Sie sollten nach dem Gesetz heute feststellen, ob jetzt – und nicht irgendwann in der Zukunft – ob also jetzt die arbeitsmarktpolitischen Voraussetzungen und die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für den Einstieg in die Rente mit 67 vorliegen - oder ob das nicht der Fall ist. Es geht also nach dem Auftrag des Gesetzes heute gar nicht darum, ob die Rente mit 67 eingeführt wird, sondern darum, wann die Voraussetzungen für die Rente mit 67 vorliegen.
Denn dass wir nicht tatenlos zusehen können, wenn aufgrund fehlender Geburtenzahlen immer weniger aktive Arbeitnehmer eine immer größer werdende Zahl von Rentnern finanzieren müssen, ist völlig unbestritten.
Ich glaube lediglich die Fraktion „Die Linke“ bestreitet, dass es ein demografisches Problem in der Rentenkasse gibt. Wir nicht. Und dass zur Bewältigung dieses Problems die Anhebung des Rentenalters eine der notwendigen Antworten ist, wird von uns auch nicht bestritten.
Die Frage, die das Gesetz aber vorher geklärt wissen will, ist aber schlicht und ergreifend: Stellt diese Anhebung des Rentenalters auf 67 die betroffenen Arbeiter und Angestellten vor eine unlösbare Aufgabe oder gibt es eine reale Chance länger zu arbeiten?
Um das zu klären, Frau Ministerin, muss man nicht mit Taschenspieler-Tricks die Zahl der älteren Erwerbstätigen anschauen, sondern die der älteren rentenversicherten Arbeiter und Angestellten. Denn um die geht es in der Rentenkasse und nicht um Beamte, Selbstständige, Ein-EURO- oder Mini-Jobber.
Und bei der Betrachtung der Wirklichkeit, Frau von der Leyen, helfen auch keine Rechentricks. Denn das Gesetz fordert zur Prüfung auf, ob ältere Arbeitnehmer eigentlich die Chance haben, bis 67 zu arbeiten.
Dazu muss man sich die Beschäftigten zwischen 60 und 64 ansehen. Wer auf die Altersgruppe der 55-Jährigen zurückgreift, will nur die Statistik schönen aber nicht die Realität kennenlernen.
Wie ist die Lage dieser rentenversicherten Arbeiter und Angestellten also heute: 23,4% der 60 bis 64-Jährigen waren 2009 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, bei den 64jährigen waren es sogar nur 10%.
Wenn fast 80 Prozent der Arbeiter und Angestellten zwischen 60 und 64 nicht mehr arbeiten, dann stellen Sie knapp 80 Prozent der Menschen heute auf dem Arbeitsmarkt vor eine unlösbare Aufgabe, denn die finden entweder keine Arbeit im Alter oder sind körperlich so kaputt, dass sie nicht mehr arbeiten können.
Genau das will das Gesetz aber nicht!
Es will Arbeiter und Angestellte nicht vor eine unlösbare Aufgabe stellen, sondern es fordert vor allem mehr Arbeitsmöglichkeiten für Ältere bevor in die Rente mit 67 eingetreten werden kann.
Sie, Frau von der Leyen, wollen allerdings die Hände in den Schoß legen und behaupten, dass der demografische Wandel die Firmen schon zwingen würde, mehr Ältere zu beschäftigen. Und sie verweisen darauf, dass bereits jetzt die Beschäftigungsquote Älterer steigen würde.
Tatsache aber ist, dass gerade die Arbeitslosigkeit für Ältere am Arbeitsmarkt steigt. Ältere rentenversicherte Arbeiter und Angestellte finden oft keinen Arbeitsplatz – anders sind ja die fast 80 Prozent ohne Arbeit zwischen 60 und 64 auch nicht zu erklären.
Und für diese 80 Prozent bedeutet die Rente mit 67 erstmal nur eines: eine Rentenkürzung.
Wissen Sie eigentlich, was Renter heute so an Rente erhalten?
Von den 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland beziehen nur 16,4 Millionen ausschließlich eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Von diesen 16 Millionen Rentnerinnen und Rentnern erhalten viele nur eine Rente von 500 bis 1.000 Euro im Monat. In Ostdeutschland sind das mehr als 50 Prozent der Männer!
