Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht leicht, und vor allem die SPD-Fraktion hat es sich auch nie leicht gemacht, der besonderen Situation der Menschen, die aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen sind oder die zwangsausgebürgert worden sind, gerecht zu werden. Es ist unglaublich schwierig, eine gerechte Lösung für ihre Rentenansprüche zu finden.
Aber vielleicht erst einmal dazu, um was es eigentlich geht: Im geteilten Deutschland war die Regelung so, dass Menschen, die aus der DDR geflohen oder zwangsausgebürgert worden sind, ihre Rente nach dem Fremdrentengesetz erhalten haben; Herr Birkwald hat das gerade zitiert. Es wurde sozusagen unterstellt, dass diese Menschen ihr gesamtes Erwerbsleben in der Bundesrepublik verbracht haben, und es wurde anhand von Tabellen festgesetzt, welche Rentenansprüche ein Mann oder eine Frau – es wurde also nach Geschlechtern getrennt – in dieser Zeit gesammelt hätte.
Mit der Wiedervereinigung und der Zusammenführung beider Rentensysteme ist – das hat Martin Rosemann zutreffend geschildert – auch das Fremdrentenrecht geändert worden. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass nunmehr die Rentenansprüche der betreffenden Menschen nach den Rentenansprüchen berechnet werden, die sie in der DDR erworben haben. Sie werden also genauso behandelt wie DDR-Bürgerinnen und -Bürger. Man kann trefflich darüber streiten, ob das eine kluge Entscheidung war, die damals getroffen wurde. Vom Pult aus würde ich sagen: Das war möglicherweise keine gute Entscheidung, die damals getroffen wurde.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für viele war die Entscheidung der Übersiedlung aus der DDR mit großen finanziellen Einbußen verbunden, etwa weil sie in der DDR Berufsverbot hatten oder in Haft saßen. Viele von uns, gerade in der SPD-Fraktion, egal ob wir an der Regierung waren oder in der Opposition saßen, haben sich in den letzten Jahren damit auseinandergesetzt, mit den betroffenen Menschen gesprochen und unglaublich viele Diskussionen über dieses Thema geführt. Wir haben das Thema sehr ernsthaft behandelt im Petitionsausschuss, im Arbeits- und Sozialausschuss und auch in Gesprächen mit Ministerien und Verbänden. Wir haben Vorschläge erarbeitet, von denen wir einige wieder verworfen haben. Auf einem solchen Vorschlag basierte auch der Antrag, den wir in der letzten Legislaturperiode vorgelegt haben und der vom Wortlaut dem Antrag, der Ihnen heute hier vorliegt, gleicht,
außer dass dieser, wie ich gehört habe, geschlechtergerecht formuliert wurde. Wir haben ihn erarbeitet, ihn diskutiert und ernsthaft darüber nachgedacht, wie man ihn konkret umsetzen kann. Wir haben ihn aber mittlerweile wieder verworfen. Das will ich kurz erklären.
Über den Antrag wurde am 26. Januar 2012 sehr eindrucksvoll und sehr emotional diskutiert.
Auch ich habe mir die Rede von Ottmar Schreiner noch einmal durchgelesen. Was wollte denn der von der SPD erarbeitete Antrag erreichen? Er besagte: Wir sollten für alle Menschen, die ab 1937 geboren sind und bis zum 9. November 1989 aus der DDR übergesiedelt sind, eine Günstigerprüfung durchführen. Es sollte, um es einmal einfacher auszudrücken, geschaut werden, was für die betroffenen Personen besser ist: zurück zum Fremdrentengesetz oder entsprechend der geltenden Rechtslage bei den Rentenansprüchen bleiben, die in der DDR erworben worden sind. Das klingt gut und einfach. Schließlich ist es ja auch ein SPD-Antrag gewesen.
Aber die Diskussionen seither zeigen uns, dass diese Prüfung zu vielen neuen Ungerechtigkeiten führen würde.
Was ist zum Beispiel mit den Personen, die vor 1937 geboren wurden?
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die haben kein Problem!)
– Ist das so, dass diese kein Problem haben? Es gibt möglicherweise Frauen, die nach Renten-Überleitungsgesetz höhere Rentenansprüche erworben haben.
