Regen prasselt auf das Zeltdach, der Wind zerrt an den weißen Plastikplanen. Ein Sturmtief liegt über Berlin, und am ehemaligen Flughafen Tegel fegen die Böen über die freie Fläche. Die Zelte halten ihnen gut stand. Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter, steht mit einer Handvoll weiterer Mitglieder des Innenausschusses in einem von den drei großen Zelten, die das Deutsche Rote Kreuz hier aufgebaut hat.

Durch die gelben Luftschläuche, die drinnen am Zeltdach entlanglaufen, können sie selbst bei minus 10 Grad Außentemperatur auf 20 Grad aufgeheizt werden. Doch nur für den Besuch der Abgeordneten wird nicht extra geheizt.

Noch sind die drei Zelte leer, die 900 Menschen als kurzfristige Notunterkunft dienen können. Sie sind als „Pufferkapazität“ aufgebaut worden, das Land Berlin hatte den Bund darum gebeten, dies zu bezahlen.

Ein paar Stunden Zuflucht

Mehr als eine Nacht sollte keiner ausharren müssen auf den Pritschen, die statt Matratzen nur Plastikplanen als Unterlage bieten. Die kann man zwar leicht desinfizieren, bequem sehen sie aber nicht aus. Es gibt warmes Essen, WLAN und Sanitäranlagen mit Duschen. Es geht darum, Geflüchteten ein paar Stunden Zuflucht zu bieten, bevor sie weiterreisen oder in einer längerfristigen Bleibe unterkommen können.

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar haben laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk fünf Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Knapp 360.000 von ihnen wurden in Deutschland registriert. Nach ersten chaotischen Wochen, als teils täglich bis zu 15.000 Geflüchtete in Berlin ankamen, hat sich die Lage etwas entspannt, die Geflüchteten werden jetzt nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt.

Hiernach wird jedes Jahr neu auf der Basis von Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl festgelegt, wie viele Asylbewerber:innen ein Bundesland aufnehmen muss. Doch wie genau sich die Anzahl der ankommenden Geflüchteten weiter entwickeln wird, ist schwer vorherzusagen. „Es geht darum, auf alle Szenarien eingestellt zu sein, um jederzeit handlungsfähig zu sein“, sagt Innenministerin Nancy Faeser (SPD).

Die gleichmäßige Verteilung verbessern

Die Zelte aus der Zivilschutzreserve des Bundes sind ein wichtiger Teil der Unterstützung für die Geflüchteten. „Wir müssen die Menschen, die auf der Flucht sind, schnell versorgen können“, sagt Hakan Demir, der für den Berliner Bezirk Neukölln das Direktmandat erkämpft hat. Der 37-Jährige ist einer von 104 Abgeordneten, die neu in den Bundestag eingezogen sind.

Der Innenausschuss war sein Wunschausschuss. Besonders interessiert er sich für das Thema Einwanderung, auch aufgrund seiner Familiengeschichte. Sein Großvater kam 1970 als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Derzeit arbeitet Demir daran, die gleichmäßige Verteilung der ukrainischen Geflüchteten zu verbessern.

Seitdem die ersten Geflüchteten nach Deutschland kamen, hat sich viel getan. Die europäischen Partner einigten sich schnell darauf, dass die Menschen aus der Ukraine, anders als etwa die Geflüchteten aus Syrien im Jahr 2015, ihre Schutzbedürftigkeit nicht individuell in einem Asylverfahren nachweisen müssen.

Sobald sie sich registriert haben, erhalten die Geflüchteten eine Arbeitserlaubnis

Dazu wurde eine EU-Richtlinie von Anfang 2001 aktiviert, die für den Fall eines „massenhaften Zustroms“ von Vertriebenen gedacht war. Die Aufenthaltserlaubnis für die Menschen aus der Ukraine gilt zunächst rückwirkend vom glaubhaft gemachten Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet, frühestens 4. März 2022, bis zum 4. März 2024.