Und auch in Westdeutschland haben 65 % der Männer und 97 Prozent der Frauen einen gesetzlichen Rentenanspruch von weniger als 1.200 Euro.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, seien wir mal ehrlich: Wer von uns hier im Haus kann sich eigentlich vorstellen, von 500 – 1.000 Euro im Alter zu leben?
Der Zorn vieler Menschen in Deutschland rührt doch daher, dass diese faktische Rentenkürzung durch die Rente mit 67 von Leuten gefordert und durchgesetzt wird, die niemals auch nur annähernd in die Lage kommen, mit rund 1.000 Euro im Monat im Alter klar kommen zu müssen. Die Menschen empfinden das als zynisch. Deshalb müssen wir es uns schwer mit der Rente mit 67 machen und nicht leicht, wie Sie, Frau Ministerin.
Von diesen Menschen mit geringen Renten wird es in Zukunft mehr geben. Denn Armutslöhne schaffen auch Armutsrenten. Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn – überall, Frau von der Leyen, und nicht nur in der Leiharbeitsbranche.
Sie verweigern den gesetzlichen Mindestlohn. Mehr als sechs Millionen Menschen arbeiten in unserem Land für unter acht Euro brutto die Stunde. Minilöhne produzieren Minirenten. Armutslöhne produzieren Armutsrenten! Wissen sie, welcher Rentenanspruch aus 45 Jahren Arbeit für acht Euro Bruttostundenlohn entsteht? 558 Euro.
Das mag Ihre Vorstellung von „Leistung muss sich lohnen“ sein, unsere Auffassung ist eine völlig andere!
Und deshalb brauchen wir in Deutschland übrigens auch dringend den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Leiharbeit.
Und zwar überall und ohne Ausnahme, Frau Ministerin, und nicht mit tausend Schlupflöchern und Ausnahmen, wie sie es mit ihrer Scheingesetzgebung wieder mal vorhaben.
Wenn sich Leistung lohnen soll – im Arbeitsleben wie in der Rente – dann müssen wir in Deutschland mal wieder Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Das wäre Ihre Aufgabe, Frau Ministerin.
Viele von denen, die trotz eines sehr langen Arbeitslebens von 45 Jahren nur einen Rentenanspruch von 500 bis 1.200 Euro müssen bereits heute Rentenkürzungen hinnehmen, weil sie es nicht schaffen bis 65 Jahre zu arbeiten.
Sehr geehrte Frau von der Leyen, und denen wollen Sie jetzt nochmal die Rente kürzen, denn nichts anderes bedeutet die Rente mit 67 für die, die es heute schon nicht mal bis 64 schaffen.
Und genau diesen Zynismus will das Gesetz über die Rente mit 67 nicht. Das Gesetz fordert uns auf, die Wirklichkeit zu betrachten. Deshalb ist es übrigens auch ein gutes Gesetz.
Das Gesetz sagt uns: tut genug dafür, dass Menschen auch wirklich länger arbeiten können. Deshalb die Forderung den Arbeitsmarkt zu betrachten, bevor die Rente mit 67 eingeführt wird.
Aber statt mehr für die Beschäftigung Älterer zu tun, machen Sie, Frau von der Leyen, das genaue Gegenteil: Sie kürzen im Bundeshaushalt die Mittel für die Qualifizierung von Arbeitslosen um 1,3 Milliarden Euro. Und sie wollen die Arbeitgeber auch noch vom Druck zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer befreien, in dem sie ständig danach rufen, mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen.
Statt dem Gesetz zu folgen und mehr für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu tun, machen Sie das genaue Gegenteil – und verordnen dazu noch kalt lächelnd eine Rentenkürzung für alle, die es auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr schaffen.
Und weil wir schon beim Fachkräftemangel und Ihrem Ruf nach mehr Zuwanderung sind: Solange nur 25 Prozent der Arbeitgeber ausbilden und 70.000 Jugendliche jedes Jahr unsere Schulen ohne vernünftigen Schulabschluss verlassen, scheint der Fachkräftemangel in diesem Land nicht sehr groß zu sein.
