Ein fast besinnungsloser Glaube an die Macht der Märkte führt vermehrt dazu, dass bestimmte Gruppen einen Mindestlohn ablehnen. Das regele der Makt von allein (was er aber nie getan hat). Andere warnen vor einem Mindestlohn und drohen, das führe zu einer massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen. Zuletzt geisterte die Zahl von dem Abbau von 1,8 Millionen Arbeitsplätzen durch die Medien. Arbeitgebernahe Institute kommen mit immer neuen Studien. Doch keine konnte bislang nachweisen, dass ein Mindestlohn der Konjunktur und der Beschäftigung in Deutschland schadet.
Sehr wohl belegt ist aber, dass die Niedriglohnbeschäftigung seit Jahren dramatisch anwächst – höher als in unseren Nachbarländern. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten für einen Lohn, der selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung keine hinreichende materielle und sozio-kulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht.
So haben im Jahr 2009 fast 16 Prozent aller Arbeitnehmer einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro bekommen. Dabei sind Frauen (21 Prozent aller Frauen), Alleinerziehende (24 Prozent) und Paare mit Kindern (18 Prozent) besonders betroffen. Das und immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse sorgen dafür, dass immer mehr Steuergelder eingesetzt werden, um den von Niedriglöhnen betroffenen Menschen zumindest das Existenzminimum zu gewährleisten. Damit zahlen die normalen Bürgerinnen und Bürger das, was eigentlich die Arbeitgeber bezahlen müssten. Unter so obszön geringen Löhnen leiden auch die Sozialkassen und die Binnenkaufkraft – ein Teufelskreis.
Millionen Menschen bekommen mehr
Laut einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (siehe Anhang) würde sich mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro nicht nur die Einkommenssituation von fünf Millionen Menschen verbessern. Auch der deutsche Staat könnte seine Haushaltslage mit mehr als 7 Milliarden Euro entlasten.
Durch die Einführung eines solchen Mindestlohns würden die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte um etwa 14,5 Milliarden Euro steigen. Daraus resultieren unmittelbar zusätzliche Einnahmen aus der Einkommensteuer und Sozialbeiträgen in Höhe von jeweils 2,7 Milliarden Euro.
Durch höhere verfügbare Einkommen steigen aber auch die Konsumausgaben der privaten Haushalte. Das stärkt die Binnennachfrage. Damit steigt auch das Aufkommen aus den Verbrauchssteuern um knapp 700 Millionen Euro. Zudem würden die Ausgaben für staatliche Transfers wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld oder Kindergeldzuschlag um 1,7 Milliarden Euro zurückgehen. Ein Mindestlohn bekämpft Altersarmut.
Mindestlohn fast überall in der EU
Angesichts der Tatsache, dass in 20 von 27 Staaten der Europäischen Union Mindestlöhne bestehen, handelt es sich bei ihrer Einführung in Deutschland nicht um ein politisches Experiment, sondern um die Übernahme einer in vielen anderen Staaten (auch den USA) erprobten und erfolgreichen Gesetzgebung.
Bereits im Jahr 2007 hat sich das Europäische Parlament für existenzsichernde Mindestlöhne ausgesprochen und folgte explizit nicht der Auffassung, dass Mindestlöhne eine negative Beschäftigungswirkung hätten. Im Übrigen wurden in mehreren Branchen in Deutschland branchenbezogene Mindestlöhne eingeführt, ohne dass negative Beschäftigungswirkungen bekannt geworden sind. Mindestlöhne werden mittlerweile von den verschiedenen Tarifpartnern für unterschiedliche Branchen gefordert.
Es stellt sich die Frage, ob die geschürte Furcht vor Mindestlöhnen wirklich eine ist im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, oder ob es nicht vielleicht eher darum geht, dass bestimmte Gruppen Angst haben, nicht mehr auf dem Rücken der Arbeitnehmer schalten und walten zu können im Gewand der „Marktfreiheit“.
Die SPD-Bundestagsfraktion kämpft seit Jahren um die Einführung des beschriebenen Mindestlohns und verhandelt das auch mit großem Erfolg in den Koalitionsgesprächen. Der Mindestlohn wird kommen.