Herr Steinmeier, was hätten Sie denn im Parlamentarischen Kontrollgremium gesagt, wenn man Sie hätte zur NSA-Affäre aussagen lassen?
Ich hätte mit dem erbärmlichen Versuch dieser Bundesregierung aufgeräumt, Nebelkerzen zu werfen und die Schuld auf andere zu schieben. Herr Pofalla hat bewusst zwei Dinge vermischt. Einerseits die offizielle Zusammenarbeit der Geheimdienste befreundeter Staaten in der Auslandsaufklärung, die sich an Recht und Gesetz hält. Die ist notwendig. Und gerade nach den Anschlägen vom 11. September wäre etwas anderes doch gar nicht vorstellbar gewesen. Und andererseits das eigentliche Problem, das Snowden enthüllt hat: Wie geraten private Daten deutscher Bürger in erheblichem Umfang in die Hände ausländischer Geheimdienste? Das ist nach wie vor ungeklärt. Darauf ist Pofalla jede Antwort schuldig.
Und das soll die Wende im Wahlkampf bringen?
Ich finde es geht um mehr als um Wahlkampf. Es ist keine Kleinigkeit, wenn massenhaft Bürgerrechte missachtet werden. Wir müssen Demokraten ein Interesse daran haben, dass es aufgeklärt wird. Einige Geheimdienste gehen offenbar davon aus, dass alles, was technisch möglich ist, auch zulässig ist. Aber der Rechtsstaat muss eine Grenze ziehen zwischen Erlaubtem und nicht Erlaubtem. Da müssen wir sagen: Freunde das geht nicht.
Was sind dann die wichtigen Themen im Wahlkampf?
Ich bin seit Wochen unterwegs und besuche insgesamt mehr als hundert Wahlkreise. Und da erlebe ich, was die Menschen beschäftigt: die Suche nach dem Kita-Platz, die Sorge um eine anständige Rente, der ungeliebte Teilzeit-Job, weil es keine volle Stelle gibt. Das sind Fragen, auf die die SPD gute Antworten hat. Und deshalb war ich froh aus der Berliner Käseglocke herauszukommen, wo sich alle nur gegenseitig Umfragen vorlesen.
Die werden Sie doch auch registrieren müssen …
Ich kann sie nicht ignorieren, werde sie aber auch nicht überschätzen. Die dramatischste Zahl ist für mich, dass 35 Prozent noch gar nicht wissen, dass am 22. September gewählt wird.
Und woran liegt das?
Auch daran, dass Angela Merkel den Wahlkampf verweigert. Aber da sage ich den Leuten: Seid nicht zufrieden damit, dass die Kanzlerin euch in Ruhe lässt. Das ist eine Politik ohne morgen. Sie hat in vier Jahren keine wesentliche Entscheidung getroffen, die dafür sorgt, dass es uns auch in fünfzehn Jahren noch gut geht. Gerd Schröder hat die Kohlen aus dem Feuer geholt. Frau Merkel hat sich ins gemachte Bett gelegt. Wir haben zehn Jahre gebraucht, um vom letzten Platz beim Wirtschaftswachstum in Europa nach vorn zu kommen. Aber dieser Wettbewerbsvorteil kann schnell auch wieder dahin sein, wenn man nicht rechtzeitig die Weichen stellt.
Geht nicht die SPD selbst auf Distanz zur Agenda 2010?
Wir haben nach den notwendigen Entscheidungen viel Hader in den eigenen Reihen gehabt. Nicht alles hat sich so entwickelt, wie wir es erhofft haben. Die Leiharbeit war dazu gedacht, Spitzen abzufedern, nicht zur Ersetzung von Stammbelegschaften. Da müssen wir korrigieren. Aber eine Rückabwicklung wird es nicht geben.
Ihr Nachfolger im Kanzleramt war Thomas de Maiziere. Nun kämpft er als Verteidigungsminister mit der Drohnenaffäre. Sie haben seinen Rücktritt nicht gefordert …
Ich habe gefordert, dass aufgeklärt wird und Transparenz über die Entscheidungswege geschaffen wird. Das alles ist ja keine Kleinigkeit: ein Schaden von mindestens 500 Millionen Euro. Und das Krisenmanagement hat de Maizières Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen.
Ihr Nachfolger im Außenministerium hat sich anfangs schwer getan. Wie bewerten Sie Guido Westerwelle Amtsführung?