Was ist mit Personen, die zwischen dem 9. November 1989 und dem 18. Mai 1990 in die BRD übergesiedelt bzw. geflohen sind?
Zudem stellt sich die Frage, wie hoch die Leistungen sein sollen; denn das Fremdrentenrecht wurde zwischenzeitlich geändert. Dieses Gesetz gibt es ja noch. Es regelt zum Beispiel die Leistungen für Aussiedler und Aussiedlerinnen aus Russland und anderen Ländern, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Diese Menschen erhalten mittlerweile nur noch 60 Prozent der Tabellenwerte des Fremdrentengesetzes. Würde das Fremdrentengesetz jetzt für die DDR-Übersiedler zum Teil wieder eingeführt werden, dann sollten diese wahrscheinlich 100 Prozent der Tabellenwerte erhalten. 60 Prozent würden jedenfalls keinen Sinn machen.
Dann wiederum haben wir eine gefühlte und reale Ungleichbehandlung gegenüber den Aussiedlerinnen und Aussiedlern etwa aus Russland. Klagen vor den Sozialgerichten wären programmiert.
Eine weitere Ungerechtigkeit einer entsprechenden Neuregelung läge auch im Verdienstniveau des Fremdrentenrechts begründet. Dieses benachteiligt – da sind wir uns, glaube ich, einig – Frauen, die ja in den neuen Bundesländern ähnlich viel verdient haben wie Männer. Nach Fremdrentenrecht gibt es, wie gesagt, unterschiedliche Tabellen; da wurde geschaut, wie viel in der BRD verdient wurde, und da haben die Frauen deutlich weniger verdient als die Männer. Das heißt, dass eine solche Günstigerprüfung vorrangig Männern zugutekommt. Das mag womöglich eine Nebensächlichkeit sein, aber mir bereitet das durchaus Bauchgrummeln.
Von der Günstigkeitsprüfung würden also vor allen Dingen Männer profitieren – und das bei gleichem Schicksal.
Schicksal ist für mich auch in anderer Hinsicht noch ein gutes Stichwort. Es gab wirklich schwere Schicksale von Menschen, die aus der DDR ausgereist sind, geflohen sind oder ausgebürgert worden sind. Vor denen werde ich persönlich ganz stille, und diese Schicksale berühren mich auch sehr. Ich kenne aber auch einige kritische Stimmen von Menschen, die in der DDR geblieben sind, die zum Teil Haft und Berufsverbot in Kauf genommen haben und für die es ebenfalls logischerweise keine Günstigkeitsprüfung gibt und die heute zum Teil massive Nachteile bei ihren Renten spüren, die sie aufgrund ihrer Widerständigkeit ertragen müssen. Dieses DDR-Unrecht ist heftig. Ich habe das Gefühl, dass wir es nicht adäquat und gerecht im Rentenrecht lösen können. Wenn wir das heute ändern, dann organisieren wir neue Ungerechtigkeiten.
Ich würde das Problem gerne lösen, ganz offen gesprochen. Ehrlich gesagt, ich würde ganz gerne diesen Beschluss aus dem Jahr 1992 rückgängig machen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der war 1993!)
– Es gibt hier unterschiedliche Auffassungen, wann das Gesetz geändert worden ist. Das sollten wir uns noch einmal anschauen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 24. Juni 1993! Bundesgesetzblatt!)
Wir haben aus den genannten Gründen von unserem Vorschlag Abstand genommen. Es ist auch ein spannender Prozess in der Demokratie, dass eine Partei einen Vorschlag testet, diskutiert und bei dem konkreten Versuch, ihn umzusetzen, feststellt, dass er vielleicht gut gedacht war, aber schwer umzusetzen ist.
Wir sehen aber auch die Ungerechtigkeiten, die bei der Rentenüberleitung passiert sind, und bleiben da weiter dran.
Unser Vorschlag der Errichtung eines Härtefallfonds hat bisher allen Debatten standgehalten, wir haben ihn nur nicht in den Koalitionsvertrag gepackt. Aber bei den nächsten Koalitionsverhandlungen bekommen wir auch diesen Punkt in den Koalitionsvertrag, und der wird dann realisiert.
Vielen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)