In seiner Rede zur Fortführung der Operation "Active Endeavour" vor dem Deutschen Bundestag verteidigt Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, den Militäreinsatz im Mittelmeer. Für die nächsten Monate jedoch fordert er eine Abkehr vom sogenannten Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Seiner Meinung nach müsse das neue Mandat auf eine Grundlage gestellt werden.

Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie so wacker für Aufmerksamkeit gekämpft haben. ‑ Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute über den Antrag der Bundesregierung, die Beteiligung an der Operation Active Endeavour fortzusetzen. Wie Sie alle wissen, hat sich meine Fraktion mit diesem Mandat besonders intensiv auseinandergesetzt. Von diesem Rednerpult aus haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten darauf hingewiesen, dass die Begründung des Einsatzes der Diskussion bedarf. Deswegen will ich daran erinnern: Die Grundlage für die Entsendung von deutschen Streitkräften im Rahmen dieses Mandates ist die Ausrufung des Bündnisfalls nach Art. 5 des NATO-Vertrages.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Eben!)

Diese Entscheidung war nach dem Angriff des 11. September 2001 auf unsere amerikanischen Verbündeten richtig. Sie war ein Akt der Solidarität, ein Akt der Bündnistreue. Im Rahmen dieses Einsatzes haben wir in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass der Terrorismus bekämpft worden ist und dass wir hier in Deutschland sicherer geworden sind.

Aber es ist auch richtig, dass unter der Überschrift „Krieg gegen den Terrorismus“ vieles falsch gelaufen ist. Überreaktionen und Fehlentwicklungen ‑ darüber sind sich, glaube ich, viele in diesem Hause einig ‑ haben dazu geführt, dass die Glaubwürdigkeit des Westens in vielen Bereichen gelitten hat. Die Stichworte sind uns hier alle präsent: die Debatte über Folter, die Debatte über Guantánamo, über illegales Töten etc. Ich bin überzeugt davon: Die terroristische Bedrohung auch im Mittelmeer ist nicht gebannt, und es wäre fahrlässig, diesen Eindruck zu erwecken. Aber wir brauchen eine neue Grundlage zur Bekämpfung des Terrorismus und dafür auch einen neuen politischen Konsens. Wir glauben, dass der Bezug dieses Mandates auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags in den nächsten Jahren ersetzt werden sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stimmen heute zu, weil wesentliche Kritikpunkte aus unseren Vorschlägen, aber auch aus der Diskussion in diesem Land von der Bundesregierung aufgegriffen worden sind. Wir stimmen heute einem veränderten Mandat zu: Die Obergrenze der Zahl der Soldaten ist gesenkt worden, das sogenannte Einmelden von Schiffen findet künftig nicht mehr statt, und die exekutiven Befugnisse sind begrenzt worden.

Ich will aber deutlich sagen, auch in Richtung der Bundesregierung: Wir stimmen auch in der Erwartung zu, dass die Botschaft, die wir ausgesandt haben, aufgegriffen wird und dass die doch relativ kurze Zeit der Mandatierung ‑ elf Monate ‑ dafür genutzt wird, in der NATO dafür zu sorgen, dass dieser neue politische Konsens Gestalt annimmt, und dass wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern ein neues Mandat ohne den Bezug auf Art. 5 erreichen können. Ich bin dem Bundesaußenminister und auch der Verteidigungsministerin sehr dankbar dafür, dass die ersten Gespräche bereits geführt worden sind. Ich erwarte, dass das in den nächsten Monaten weiter geschehen wird. Dann werden wir gemeinsam hier darüber beraten und auch Bilanz ziehen können.

Ich möchte noch etwas zu der Frage der Bündnissolidarität sagen, auch mit Verweis auf die vorhergehende Diskussion. Herr Kollege Gehrcke, ich habe Ihnen wie immer aufmerksam zugehört.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das ehrt Sie!)

‑ Danke schön. ‑ Mir geht es um einen Punkt: Ich habe den Eindruck, es gibt in einem Teil der politischen Linken ein Missverständnis, was unsere Beziehung zur NATO betrifft. Sie glauben, wenn Deutschland sich einseitig aus dem Bündnis verabschiedet ‑ es ist Ihr Vorschlag, die NATO aufzulösen; in diesem konkreten Fall ist Ihr Vorschlag, wir sollten uns einseitig aus der Operation zurückziehen ‑, dann würde das Ansehen unseres Landes in der Welt steigen, und wir würden Respekt genießen. Habe ich Sie richtig verstanden?

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ja!)

Schauen Sie in die Geschichte, auch die der SPD, zurück. Die Diskussion haben wir in den 50er-Jahren geführt. Damals gab es ganz viele, die dieser Meinung waren. Seit der großen Rede von Herbert Wehner 1960

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das ist euer Problem!)

gibt es in diesem Land einen Konsens, dem Sie sich verweigern. Wir kommen zu einem genau anderen Ergebnis: Die feste Verankerung unseres Landes in den internationalen Bündnisstrukturen der Europäischen Union und der NATO hat ‑ davon bin ich fest überzeugt ‑ die Grundlage für das hohe Ansehen unseres Landes erst gelegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Annen, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele?

