbel fordern eine stärkere Profilierung in der Wirtschafts- und Bildungspolitik sowie eine breitere thematische Aufstellung  – da gibt es doch offensichtlich einen Dissens?

Ich sehe da keinen Dissens. Die SPD will eine starke und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Deshalb müssen wir stärker in Bildung und Infrastruktur investieren, aber auch darauf achten, dass die Produktionskosten am Standort Deutschland nicht aus dem Ruder laufen. Hier werden wir für ein wachstumsfreundliches Umfeld sorgen.

Die SPD hat Reformen wie die Rente mit 63 durchgesetzt, die das Land gewiss nicht leistungsfähiger gemacht haben. Wenn Sie nun verstärkt für Wachstum sorgen wollen, ist das doch ein Kurswechsel.

Nein. Zunächst gab es Nachholbedarf bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Bei der Leiharbeit im Niedriglohnsektor war es beispielsweise zu schwerwiegenden Fehlentwicklungen gekommen. Das wird jetzt neu justiert.

Bedeutet das auch eine steuerliche Entlastung der Mittelschicht, etwa durch den Abbau der kalten Progression?

Ich finde es nicht in Ordnung, wenn bei Arbeitnehmern aus der Mittelschicht von Lohnzuwächsen weniger als die Hälfte auf dem eigenen Konto landet. Deshalb bleibt der Abbau der kalten Progression ein wichtiges Anliegen. Es muss allerdings aufkommensneutral finanziert sein, denn wir wollen keine Steuersenkung auf Pump.

Wo will die SPD die Wirtschaft entlasten?

Mit dem Abbau von überflüssiger  Bürokratie, mit einem Bildungssystem, das gut ausgebildete Fachkräfte bereit stellt und mit einer vernünftigen Regelung der Einwanderung. Außerdem müssen wir uns darauf konzentrieren, dass wir wieder eine erstklassige Infrastruktur bekommen. Der Reparaturbedarf ist riesig und die Defizite in der Breitbandversorgung sind ein Wachstumshemmnis für Deutschland.

Trotzdem bleibt die Frage unbeantwortet, wie die SPD aus dem „20-Prozent-Turm“ in Umfragen herauskommen will?

Die SPD regiert seit sieben Monaten sehr erfolgreich in einer stabilen Koalition. Dadurch können wir Vertrauen gewinnen. Dieses stellt sich nicht von heute auf morgen ein. Vertrauen muss wachsen.

In der ersten großen Koalition unter Merkel hat sich der damalige SPD-Fraktionschef fast wortgleich geäußert. Warum soll es jetzt besser für die SPD laufen?

Weil wir heute geschlossen sind. Die SPD war in der letzten Großen Koalition politisch zerstritten. Die eine Hälfte der Partei war für die Regierung, die andere dagegen. Das ist heute anders. Der Mitgliederentscheid hat für Klarheit gesorgt: Wir wollen den Erfolg dieser Regierung. Im Übrigen haben wir heute eine völlig veränderte politische Landschaft. Die FDP ist nicht mehr im Bundestag, die AfD fischt am rechten Rand, Grüne und Linke sortieren sich neu. Da ist noch viel Bewegung möglich – in alle Richtungen. Wir werden unsere Chance nutzen.