Wir haben in der vergangenen Woche in großer Einigkeit über die unhaltbaren und menschenverachtenden Zustände in Syrien gesprochen. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir die unsagbare Gewalt durch das Assad-Regime einmütig verurteilen. Diese außenpolitische Einigkeit muss jedoch auch Konsequenzen in unserer eigenen Flüchtlingspolitik haben. Davon sehe ich bisher leider viel zu wenig. Bereits seit längerem fordern wir Sozialdemokraten, dass das Rückübernahmeabkommen mit Syrien gekündigt oder zumindest ausgesetzt wird.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben in der vergangenen Woche in großer Einigkeit über die unhaltbaren und menschenverachtenden Zustände in Syrien gesprochen. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir die unsagbare Gewalt durch das Assad-Regime einmütig verurteilen. Es wurde auch über die internationale Schutzverantwortung gesprochen, ob wir nicht verpflichtet sind, die Zivilbevölkerung vor der Massakrierung durch das syrische Regime zu schützen. Hier möchte ich die Bundesregierung loben, dass sie sich an der Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme durch das internationale Rote Kreuz und den Roten Halbmond in der Türkei beteiligt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt: Die Problematik in Syrien und auch die Flüchtlingsproblematik sind bei allen hier im Haus und in der Regierung angekommen.

Diese außenpolitische Einigkeit muss jedoch auch Konsequenzen in unserer eigenen Flüchtlingspolitik haben. Davon sehe ich bisher leider viel zu wenig. Bereits seit längerem fordern wir Sozialdemokraten, dass das Rückübernahmeabkommen mit Syrien gekündigt oder zumindest ausgesetzt wird. Das haben wir auch schon vor dem aktuellen Gewaltausbruch der syrischen Regierung gesagt. Ich weiß, dass dieses Abkommen während der Großen Koalition geschlossen wurde. Natürlich war uns klar, dass Syrien auch damals kein gefestigter Rechtsstaat war. Dennoch war dies eine ausländerrechtliche Entscheidung. Die Situation hat sich aber dramatisch verschlechtert; das ist uns allen bekannt. Herr Wolff von der FDP sagte Anfang 2010, dass die Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau geprüft werden muss, wenn die im Rückübernahmeabkommen enthaltenen Vereinbarungen zu den Menschenrechten nicht eingehalten werden.

(Zuruf von der FDP: Das machen wir ja!)

Ich frage mich, welche Beweise wir noch aus Syrien brauchen, damit uns eindeutig klar wird, dass das Menschenrechtskapitel in diesem Abkommen in Syrien mit Füßen getreten und mit Gewehrkolben geschlagen wird und dass wir endlich konsequent handeln müssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu reicht der Schritt nicht aus, dass das Innenministerium den Ländern empfiehlt, weitere Abschiebungen nach Syrien auszusetzen. Wir dürfen uns nicht einzig und allein auf die Lage im Ausländerrecht zurückziehen und behaupten, rechtlich sei doch alles klar. Gerade bei einem außenpolitischen Brennpunkt wie Syrien müssen wir politische und nicht rein rechtliche Entscheidungen treffen. Gerade hier müssen wir mehr denn je unser humanitäres Gewissen einschalten. Wir alle wissen, dass es bei Flüchtlingspolitik immer um Einzelschicksale geht. Dem müssen wir gerecht werden, und zwar nicht nur mit Paragraphen, sondern auch mit eindeutigen Aussagen, dass wir uns um die Menschen kümmern, die in unserem Land sind, die meisten übrigens seit mehreren Jahren.

Herr Grindel hat im Januar 2010 betont, dass unter denen, die wir bisher nach Syrien abgeschoben haben, auch sehr viele Kriminelle gewesen seien. Verzeihen Sie mir, aber ich finde diese Verknüpfung absolut unerträglich, abgesehen davon, dass Sie dies überhaupt nicht beweisen können.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie der Meinung sind, dass vermeintlich kriminelle syrische Flüchtlinge in unserem Land ohne Gewissensbisse den Gewehrkolben von Assads Schergen ausgesetzt werden dürfen,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Damals war die Situation eine andere!)

dann frage ich Sie: Was ist Ihr Verständnis vom Rechtsstaat? Denn auch Flüchtlinge und vermeintlich Kriminelle besitzen Menschenrechte.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist keine Frage, dass kriminelle Taten strafrechtlich verfolgt werden müssen, aber immer im Rahmen eines Rechtsstaates und nicht mit den Mitteln der Abschiebung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Zeiten von rechtsradikalem Terror in unserem Land, dem zahlreiche Mitbürger mit Migrationshintergrund zum Opfer gefallen sind, die auch zuerst als kriminelle Ausländer angesehen wurden, sollten wir mit solchen Vorurteilen deutlich vorsichtiger sein.

Wir müssen uns zudem bewusst sein, dass viele Flüchtlinge, die zu uns kommen, traumatisiert sind. Viele Menschen können ihre schrecklichen Erlebnisse nicht einfach wegstecken und sind nicht so sicher im Umgang mit unserer Gesellschaft. Wir müssen Respekt haben vor den traumatischen Erlebnissen dieser Flüchtlinge.

Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass aus Deutschland direkt derzeit niemand mehr nach Syrien abgeschoben wird. Gott sei Dank, könnte man sagen. Aber wir wissen, dass es indirekte Abschiebungen gibt, und zwar über Ungarn. In diesen Tagen haben wir sowieso schon Probleme mit Ungarn und dem Verhältnis der nationalkonservativen rechten Regierung von Viktor Orban zum Rechtsstaat. Gerade in einer solchen Situation müssen wir sagen: Es kann nicht sein, dass Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, über Ungarn, das Syrien unverständlicherweise nach wie vor als sicheren Drittstaat bezeichnet, nach Syrien abgeschoben werden. Wir haben nach der Dublin-II-Verordnung das Recht, das Asylverfahren an uns zu ziehen und nicht in Ungarn zu belassen. Das sollte dringend geschehen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen meine persönlichen Erfahrungen in der Flüchtlingspolitik mit auf den Weg zu geben: Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 90er-Jahren war ich in der Friedenspolitik aktiv. Ich war im Kreis Heilbronn eine Anlaufstelle für Flüchtlinge aus den Kriegsländern des ehemaligen Jugoslawien. In meinem Haus lebten teilweise bis zu 18 Flüchtlinge, übrigens aus verschiedenen Ethnien aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank gab es damals eine andere Flüchtlingspolitik und noch keine Dublin-II-Verordnung. Zum Glück konnten diese Menschen hier in Sicherheit leben.

Im Übrigen ist keine dieser Familien noch in unserem Land. Das mag die Union freuen, die oft Angst hat, dass Flüchtlinge unser Land überrennen und dann hier weiterhin vermeintlich auf Kosten des Staates leben wollen. Mich stimmt es aber auch traurig; denn offensichtlich haben diese Menschen in den USA, in Australien oder anderswo bessere Chancen gesehen. Wir sollten dringend überlegen, wie wir Flüchtlingen und Geduldeten, die oft von uns ausgebildete Fachkräfte sind, eine Chance auf unserem Arbeitsmarkt und in unserer Gesellschaft geben können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)