Lars Klingbeil, MdB redet im Bundestag zur neuen Regelung der Einsatzversorgung

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, diese furchtbare Nachricht, die uns aus Afghanistan erreicht, sollte uns alle dazu bringen, innezuhalten und noch einmal über die Verantwortung nachzudenken, die wir als Parlamentarier gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten haben. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, dass unser aller Mitgefühl und unsere Gedanken den Familien des Gefallenen und der Verwundeten gelten.

Sehr geehrte Damen und Herren, es steht jeder Abgeordneten und jedem Abgeordneten frei, sich für oder gegen die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten in einen Auslandseinsatz zu entscheiden. Diese Entscheidung müssen wir letztendlich mit unserem Gewissen vereinbaren. Das, was dieses Haus jedoch einen sollte, sind die Anerkennung, der Respekt und die Fürsorge für das, was unsere Soldaten tagtäglich unter Einsatz ihres Lebens leisten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

 

Link zum Video für Apple-Anwendungen

 

Wir als Abgeordnete sind es, die unsere Soldaten auf schwierige Missionen schicken. Wir sind es, die Familien für einen langen Zeitraum auseinanderreißen. Wir sind es, die gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft für unsere politischen Entscheidungen ablegen müssen. Wir sind es aber auch, die eine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und ihren Familien wahrzunehmen haben. Wir haben diese Fürsorgepflicht vor, während und nach dem Einsatz.

Kommt ein Soldat im Einsatz etwa durch einen Unfall zu Schaden, müssen wir gewährleisten, dass es umfangreiche, schnelle und unbürokratische Hilfe für den Soldaten und seine Familie gibt. Es ist deshalb richtig, dass wir heute hier im Bundestag eine wegweisende Entscheidung der rot-grünen Regierung und vor allem des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck weiterentwickeln und das Einsatzversorgungsgesetz in wichtigen Kernpunkten verbessern. Peter Struck war es, der die Notwendigkeit erkannte, der veränderten Auftragsrealität der Bundeswehr einen neuen Rechtsrahmen zu geben und die Fürsorge des Staates gegenüber den Soldaten erheblich zu verbessern. Hierfür gebührt ihm auch nachträglich unser aller Dank.

(Beifall bei der SPD)

Die Weiterentwicklung des Gesetzes, wie sie heute hier von den Regierungsfraktionen eingefordert wird, findet in allen Punkten unsere Unterstützung. Wir hätten uns gewünscht, dass ein solcher Vorstoß aus dem Ministerium kommt, und wir hätten uns auch gewünscht, dass versucht worden wäre, diesen Antrag gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen zu formulieren. Das wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, das wir hier im Bundestag hätten setzen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin aber dankbar für Ihre Zusage gestern im Ausschuss, Frau Hoff, dass wir im konkreten Gesetzgebungsverfahren eine gemeinsame Linie entwickeln werden. Meines Erachtens sollten die Gemeinsamkeiten im Vordergrund des Wirkens in diesem Hause stehen, wenn es um unsere Soldatinnen und Soldaten geht.

Gerade für Nichtberufssoldaten wird mit dem Forderungskatalog eine erhebliche Verbesserung erreicht. Die Ausgleichszahlungen werden erhöht, die rechtliche Stellung der Soldatinnen und Soldaten wird verbessert, und die Einsatzzeiten werden künftig höher angerechnet. Das sind wichtige Schritte, die wir hier als Parlamentarier gehen wollen. Die ersten deutschen Soldaten wurden 1992 ins Ausland geschickt. Der heutige Antrag formuliert deutlich die Gleichbehandlung aller Einsätze. Auch dies ist ein notwendiger Schritt.

Die Verantwortung des Staates gegenüber unseren Soldaten bedeutet auch, die Bewältigung der posttraumatischen Belastungsstörungen endlich entschlossen anzugehen. Immer mehr Soldaten kommen mit solchen Störungen aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse aus dem Einsatz zurück. Viele Soldaten haben Grauenhaftes
erlebt, Bilder, die sie jahrelang nicht vergessen, die sie nachts nicht schlafen lassen und die tagsüber einen geregelten Alltag nicht zulassen. Diese seelischen Verwundungen haben erst in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Dass dies nun so ist, ist – das sage ich hier ganz deutlich – zu einem großen Teil das Verdienst des ehemaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe, der immer unermüdlich dafür gekämpft hat, dass die posttraumatischen Belastungsstörungen die ihnen angemessene Aufmerksamkeit finden. Auch ihm gebührt unser Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass wir die Situation der an PTBS erkrankten Soldaten verbessern und wir beispielsweise die Verfahrensdauer drastisch reduzieren wollen. Aber auch hier gehört zur Wahrheit: Wir stehen noch am Anfang. Unsere Maxime im konkreten Gesetzgebungsverfahren muss lauten, dass jeder Soldat und jede Soldatin, die in den letzten 18 Jahren im Ausland verletzt wurde, egal ob körperlich oder seelisch, die bestmögliche Behandlung erhalten. Das müssen wir als Parlamentarier garantieren; wir werden im Gesetzgebungsverfahren auch die Verbände und Experten einbeziehen müssen, um hierfür die bestmögliche Regelung zu finden.

