Erst als die wütende Menge die Stufen des Washingtoner Kapitols erklommen hatte und schließlich in die demokratische Institution eingedrungen war, griffen Twitter und Facebook ein: Sie löschten die Posts des zu dem Zeitpunkt noch amtierenden US-Präsidenten und sperrten ihn schließlich ganz. Doch da war es schon zu spät, die Gewalt war nicht mehr zu stoppen.

Donald Trump hatte bereits über seine ganze Amtszeit hinweg und insbesondere nach seiner verlorenen Wiederwahl Unwahrheiten über die Social-Media-Plattformen verbreitet, die Millionen US-Bürger:innen glaubten. Die Anstachelung zur Gewalt und die wiederholte Unterstellung angeblichen Wahlbetrugs am 21. Januar war dann nur noch die Spitze des Eisbergs.

Zwar hatten die Plattformen schon seit Längerem einzelne Beiträge des scheidenden US-Präsidenten mit Hinweisen versehen, die auf fehlende Belege seiner Behauptungen aufmerksam machten. Doch das ganze zerstörerische Potenzial seiner Kommunikation hatten sie offenbar nicht erkannt, oder, was wahrscheinlicher ist, sich dafür nicht zuständig gefühlt.

Umso wichtiger ist es für die Politik, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Rolle die digitalen Kommunikationsplattformen in unserer Demokratie gegenwärtig spielen und künftig spielen sollten.

Wer bestimmt, wer mitreden darf?

Problematisch ist zuallererst ihre wirtschaftliche Größe. Ihre wachsende Macht ist die Folge der immanenten Monopoltendenz der digitalen Märkte. Zwei, drei, viele Twitters funktionieren nicht, weil das Modell von der möglichst großen Reichweite lebt. Entsprechend dominieren einige Privatunternehmen mehr und mehr die Infrastruktur unserer öffentlichen Kommunikation – und damit auch wesentlich den Raum der politischen Debatte, die zunehmend auch über diese Plattformen stattfindet.

Das Beispiel Trump zeigt die Macht dieser Plattformen, die sich lange Zeit – wenn überhaupt – nur ihren selbst gesetzten Regeln unterwerfen mussten. Einerseits können sie Mitglieder sperren und vom Diskurs ausschließen. Was bei Trump vielen als richtig erscheint, könnte aber auch zur Einschränkung der Meinungsfreiheit führen und die Frage aufwerfen: Wer bestimmt, wer mitreden darf?

Wer mitsprechen darf, unterwirft sich der Logik der dortigen Kommunikation. Diese Logik, von Algorithmen und Anonymität bestimmt, verstärkt tendenziell das, was starke Zustimmung oder Ablehnung auslöst, also polarisiert.

Anonymität enthemmt die Sprache

Das wiederum beeinflusst auch die Demokratie. Diese ist auf die geteilte Akzeptanz über den gegenseitigen Umgang miteinander angewiesen. Wie ‚man‘ miteinander spricht, basiert auf einem Grundkonsens zwischen den Bürger:innen über gemeinsame Werte. Erst die praktische Anerkennung der Begrenztheit des eigenen Standpunktes und eine Offenheit gegenüber dem besseren Argument ermöglicht die formale Ordnung funktionaler Rollenverteilung und geteilter Entscheidungsbefugnis in unserem demokratischen System.

Auf Plattformen wie „Twitter“ wird dieser Grundkonsens systematisch unterlaufen. Die physische Abwesenheit der Gesprächspartner:innen beeinträchtigt offenkundig die Empathiefähigkeit. Die relative Anonymität ‚enthemmt‘ die Sprache.

Die Unzahl von (teilweise widersprüchlichen, aber nahezu gleichzeitig rezipierten) Informationen verhindert ihre angemessene Organisation und damit die Unterscheidung von richtig und falsch. Und nicht selten führt das dazu, dass sich Positionen gegeneinander abschotten: Wenn ich nichts sicher weiß oder irgendwie überprüfen kann, dann suche ich mir Bestätigung bei anderen, die dasselbe glauben.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich, warum Twitter, Facebook und Co. der Demokratie schaden können. Die Tatsache, dass (vermeintlich!) alle alles sagen dürfen, macht noch keine Demokratie – im Gegenteil. Einschüchterung, Spott und Denunziation sind nicht ihre Mittel.

Mehr Regeln für die Plattformen

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb dafür eingesetzt, den Plattformen Regeln vorzugeben. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus werden sie dazu verpflichtet, strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden. Dafür wurden auch die Straftatbestände an die digitale Wirklichkeit angepasst.

Anbieter sozialer Netzwerke wie Twitter, Facebook und YouTube wurden zudem mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Für Verstöße drohen den Unternehmen Bußgelder in Millionenhöhe.

Zudem können sich Nutzer:innen nun auch gegen ungerechtfertigte Löschungen von Posts und Kommentaren wehren. Damit hat die SPD-Fraktion die Selbstverteidigung der Demokratie im Digitalen gestärkt.

Polarisierende Algorithmen verhindern sachliche Debatten

Doch darüber hinaus kämpft die SPD-Fraktion für eine andere digitale Öffentlichkeit, mit einer weitreichenden Regulierung der digitalen Plattformökonomie und künftig auch echten gemeinwohlorientierten, demokratischen Alternativen zu den privaten Social-Media-Unternehmen.

Es ist längst überfällig, dass wir auf europäischer Ebene nun über gleiche Wettbewerbsbedingungen für die digitalen Märkte beraten. Die Monopoltendenz kann durch eine Pflicht zur Zusammenarbeit für große Plattformen eingehegt werden. Nur über ihre effektive, europaweite Regulierung können wir auch wieder den Gestaltungsanspruch des öffentlichen Raums zurückgewinnen.

Doch mehr Wettbewerb und Regulierung lösen nicht das Grundproblem, solange das Geschäftsmodell der Plattformen polarisierende Algorithmen sind.

Gemeinwohlorientierte Alternativen aufbauen

Es ist also notwendig, parallel dazu auch gemeinwohlorientierte, demokratische Alternativen zu Twitter, Facebook und Co. aufzubauen. Das fängt schon bei den Algorithmen an, die eine sachliche Debatte fördern oder verhindern können. Voraussetzung dafür ist aber auch ein anderes Geschäftsmodell.

Deshalb muss die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen europäische Integration die Grundlage für eine solche parallele digitale Infrastruktur bilden. In nationalen Strukturen könnte dies nicht gelingen. Eine öffentlich-rechtliche, europäische Medienplattform kann die Beziehung zwischen neuen und alten Medien, zwischen Plattform und Presse wieder in ein demokratiefähiges Verhältnis setzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits am 18. Juli 2018 geurteilt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Aufgabe habe, ein Leistungsangebot hervorzubringen, das „einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt“ und somit angesichts der Entwicklung in den sozialen Netzwerken ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden“ habe.

Auch für die SPD-Fraktion ist klar: Die digitale Infrastruktur unserer Kommunikation ist Teil der „Daseinsvorsorge“, sie muss den Bürgern bereitgestellt werden, genauso wie Trinkwasser oder der öffentliche Nahverkehr.