Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie wollen dem Haushalt dieses Jahr nicht zustimmen, weil der Aufwuchs Ihrer Meinung nach zu gering ist . Sie wissen, dass ich nicht zu denen gehöre, die einen Haushalt schönreden . Auch ich habe, obwohl ich Mitglied einer Regierungsfraktion bin, den letzten beiden Haushalten, auch dem Gesamthaushalt, nicht zugestimmt . Ich hatte Anfang der Legislaturperiode deutlich protestiert, weil im Koalitionsvertrag im Mittel lediglich ein Aufwuchs von 200 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen wurde .
Jetzt wächst der Entwicklungshaushalt um knapp 900 Millionen Euro, und im Bereich des Auswärti¬gen Amtes ist ein Aufwuchs der ODA-Mittel von etwa 800 Millionen Euro zu verzeichnen . Wir kommen also auf über 1,6 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel . Einen solchen Aufwuchs hätten wir uns vor ein paar Jahren nicht träumen lassen . Deswegen sage ich: Der Aufwuchs der ODA-Mittel ist gut . Ich stimme ihm zu . Ich glaube, das wird den Ärmsten der Armen helfen .
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es ist auch kein Geheimnis – der Minister weiß das –: Es wäre besser gewesen, wenn die entsprechenden Ma߬nahmen früher vereinbart worden wären . Es ist wirklich höchste Zeit; es ist vielleicht eher fünf nach zwölf als
fünf vor zwölf, aber besser spät als nie . Ich erinnere (C) daran: Bereits 2011 haben 372 Abgeordnete, also fast
60 Prozent des Hauses, parteiübergreifend hier im Bundestag einen entwicklungspolitischen Konsens beschlossen . Wir hatten vereinbart: Wir wollen pro Jahr 1,2 Milliarden Euro mehr an anrechnungsfähigen ODA-Mitteln zur Verfügung stellen, um bis zum Jahr 2015 auf eine Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu kommen . Das haben wir leider nicht geschafft . Weil wir es als Entwicklungspolitiker in den letzten Jahren oft nicht einfach hatten, in der Bevölkerung oder auch bei dem einen oder anderen Spitzenpolitiker Gehör zu finden, sage ich: Hätte man 2011, also vor vier, fünf Jahren, auf uns gehört, dann wären uns viele Probleme und viel Flüchtlingselend erspart geblieben .
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN¬KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unsere Forderung war richtig . Wir werden nun zusehen, dass wir in Zukunft die 0,7 Prozent erreichen .
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Um auf die 0,7 Prozent zu kommen, brauchen wir in der Tat einen konkreten Fahrplan für die nächsten Jahre; den vermisse ich noch . Aber man kann doch nicht einen Haushalt ablehnen, weil dieser ODA-Mittel in Höhe von „nur“ 1,6 Milliarden Euro enthält, wenn man selber früher nur 1,2 Milliarden Euro mehr ODA-Mittel pro Jahr gefordert hat . Das ist nicht in Ordnung . (D)
Der Kollege Klein hat gesagt, dass wir bald eine ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen, wenn wir jetzt die durch die Flüchtlingskrise entstandenen Kosten innerhalb der ersten zwölf Monate anrechnen . Theoretisch könnten übrigens sogar die Abschiebekosten angerechnet werden, was wir aber nicht machen . Ich warne davor, das überhaupt in Betracht zu ziehen, auch wenn man so etwas laut DAC-Kriterien machen könnte . Wenn man die Kosten des Bundesinnenministeriums und der anderen Ressorts für die Unterbringung von Flüchtlingen rein-rechnet – das hat nichts mit den 1,6 Milliarden Euro zu tun, die ich lobe –, dann bläht man die ODA-Quote auf wie einen bunten Luftballon . Dann darf man sich nicht wundern, wenn der einem um die Ohren fliegt. Mit einer ODA-Quote, die nur auf dem Papier schön aussieht, macht man niemanden satt, bringt man kein Kind mehr in die Schule, baut man kein Krankenhaus, schafft man keine Arbeitsplätze und keine Perspektiven, beseitigt man keine Fluchtursachen . Wir brauchen echtes Geld,
(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])
mehr Mittel, einen ODA-Pfad bis 2020 oder 2030, da¬mit wir spätestens 2030 bei 0,7 Prozent ankommen; je schneller, desto besser .