Es sind große Schritte für die Anerkennung der Leistung der Soldaten und für den Respekt gegenüber den Soldaten, die wir heute unternehmen. Ich sage aber auch:
Das reicht nicht! Es reicht nicht, wenn dieses Parlament sich nach der Verabschiedung des heutigen Antrags zurücklehnt, sich auf die Schulter klopft und sagt: Jetzt haben
wir etwas für die Soldaten getan. – Denn es bleibt noch viel zu tun.

Der Anerkennung, dem Respekt und der Fürsorge hätte es auch gedient – das will ich hier deutlich sagen –, den Soldaten wieder das volle Weihnachtsgeld auszuzahlen, wie die Kanzlerin es versprochen hatte.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn der Vorsitzende des BundeswehrVerbandes in diesem Zusammenhang von einem Wortbruch spricht, dann muss ich ihm recht geben. Man muss sich an dieser Stelle fragen: Welches Signal kommt eigentlich bei den Soldaten an, wenn wir sie einerseits in immer gefährlichere Einsätze schicken und andererseits hier zu Hause auf ihrem Rücken Sparmaßnahmen umsetzen? Ich hoffe, dass im Rahmen der Haushaltsberatungen die Regierungskoalition noch zur Einsicht kommt. Aber ich sage heute: Verantwortungsvolle Politik sieht an dieser Stelle anders aus.

Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen dazu deutlichere Worte gewünscht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind der derzeit populärste Politiker in Deutschland. Warum nutzen Sie dieses politische Gewicht nicht, um sich vor die Truppe zu stellen und in diesem Punkt Verbesserungen für die Soldaten zu fordern? Das wäre ein wichtiges Zeichen auch für die Anerkennung der Truppe gewesen.

Das Weihnachtsgeld gehört zur Attraktivität des Soldatenberufs. Wir alle wissen doch, dass es darauf ankommt, in den nächsten Monaten maßgebliche Schritte zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr zu gehen. Gerade dann, wenn die Wehrpflicht fällt und wir die Nachwuchsgewinnung ausbauen müssen, brauchen wir einen attraktiveren Dienst in der Bundeswehr. Deswegen sage ich für uns Sozialdemokraten, dass im Rahmen der Bundeswehrstrukturreform ein Programm zur Steigerung der Attraktivität zwingend notwendig ist. Nur dann, wenn wir auch die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr erhöhen, wird eine Strukturreform gelingen.

Da ich beim Thema Reform bin, will ich hier deutlich sagen: Herr Minister, reden Sie Klartext hinsichtlich der Standzeiten im Auslandseinsatz. Reden Sie Klartext darüber, welche Standzeiten Sie für die Bundeswehrplanung zugrunde gelegt haben. Derzeit sind es vier Monate. Die Befürchtungen bei uns, aber auch in der Truppe sind doch aber, dass wir mit einer personell reduzierten Bundeswehr zu erheblich höheren Standzeiten kommen werden. Hier sind Sie bisher jede Antwort schuldig geblieben. Sagen Sie der Truppe, sagen Sie dem Parlament, in welche Richtung Ihre Planung geht. Auch das sind Sie den Soldatinnen und Soldaten schuldig.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage auch: Zur Fürsorge gehört eine optimale Einsatzvorbereitung. Die Vorbereitung, mit der wir unsere Soldaten in den Einsatz schicken, reicht nicht. Hier haben wir als Politik eine große Verantwortung. Wir schicken Soldaten nach Afghanistan, obwohl wir wissen, dass sie an den Fahrzeugen, die dort für den Schutz ihres Lebens wichtig sind, nicht ausreichend ausgebildet sind; daher müssen wir hier dringend nachbessern. Auch eine optimale Einsatzvorbereitung gehört zur Fürsorgepflicht, die wir als Parlament haben.

Ich will an alle 622 Abgeordneten hier noch einmal appellieren. Wir sind diejenigen, die Verantwortung für die Soldaten tragen, und wir müssen uns jeden Tag fragen: Werden wir dieser Verantwortung gerecht? Wir verlangen von unseren Soldaten viel, und wir sind in der Pflicht, ihnen das Versprechen zu geben, dass wir ihnen eine optimale Vorbereitung, Nachbereitung und auch Versorgung im Einsatzland auf dem höchstmöglichen Niveau garantieren. Das, was wir heute beschließen, ist ein wichtiger erster Schritt. Aber ich sage auch: Es müssen weitere Schritte folgen. Wir dürfen uns nicht ausruhen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)