Nicht nur die Älteren am Arbeitsmarkt, sondern auch die Jüngeren brauchen aktives politisches Handeln statt nur den einfachen Weg der Zuwanderung. Ihre kleinen Bildungspäckchen für Hartz IV Empfänger, Frau Ministerin, helfen da gar nichts. Da geben sie mehr Geld für das Verpackungsmaterial aus als für den Inhalt. Was wir brauchen sind echte Bildungspakete für alle Kinder mit Ganztagsschulen und Kindertagesstätten, die sich in sozialen Brennpunkten zu Familienbildungsstätten entwickeln können.
Das Gesetz fordert aber nicht nur von Ihnen, den Arbeitsmarkt für Ältere attraktiv zu machen, bevor die Rente mit 67 eingeführt wird. Es fordert auch, die sozialen Folgen eines erhöhten Renteneintrittsalters zu prüfen.
Sie aber, Frau Ministerin, verlieren kein Wort in Ihrem Bericht über Menschen, die berufliche schwere und schwer belastende Arbeit leisten und das Renteneintrittsalter, ob 65 oder 67 gar nicht erreichen können. Schichtarbeiter, Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Kraftfahrer, Handwerker oder Facharbeiter.
Das sind keine Einzelfälle, Frau von der Leyen. Nur 3,9% aller Frauen und nur 10% aller Männer gehen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in eine abschlagsfreie Rente. Heute ist dieser Weg die Ausnahme, nicht die Regel. Und diese Abschläge – also die faktischen Rentenkürzungen – wollen Sie jetzt drastisch erhöhen.
Ich will Ihnen ja nicht vorwerfen, dass Sie aus Verhältnissen stammen, in denen man diese Menschen nicht kennenlernt. Aber ich finde: etwas mehr Empathie für die, denen sie nur die Rente kürzen und denen sie keinerlei Chance, kein Angebot, keine Übergangsmöglichkeit bieten, wäre schon angebracht.
Damit Sie vielleicht besser verstehen können,
- warum wir Sozialdemokraten es uns so schwer machen,
- warum wir zu der Rente mit 67 stehen,
- aber die davon betroffenen Menschen nicht einfach alleine lassen wollen,
erzähle ich Ihnen mal eine der vielen Millionen Lebensgeschichten aus unserem Land.
Gerda Küchler ist 55 Jahre alt, Pflegefachkraft in München. Mit 16 Jahren ist sie in Ausbildung und Beruf gegangen. Sie hat 30 Jahre in der Pflege gearbeitet. Als das Kind da war, hat sie überwiegend Nachtschichten gemacht. Ein harter Job, der bei ihr auf die Gelenke und die Wirbelsäule gegangen ist. Von der Belastung durch viele Erkrankungen durch den Kontakt mit den Patienten nicht zu reden.
Gerda Küchler hatte Glück: Mit 55 muss sie nicht mehr in der Pflege tätig sein. Sie arbeitet jetzt in einem Seniorenzentrum. Sie sagt selbst: für sie ist das der Himmel auf Erden. Sie sagt aber auch, solche Stellen sind sehr rar, man muss Glück haben und Fachkraft sein.
Für die meisten ist das unerreichbar, und wer nicht Fachkraft, sondern Pflegehilfskraft ist, hat keine Chance.
Gerda Küchler sagt auch: Die wenigsten Pflegekräfte schaffen es bis 60. Und wer älter ist, muss das gleiche leisten wie die Jüngeren. Der Normalfall ist die Erwerbsminderungsrente.
Frau von der Leyen: ich kann das aus meiner Erfahrung bestätigen: meine Mutter war Krankenschwester, ich kenne keine Krankenschwester, die mit 67 noch einen Patienten heben kann.
Gerda Küchler wird mit 65 einen Rentenanspruch von gut 1.100 Euro haben, nicht zu viel für ein langes hartes Arbeitsleben. Sie will bis 65 arbeiten, aber es ist für sie eine lange Strecke. 67 kann sie sich nicht vorstellen. Vielleicht muss sie früher raus.