(Beifall bei der SPD)
Wir haben heute schon viel über Fluchtursachen geredet . Das, was zu den syrischen Flüchtlingen gesagt wurde, will ich nicht noch einmal wiederholen . Ich möchte den Fokus auf einen anderen Aspekt richten: Schon bevor in Syrien die große Krise ausgebrochen ist, sind aus Afrika viele Menschen zu uns gekommen und kommen auch immer noch viele Menschen zu uns . Die Be-völkerung dieses Kontinents wird in den nächsten 20, 30 Jahren von 1 Milliarde Menschen auf 2 Milliarden Menschen anwachsen . Deswegen ist das, was der Minis¬ter vorhin gesagt hat, richtig: Wir legen bei unserer Entwicklungszusammenarbeit den Fokus nicht nur auf die unmittelbare humanitäre Hilfe; das macht das Auswärtige Amt . Wir sind nicht der Feuerlöscher, sondern wir sind diejenigen, die präventiv, vorbeugend Strukturen schaffen müssen, die Perspektiven schaffen müssen, die Menschen aus Armut herausführen und eine wirkliche Zukunft für die Menschen in diesen Ländern schaffen müssen . Deswegen ist jeder Cent, den wir im Entwicklungshaushalt einsetzen, eine vorbeugende, präventive Maßnahme zur Bekämpfung von Fluchtursachen . Dazu können wir selbstbewusst stehen .
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)
Weil mir heute zu oft die Bekämpfung von Fluchtur¬sachen als Motiv für die Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit angeführt wurde, sage ich: Im Peer Review des DAC wird zu Recht kritisiert, dass aus Deutschland in die Least Developed Countries, also die ärmsten Entwicklungsländer, immer noch zu wenig Geld fließt. Wir hatten dazu einen Briefwechsel, einen Austausch . In den Koalitionsvertrag haben wir geschrieben, dass wir für die ärmsten Staaten, für die fragilen Staaten
(B) mehr Geld ausgeben wollen . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir können nicht weiter zulassen, dass 20 000 Menschen pro Tag an den Folgen von Hunger und Armut sterben, vor allem Kinder . Es ist egal, ob aus diesen Kindern später einmal ein Flüchtling wird oder nicht . Ich möchte dieses Sterben nicht länger zulassen . Dieses Sterben müssen wir verhindern . Jeder Mensch hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben, unabhängig von der Frage der Fluchtursachenbekämpfung .
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so-wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es hat in der Tat nicht nur etwas mit Geld zu tun, ob Menschen eine Zukunftsperspektive haben oder in Armut leben . Im Zusammenhang mit den Handelsbeziehungen haben wir in Brüssel jetzt zum Beispiel über das ganz heiße Thema der sogenannten Konfliktmineralien zu diskutieren. In jedem Smartphone sind Konfliktmineralien verarbeitet, auch in all denen, die Sie haben . Im Kongo wird damit ein blutiger Bürgerkrieg finanziert: Rebellengruppen werden ausgestattet, Kinder werden als Soldaten missbraucht oder müssen in Minen schuften . Wir wissen, dass viele Flüchtlinge aus dem Kongo in Uganda unterkommen . Es wurde schon zu Recht gesagt, dass 90 Prozent der Flüchtlinge aus Entwicklungsländern in benachbarten Ländern unterkommen . Wir müssen dafür sorgen, dass Konzerne nicht länger Geld mit diesen Konfliktmineralien verdienen. Nicht an unseren Händen, aber an unseren Handys klebt Blut . Deswegen sage ich:
Wir wollen einen Wandel durch fairen Handel, und die- (C) ses Ziel müssen wir schnell erreichen .
(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU] und Michael Leutert [DIE LINKE])
Das gilt genauso für die angesprochenen Baumwollsubventionen der USA und für die Landwirtschaftssubventionen der Europäischen Union . Das gilt auch für die Schokolade, die wir so gerne essen . Wir müssen bedenken, dass auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste und in Ghana 2,3 Millionen Kinder ab fünf Jahren ge¬fährliche Arbeiten verrichten müssen . Dadurch, dass sie mit Pestiziden in Berührung kommen und mit Macheten hantieren, gefährden sie ihr eigenes Leben . Sie haben keine Chance, eine Bildung zu erhalten, die ihnen eine Perspektive bietet, die ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht .
Wir haben schon oft über blutige T-Shirts aus Bangladesch geredet . Diesbezüglich sind wir mit dem Textilbündnis auf einem guten Weg . Ich sage es an dieser Stelle trotzdem noch einmal: Es kann nicht sein, dass eine Banane, die nicht die richtige Länge und Breite hat, nicht in die Europäische Union rein darf, aber T-Shirts und Handys, an denen Blut klebt, und Schokolade, die mit Kinderarbeit hergestellt wurde, in die Europäische Union rein dürfen . Das müssen wir ändern .
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
An dieser Stelle, Herr Minister, werden wir uns (D) auch noch einmal über das Abkommen mit Westafrika unterhalten müssen . Denn in diesem sind gerade die 
se Kernarbeitsnormen, die Kinderarbeit verbieten und menschenunwürdige Arbeit verhindern sollen, nicht enthalten . Die Freihandelsabkommen der Europäischen Union müssen diese Dinge enthalten .
Vizepräsidentin Claudia Roth: Darüber reden wir heute aber nicht mehr . Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .
Vizepräsidentin Claudia Roth:Genau .
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Lassen Sie uns die Welt ein Stück gerechter machen . Lassen Sie uns im nächsten Jahr weiter gemeinsam für die notwendigen Mittel sorgen, um Fluchtursachen zu bekämpfen . Dann, aber nur dann schaffen wir das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)