Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Antragskommission der CDU dem Bundesparteitag empfehlen will, „eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert.“ Ein Vorstoß, der auf den ersten Blick nach einer Wende der Union hin zu einem allgemeinen Mindestlohn aussieht – und prompt auf heftige Kritik innerhalb der CDU und beim Koalitionspartner FDP stieß.
Von einer „Diskussion zur Unzeit“ sprachen die einen (Michael Kretschmer, Unions-Fraktionsvize und Generalsekretär der CDU Sachsen), von einer „Gespensterdebatte“ die anderen (Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates). Die Mittelstandsvereinigung der Union wetterte, die Festlegung einer Lohnuntergrenze sei „ordnungspolitisch nicht vertretbar“ (Hans Michelbach, CSU).
FDP-Parteivize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte: „Die FDP kann sich auf das Abenteuer eines gesetzlichen Mindestlohnes nicht einlassen.“ Und der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle kritisierte, die CDU nähere sich sozialdemokratischen Positionen an.
CDU-Chefin Merkel ruderte zurück und stellte klar: Sie wolle keinen einheitlichen Mindestlohn, sondern regional- und branchenspezifische Regelungen.
„Sie wissen nicht, was Sie tun“
Wer behauptet, er wolle eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze, könne keine branchenbezogenen oder regionalen Abweichungen hinnehmen, kritisierte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Mittwoch in der Aktuellen Stunde des Bundestages. Merkel mache „die Lohnuntergrenze zum Schweizer Käse.“
SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil stieß mit seiner Kritik in die gleiche Richtung: „Sie wissen nicht, was Sie wollen, und Sie wissen nicht, was Sie tun“, sagte Heil an die Abgeordneten von Union und FDP gewandt. Der Arbeitsmarktexperte monierte unter anderem die in dem CDU-Vorschlag vorgesehene Beschränkung der Lohnuntergrenze auf Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt. Heil verwies auf den Tariflohn für Friseurinnen und Friseure in Sachsen, der gerade mal etwas über drei Euro liegt. Die SPD hält es für falsch, solche Bereiche von einer allgemeinen Mindestlohnregelung auszunehmen.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Anette Kramme machte außerdem deutlich, dass es nicht um irgendeinen Mindestlohn gehen kann – egal wie hoch. Sie kritisierte die von der CDU diskutierte Orientierung einer Lohnuntergrenze am Mindestlohn in der Zeitarbeit, was einer Mindestlohnhöhe von 7,01 Euro (Ost) bzw. 7,89 Euro (West) entsprechen würde.
Rede von Andrea Nahles zum Mindestlohn (Aktuelle Stunde am 10.11.2011)
Einheitlich 8,50 Euro pro Stunde sind das Mindeste
Für die SPD-Fraktion steht fest: Eine zu niedrige allgemeine Lohnuntergrenze bringt nichts. Der Mindestlohn muss die Beschäftigten unabhängig von ergänzender Sozialhilfe machen – auch im Alter.
SPD-Fraktionsvize Heil betonte: „Wir wollen einen Vorrang für tarifvertragliche Mindestlöhne.“ Die Koalition könnte „ohne weiteres etwas dafür tun, dass tarifvertragliche Mindestlöhne über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einfacher möglich wären“, sagte Heil. Dafür müssten lediglich alle Branchen in das Gesetz aufgenommen werden, dann könnten entsprechende Branchentarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden.
Die SPD hatte in den letzten Jahren konsequent jede sich bietende Gelegenheit ergriffen hat, um die Ausweitung branchenbezogener Mindestlöhne gegen die Union durchzusetzen, musste der Union dies aber Branche für Branche abtrotzen.
Weil es aber in einigen Branchen Tarifverträge gibt, „die ihren Namen nicht verdienen“, wie Heil sagte, fordert die SPD-Fraktion gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, branchenbezogene Regelungen durch einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro zu flankieren.
Rede von Hubertus Heil zum Mindestlohn (Aktuelle Stunde am 10.11.2011)
Die Union muss Farbe bekennen
Die Mindestlohn-Rhetorik der CDU-Führung darf kein symbolpolitisches Placebo bleiben. Hubertus Heil zitierte Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende kündigte an, dass die Sozialdemokraten nach dem CDU-Parteitag einen Antrag zur Einführung einer allgemeinen Lohnuntergrenze im Bundestag vorlegen werden. Über diesen Antrag wird die SPD-Fraktion namentlich abstimmen lassen. Dann muss die Union beweisen, wie ernst es ihr ist.
Heil selbst glaubt nicht daran, dass es mit Schwarz-Gelb in dieser Legislaturperiode zu einem allgemeinen Mindestlohn kommen wird. „Das ist die schlechte Nachricht für die Menschen in Deutschland“, so Heil.
„Wir werden das erledigen,“ kündigte Andrea Nahles für die nächste Wahlperiode an. Das ist die gute Nachricht.
Rede von Anette Kramme zum Mindestlohn (Aktuelle Stunde am 10.11.2011)