Es muss ja kein Nachteil sein, dass es bei den großen Linien der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen Union und SPD keine Fundamentalkonflikte gepflegt werden. Aber natürlich gibt es Unterschiede. Die SPD stand und steht für eine selbstbewusste Außenpolitik mit Verantwortung und Präsenz auch in den Krisenregionen dieser Welt. Merkel hat hierzu ein eher taktisches Verhältnis. Sie hat die Schwäche des Außenministers genützt, um ihren Zugriff auf die Außenpolitik auszuweiten. Unserer Präsenz und Handlungsfähigkeit auf internationaler Ebene schadet das erheblich
Könnten Sie sich vorstellen, nach dem 22. September ins Außenamt zurückzukehren?
Ich könnte nicht täglich Wahlkampf machen, wenn ich über Funktionen und Positionen ab dem 23. September nachdenken würde.
Aber es läuft außenpolitisch nicht so gut, auch im deutsch-französischen Verhältnis …
Das ist enttäuschend und für Europa ein zusätzliches Risiko. Angela Merkel hat den Fehler gemacht, sich von Nicolas Sarkozy im Wahlkampf instrumentalisieren zu lassen. Dadurch wurden die Dinge schwieriger, als sie schon vorher manchmal waren.
Wie fällt denn das Urteil über die eigene Leistung in den vergangenen vier Jahren aus?
Die Fraktion hat sich nach 2009 schnell nach vorn geblickt. Wir üben harte Kritik an der Regierung, aber liefern uns keinen Wettbewerb mit der Linkspartei darum, wer am lautesten schreit. Hans-Jochen Vogel hat einmal gesagt, die SPD müsse jeden Tag bereit sein, die Regierung zu übernehmen. Das beherzigen wir.
Und was ist weniger gut gelungen?
Wir haben wesentliche Korrekturen am europapolitischen Kurs der Regierung durchgesetzt. Die Finanztransaktionssteuer und den Wachstumspakt hätte es ohne uns nicht gegeben. Aber wir haben nicht genügend vermitteln können, warum wir trotz Kritik an der Bundesregierung wichtige Entscheidungen mitgetragen haben. Das war nicht um Merkels Kurs zu unterstützen, sondern um ein Auseinanderbrechen Europas zu verhindern und den europäischen Integrationsprozess abzusichern.
Zum Streitpunkt Energiewende: Gehen die Fehlanreize nicht auf das Konto von Rot-Grün?
Welche Energiewende? Wenn es eine gibt, dann höchstens in die falsche Richtung. Aber konkret: Wenn wir die Markteinführung damals nicht gefördert hätten, gäbe es heute keine Windkraftwerke. Aber wenn die erneuerbaren Energien heute bei 25 Prozent liegen, muss das angepasst werden. Und die jetzige Bundesregierung hat durch Ihren zweimaligen 180-Grad-Wechsel bei der Kernenergie alles erschwert. Klar ist: Nach der Wahl wird jede Bundesregierung die Energiewende vom Kopf auf die Füße stellen müssen.
Das betrifft die Strompreise …
Wir haben eine Senkung der Stromsteuer um 25 Prozent vorgeschlagen. Bei den energieintensiven Betrieben bin ich für eine Beibehaltung der Sonderbehandlung. Aber was eine Ausnahme sein sollte, hat sich zu einer allgemeinen Subvention entwickelt.
Und wie wollen Sie Versorgungssicherheit herstellen?
Wir brauchen hochflexible konventionelle Kraftwerke. Wir stellen in Deutschland die besten und modernsten Gaskraftwerke her, aber der Betrieb lohnt sich nicht. Die Bundesnetzagentur hätte schon längst ein Konzept vorlegen müssen, wie man die Bereitstellung von Kapazitäten honoriert. Das ist nicht passiert, und das ist eine Folge davon, dass in der Energiepolitik zwei Ministerien gegeneinander laufen. Wir haben damals mit den Grünen bei der Ökosteuer auch hart gekämpft, aber die Dinge nicht einfach treiben lassen. Das ist fahrlässig und gefährdet Arbeitsplätze.
Wenn es nach dem Wunsch der Wähler geht, bekommen wir wieder eine Große Koalition. Warum wehren Sie sich dagegen?
Ich sehe gute Chancen für Rot-Grün. Angela Merkel hat bei Wahlen immer schlechter abgeschnitten als in Umfragen. Und davon abgesehen: 2009 wurden wir für gute Arbeit mit einer Demütigung belohnt. Deshalb sage ich: Die große Koalition liegt hinter uns, nicht vor uns!