Der Wert der Europäischen Union wird immer dann besonders deutlich, wenn man ihn im Alltag spürt. Genau auf dieser persönlichen Ebene setzte Katarina Barleys Plädoyer für ein gemeinsames Europa an. Die Bundesjustizministerin sieht im Fehlen einer positiven Verbindung zu Europa einen der Hauptgründe für den möglichen Brexit. Die Menschen in den landwirtschaftlichen geprägten Grafschaften Großbritanniens – etwa in jener, aus der Barleys Vater stammt – verständen zwar, dass Europa Unternehmen schütze, aber sie fragten sich: Was ist mit mir, was ist mit uns?

Europa als Ort der Mitbestimmung

„Wir brauchen ein Europa, das den Menschen vor Ort zeigt, dass es um Schutz für sie selbst geht“, sagt die Bundesjustizministerin. Um diesen persönlichen Schutz wahrzunehmen, bedürfe es eines europaweiten Mindestlohns, der Möglichkeit der fairen gewerkschaftlichen Mitbestimmung in allen EU-Ländern und einer europaweit einheitlichen und gerechten Besteuerung von Digital-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook.

Europa als Friedensmacht

„Es ist so wichtig, dass wir dieses Europa zusammenhalten, weil wir es brauchen, um den Frieden zu sichern“, sagte Barley. Sie verwies auf den erst 20-jährigen Frieden in Nordirland, der durch den EU-Austritt Großbritanniens gefährdet sei. „Die Menschen vor Ort haben riesige Angst“, so Barley. Sie bräuchten ein Europa des Brückenbauens, wie es etwa von Frankreich und Deutschland derzeit im UN-Sicherheitsrat vorgelebt werde. Durch den gemeinsamen Vorsitz zweier ehemaliger „Erbfeinde“ gelinge es auch, Themen wie die nukleare Abrüstung auf die Agenda zu setzen, die in den Vereinten Nationen seit 2012 nicht mehr behandelt worden seien. „Wir brauchen diese Brücken für den Frieden. Das ist die Kraft von Europa“, sagte Barley.

Auf die immense historische Leistung, die der Aufbau der Europäischen Union darstellt, verwies der stellvertretende außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Christoph Matschie: „Die europäische Union ist entstanden, weil der Kontinent vor gewaltigen Herausforderungen stand. Das war der Beginn eines großen europäischen Versöhnungswerks, das bis heute anhält.“ Er verwies auf den einmaligen Schatz an politischen Erfahrungen, über den die Europäische Union verfüge und auf dem sie ihre künftige Rolle als Schutzraum und Gestaltungsmacht aufbauen könne.

Aktuell verschöben sich, sowohl auf der Ebene des Welthandels, als auch in der Außenpolitik die Gewichte, so Matschie. Die Antwort auf den Ausbruch neuer Handelskonflikte und die Entstehung neuer Machtzentren könne nur eine gemeinsame und handlungsfähige Außenpolitik und eine starke Stimme des gemeinsamen Binnenmarktes sein.

Europa als Schutzraum

Auch der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer, Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, betonte die „praktizierte Gemeinsamkeit“, die sich in den europäischen Gremien offenbare. „Wir machen in Brüssel gemeinsam konkrete Politik“, sagte Schäfer.

Dass die Europäische Union auch Schutz in Zeiten des digitalen Wandels bedeute, stellte Jens Zimmermann, Sprecher der Arbeitsgruppe Digitale Agenda, heraus. Er verwies dabei auf die technologischen Umbrüche, sei es durch Entwicklungen im Silicon Valley, aber auch in China und Russland, etwa durch die versuchte Einflussnahme Russlands auf demokratische Strukturen. Es sei eine große Chance, die Antwort auf diese Umbrüche und auch auf Fragen zu Urheberrechten und Uploadfiltern gemeinsam zu finden, so Zimmermann. Er betonte: „Die Zukunft liegt in der Gemeinschaft und nicht im Alleingang.“