Wenn Sie heute mit 63 in Rente ginge, hat sie monatlich wegen der Abschläge fast 80€ weniger. Werden die Abschläge auf 67 Jahre bezogen, ist es das Doppelte.
Mathematisch und für die Rentenversicherung mögen die Abschläge sinnvoll sein. Und für die meisten von uns und manche, die darüber schreiben, wären 80 oder 160 Euro weniger nicht die Welt. Aber für die, die sich jahrzehntelange im wahrsten des Wortes „krummgemacht“ haben für unser aller Wohl, für diese Menschen sind sie eine schmerzhafte Kürzung. Und eine bittere Ungerechtigkeit obendrein.
Sehr geehrte Frau Ministerin,so ein bisschen scheinen Sie das ja auch zu ahnen. Es scheint Sie das schlechte Gewissen zu plagen. Deshalb möchten Sie den Menschen weiß machen, dass Sie ja alle nicht wirklich betroffen seien.
Wie sonst hätten Sie in einer Anzeige im Weserkurier schreiben können: „Wer heute 47 Jahre oder älter ist, muss gar nicht oder nur wenige Monate länger arbeiten.“?
Ich weiß nicht, ob Sie klammheimlich das Gesetz über die Rente mit 67 geändert haben. Die Wahrheit ist nämlich, dass die, die heute 47 Jahre alt sind, bereits bis 66 Jahre und 10 Monate arbeiten müssen. Also fast bis 67. Nun kann man ja mal einen Rechenfehler machen. Mindestens bei dieser Regierung würde das niemanden wundern. Aber in so einem zentralen Punkt die Menschen in die Irre zu führen, ist doch mehr als nur ein Tippfehler: eher schon war da der Wunsch der Vater des Gedankens, weil Sie wissen, dass die Rente mit 67 für die meisten Menschen als Rentenkürzung und als Bedrohung erlebt wird.
Zitat: „Längere Erwerbsarbeit muss so ausgestaltet sein, dass sie von den Menschen nicht als Bedrohung empfunden wird.“
Diesen wahren Satz hat die CDU vor ein paar Tagen auf ihrem Parteitag beschlossen. Wäre dieser Satz das Papier wert, auf dem er geschrieben wurde, dann würden Sie jetzt erstmal Vorschläge machen, wie diejenigen, die es nun wirklich nicht mal bis 65 schaffen können, ohne zusätzliche Abschläge in die Rente schaffen können.
Nichts von dem tun sie. Sie verordnen Menschen wie Gerda Küchler in Ihrer kalt lächelnden Art einfach eine Rentenkürzung.
Und genau das will das Gesetz nicht. Und wir Sozialdemokraten auch nicht. Wir wollen stattdessen: die Erwerbsminderungsrente ausbauen und vor allem flexible Übergänge und Regelungen schaffen, bei denen die, die heute nicht mal bis 64 arbeiten können, nicht durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters noch einmal drastisch höhere Renteneinbußen hinnehmen müssen.
Erstens dafür sorgen, dass Armutslöhne verschwinden und sich Arbeit wieder lohnt. Sozial ist nicht, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann – auch im Alter!
Zweitens mehr für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer tun.
Und drittens flexible Übergänge für die schaffen, die es nicht mal bis 64 oder 65 schaffen.
Das sind die drei Voraussetzungen, die wir für die Rente mit 67 schaffen müssen.
Das ist mühevoller als kalt lächelnde Rentenkürzungen durchzupauken. Das erfordert auch die Mitwirkung der Tarifpartner.
Die IG BCE z.B. hat bereits einen Demografietarifvertrag. Gesetzliche Rente, Erwerbsminderungsrente, Altersteilzeit, private und betriebliche Vorsorge und auch Tarifverträge müssen zusammen dafür sorgen, dass die rentenversicherten Arbeiter und Angestellten in Deutschland nicht vor unlösbare Aufgaben gestellt werden. Dafür ist Politik da.
Und solange wir das nicht getan haben, so lange kann die Rente mit 67 nicht in Kraft treten. So will es das Gesetz. Und so wollen es auch wir Sozialdemokraten.