Eva, der Bundestag berät momentan über das neue Integrationsgesetz. Weshalb ist dieses Gesetz vor allem für die SPD-Fraktion ein großer Erfolg?

Mit dem Aufenthaltsgesetz und der Integrationskursverordnung hat die SPD bereits vor über zehn Jahren erstmals ein zentrales, einheitliches und rechtlich verbindliches Konzept der Integrationsförderung in Deutschland eingeführt. Mit dem Integrationsgesetz wollen wir jetzt an dieses Erfolgsmodell anknüpfen. Denn für uns steht fest: Das frühzeitige Erlernen der deutschen Sprache ebenso wie die Aufnahme einer Arbeit, einer Ausbildung oder eines Studiums sind der Schlüssel für eine gelungene Integration in unsere Gesellschaft und einen dauerhaften Aufenthalt in unserem Land.

Carola, was ist geplant, um Asylbewerber und Geduldete schnell in Arbeit zu bringen und warum ist das nötig?

Unser Arbeitsmarkt ist insgesamt in einer guten Verfassung. Im Mai 2016 waren 655.000 offene Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Das sind 98.000 mehr als vor einem Jahr. Daher bekommen die Bundesländer nun die Möglichkeit, die so genannte Vorrangprüfung bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und Geduldeten auszusetzen. Bei der Vorrangprüfung wird geprüft, ob der Arbeitsplatz nicht mit einem inländischen Beschäftigten besetzt werden kann.

Es gibt viele Arbeitsagenturbezirke in Deutschland, in denen die Vorrangprüfung ins Leere läuft, weil annähernd Vollbeschäftigung herrscht. Dort bindet dieses aufwendige Verfahren nur Arbeitskapazitäten in den Verwaltungen und verzögert die Arbeitsaufnahme. Daher können die Bundesländer in solche Arbeitsagenturbezirken die Vorrangprüfung aussetzen. Das gilt aber nur befristet für die nächsten drei Jahre. Eines müssen wir dabei immer sehen: Integration gelingt am besten über die Betriebe. Dort, wo Menschen miteinander arbeiten. Vom Flüchtling zum Kollegen. Das ist unser Ziel. Und je eher das möglich ist, desto besser.

Was versprichst du dir von dem Arbeitsmarktprogramm ‚Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen‘ im Rahmen des Integrationsgesetzes?

Wir werden 100.000 Arbeitsgelegenheiten als Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen schaffen. Die Arbeitsgelegenheiten haben zwei Ziele: Bereits vor Abschluss des Asylverfahrens können Flüchtlinge damit an den deutschen Arbeitsmarkt herangeführt werden und erste Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig werden damit sinnvolle und gemeinnützige Beschäftigungen in und um Aufnahmeeinrichtungen geschaffen. Aber wie gesagt: Es handelt sich nicht um Arbeitsverhältnisse. Die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen sind ein erster Schritt, damit Flüchtlinge befähigt werden, Arbeit zu finden.

Was sieht das Gesetz zur besseren Integration junger Menschen, die bei uns Schutz suchen, vor?

Ausbildung ist der Schlüssel für junge Menschen, auf eigenen Füßen zu stehen und Teil unserer Gesellschaft zu werden. Bisher gab es für ausbildungswillige Arbeitgeber aber eine große Unsicherheit, wenn sie geduldete Schutzsuchende ausbilden wollten. Denn es war nicht von vornherein klar, ob sie ihre Ausbildung auch beenden dürfen.

Diese Verunsicherung wird beendet und damit die heute vielfach schon vorhandene Ausbildungsbereitschaft erhöht. Die Duldung wird für diese Auszubildenden von vornherein für die gesamte Ausbildungsdauer erteilt. Wer danach eine ausbildungsadäquate Beschäftigung findet, der bekommt ein Aufenthaltsrecht für zwei weitere Jahre. Alle anderen haben sechs Monate Zeit einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Dieses wird auch für junge Menschen gelten, die älter als 21 Jahre sind. Die bisher geltende Altersbegrenzung wird komplett aufgehoben.

Das verbessert die Chancen, für die große Zahl freier Ausbildungsstellen Bewerberinnen und Bewerber zu finden und ihnen damit einen guten Start ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Im Mai 2016 waren 478.000 Ausbildungsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Das sind 14.000 mehr als im letzten Jahr.

Eva, die SPD-Fraktion will bis Ende des Jahres ein Einwanderungsgesetz vorlegen. Wie unterscheidet sich ein Einwanderungsgesetz vom Integrationsgesetz?

Das Einwanderungsgesetz soll eine ganz andere Zielgruppe ansprechen als das Integrationsgesetz. Während das Integrationsgesetz Maßnahmen für diejenigen Menschen bereithält, die bereits nach Deutschland gekommen sind – beispielsweise weil sie aufgrund von Krieg, Terror oder Folter aus ihrer Heimat fliehen mussten –, richtet sich das Einwanderungsgesetz an diejenigen Menschen, die sich vorstellen können, ganz gezielt in Deutschland zu arbeiten.

Mit dem Integrationsgesetz wollen wir Flüchtlingen echte Perspektiven für einen Neustart in Deutschland eröffnen. Mit dem Einwanderungsgesetz wollen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland anwerben und über die Bedingungen für die Arbeitsaufnahme in Deutschland informieren.

Es wird argumentiert, es gebe bereits ausreichend Regeln für die Einwanderung. Weshalb ist ein Einwanderungsgesetz dennoch sinnvoll?

Deutschland braucht Einwanderung. Aufgrund der demographischen Entwicklung verlieren wir in den kommenden Jahrzehnten Millionen Erwerbsfähige. Das gefährdet unseren Wohlstand und unsere hohe Lebensqualität. Auf diese größte Herausforderung für unsere Volkswirtschaft müssen wir Antworten geben. Vorrangiges Ziel der deutschen Sozialdemokratie ist es, die in Deutschland lebenden Arbeitskräfte besser zu mobilisieren und zu qualifizieren.

Zugleich brauchen wir moderne und verständliche Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Einwanderung sollten wir als etwas Positives begreifen, als eine Chance, die gewinnbringend für beide Seiten ist. Wir haben bereits gute Regelungen zur Arbeitsmigration, die wir mit dem Einwanderungsgesetz ausbauen, transparenter gestalten und weiter verbessern wollen, um somit noch mehr Menschen zu erreichen. Ein Einwanderungsgesetz soll – auch unter Formulierung derjenigen Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden – definieren, wer aus dem Ausland zum Arbeiten zu uns kommen kann. Wenn wir als Wirtschaftsnation weiter wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns auch aktiv um ausländische Talente bemühen.