Niels Annen (SPD):

Das tue ich gerne.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Herr Kollege. ‑ Ihnen ist wahrscheinlich wie mir bekannt, dass in den letzten Jahren im Mittelmeer kein einziges Boot durch die Bundesmarineeinheiten, die dort sind, aufgebracht oder kontrolliert worden ist.

Halten Sie es wirklich für richtig und entspricht es Ihrer Überzeugung, allein deshalb einen Bundeswehreinsatz im Ausland weiterhin zu praktizieren und das Bestehen des Bündnisfalls in der NATO weiterhin anzunehmen und zu unterstützen, weil man mit den Partnern im Augenblick noch nicht geredet hat oder weil man Bündnistreue beweisen muss, obwohl dieser Einsatz überhaupt keinen Sinn mehr macht, oder weil man sich einfach nicht traut, aus diesem Einsatz herauszugehen, obwohl man ihn selber für falsch und überflüssig hält? Das heißt, halten Sie einen bewaffneten Bundeswehreinsatz im Ausland allein aus demonstrativen Gründen für richtig?

(Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE))

Niels Annen (SPD):

Herr Kollege Ströbele, ich danke Ihnen für die Frage. Ich glaube, dass nun eine gute Gelegenheit ist, noch einmal darauf hinzuweisen ‑ ich hätte das sonst in der Form vielleicht gar nicht gemacht ‑, dass es einen Unterschied gibt, seit die Sozialdemokratische Partei in die Bundesregierung eingetreten ist. Wir haben uns nämlich in der Opposition und jetzt in der Regierungsverantwortung mit genau dem Punkt, den Sie ja zu Recht ansprechen, auseinandergesetzt.

Ich möchte Ihre Frage schon im Hinblick auf den spezifischen Fall beantworten; generell muss jeder Einsatz detailliert und für jeden Einzelfall begründet werden. Insofern bin ich gar nicht bereit und nicht in der Lage, Ihre Frage allgemein mit Ja oder Nein zu beantworten.

Wir kommen zu dem Ergebnis: Die Bündnissolidarität muss in unserer Abwägung immer eine Rolle spielen, auch insofern, als wir uns alle ‑ ich bin mir sicher, die Bundesregierung tut das auch ‑ die Frage stellen müssen: Was würde eine einseitige Entscheidung, so wie sie uns die Kollegen der Linkspartei hier vorschlagen, für unseren politischen Spielraum bedeuten?

Ich habe auch in meiner Rede eben sehr klar die Erwartung geäußert ‑ ich wiederhole das gerne ‑, dass in den nächsten elf Monaten etwas passiert. Insofern bin ich mit diesem Mandat sehr zufrieden, als es in eine Richtung geht, von der wir immer gefordert haben, dass sie formuliert wird. Darüber hinaus ist das Ganze sehr verantwortbar, weil wir nicht dasselbe, sondern ein verändertes Mandat beschließen. Darauf habe ich am Anfang hingewiesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte am Ende meiner Rede versuchen, an einen vorherigen Gedanken anzuschließen. Ich hatte, Frau Präsidentin, eine Zwischenfrage eher von der linken Seite erwartet; aber das scheint sich nach der vorhergehenden Debatte insoweit erledigt zu haben.

(Alexander Ulrich (DIE LINKE): Wir kriegen ja keine Antworten!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich weise vorsorglich darauf hin, dass ich eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Redezeit durch Zwischenfragen‑ auch wenn das durch Koalition und Opposition verabredet worden ist ‑ nicht zulassen werde. Das wurde ja vorhin schon probiert.

Niels Annen (SPD):

Das war keine Verabredung. - Ich komme auch gleich zum Schluss meiner Ausführungen.

Wir haben bereits in der vorherigen Debatte detailliert über die Einsatzbedingungen und auch über die Lage im Mittelmeer diskutiert. Klar wurde, dass dort weiter die Notwendigkeit für diesen Einsatz besteht, dass wir ein Interesse daran haben müssen, Informationen aus einer Region zu bekommen, die großen Spannungen unterliegt, in der es politische und auch militärische Spannungen gibt, und dass wir von dieser Region ein aktuelles Lagebild brauchen. Das steht für mich gar nicht zur Diskussion.

Ich glaube, dass es die Politik dieser Großen Koalition auszeichnet, dass wir diese Debatte mit unseren Partnern führen,

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Dagegen habe ich doch nichts!)

und dass es eine Erweiterung unserer politischen Spielräume bedeutet, wenn wir nicht einfach Knall auf Fall ‑ nur weil sich eine Regierungskonstellation in Deutschland verändert hat ‑ sagen: Da machen wir nicht mehr mit. - Wir nehmen nämlich zur Kenntnis, Kolleginnen und Kollegen, dass es innerhalb der NATO Partner gibt, die vielleicht zu einem anderen Bedrohungsbild und zu einer anderen politischen Lageeinschätzung kommen als wir.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Wir vertrauen auf die Argumentationskraft und darauf, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung diesen Impuls aus dem Deutschen Bundestag aufgreifen. Deswegen bitte ich um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

 

Das Video zur Rede finden Sie hier.