Sobald sie sich registriert haben, sind die Geflüchteten krankenversichert und erhalten eine Arbeitserlaubnis. Zudem erhalten sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ab dem 1. Juni dürfen sie die Grundsicherung beziehen. Damit können sie auch die Vermittlungs- und Beratungsangebote der Jobcenter in Anspruch nehmen.

Der Bund unterstützt die Kommunen darüber hinaus bei den Kosten für die Unterbringung im laufenden Jahr mit einer Milliarde Euro. An den Kosten für Integration in Kita oder Schule will sich die Ampel-Koalition ebenfalls mit einer Milliarde Euro beteiligen.

Wichtige Lehre aus 2015

Hakan Demir hält diese Maßnahmen für absolut notwendig. „Das ist eine wichtige Lehre, die wir aus der Situation 2015 gezogen haben“, sagt er. Die Kommunen hätten damals nicht genügend finanzielle Hilfe bekommen, seien häufig auf den Kosten sitzengeblieben. Auch solche politischen Fehler hätten an vielen Orten zu negativen Einstellungen gegenüber den Geflüchteten geführt.

Doch Demir sieht auch positive Folgen durch die Bewältigung der Fluchtbewegung aus Syrien. Es sei jetzt bereits eine Infrastruktur vorhanden, die auch bei der Integration der Menschen aus der Ukraine helfen werde, wie etwa die vielen Ehrenamtlichen, die täglich an Bahnhöfen in ganz Deutschland stehen und die aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Empfang nehmen und sie weiter vermitteln, die Vereine und Initiativen, die Kinder und Jugendliche aufnehmen und mit ihnen spielen, die ehrenamtlichen Beratungsangebote, oder, wie etwa auf Berliner Landesebene, die Ernennung eines Beauftragten für Integration und Migration.

Immerhin 50 Prozent der Geflüchteten, die damals nach Deutschland kamen, seien inzwischen in den Arbeitsmarkt integriert. Angesichts der Tatsache, dass diese Menschen erst ein langwieriges Asylverfahren hinter sich bringen mussten, um arbeiten zu dürfen, sei das ein großer Erfolg. Die Ausgangslage sei für die Geflüchteten aus der Ukraine viel besser.

Es darf keine Geflüchteten zweiter Klasse geben

Demir wünscht sich, dass bei künftigen Fluchtbewegungen aus anderen Regionen den Menschen ähnliche Rechte wie jenen aus der Ukraine gewährt werden. Und dass den Asylbewerber:innen, die lediglich geduldet würden, die aber nicht zurückgeführt werden könnten, auch eine Perspektive auf Arbeit oder Ausbildung gegeben wird.

„Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben“, sagt Demir. Damit meint er auch Menschen aus Drittstaaten, die aus der Ukraine flüchten. Haben sie nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit, sondern kommen aus einem Drittstaat, in den sie sicher und dauerhaft zurückkehren können, müssen sie nach den derzeitigen Regeln dorthin zurück. Ungerecht, findet Demir, denn die Betroffenen hätten oft sehr viel Geld und Mühen investiert, um etwa in der Ukraine studieren oder arbeiten zu können.

Während Hakan Demir und seine Kolleg:innen aus dem Innenausschuss die Zelte besichtigen, hat sich der Sturm gelegt. Demir steht auf dem ehemaligen Rollfeld mit den Mitarbeiter:innen des Roten Kreuzes. Für wie wichtig hält er die Finanzierung dieser Notunterkünfte? Schließlich stünden sie ja leer.

Demir blickt nachdenklich auf die Zelte. „Ich war in den Tagen nach Beginn des Krieges am Hauptbahnhof“, sagt er. „Da habe ich gesehen, wie Tausende mit ihrem Hab und Gut ankamen, dort in der Kälte ausharren mussten und nicht wussten, wohin.“ Diesen Menschen müsse man sofort helfen können. Derzeit, so Demir, wisse niemand, wie lange der brutale Krieg in der Ukraine noch dauern werde.

 

Dieser Text stammt aus der aktuellen Zeitschrift "Fraktion intern". Sie kann hier [PDF] herunter geladen werden.