SPD-Chef Sigmar Gabriel hält eine gemeinschaftliche Haftung aller Euro-Länder für nötig. Sie auch?
Steinmeier: Eine gemeinsame Haftung findet doch längst statt. Die Europäische Zentralbank, die Deutschland wesentlich mit Kapital ausstattet, kauft Staatsanleihen südeuropäischer Krisenländer. Und wenn die ausfallen, haften wir unbegrenzt und ohne, dass der Bundestag darüber auch nur einmal abgestimmt hat. Wir müssen uns entscheiden, ob die gemeinschaftliche Haftung begrenzt und unter demokratischer Kontrolle stattfinden soll, wie etwa bei der Umsetzung eines europäischen Schuldentilgungsfonds, oder unbegrenzt und ohne Kontrolle wie durch die Zentralbank. Die Bundesregierung hat bisher alle Vorschläge für eine begrenzte und politisch kontrollierte Haftung, sei es Euro-Bonds oder Schuldentilgungsfonds, abgelehnt und stimmt klammheimlich der Intervention der Europäischen Zentralbank zu. Das Ausfallrisiko ist bei beiden Wegen gleich. Aber mir ist der demokratisch legitimierte Weg lieber.
Die EZB existiert längst. Sie wollen einen neuen Schuldenfonds, in dem Deutsche zusätzlich haften. Können Sie das beziffern?
Steinmeier: Die Idee eines Schuldentilgungsfonds ist ja nicht von einem sozialdemokratischen Himmel gefallen, sondern ist Bestandteil des Gutachtens des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Der deutsche Anteil an einem solchen Fonds hängt von der Ausgestaltung ab. Darüber kann demokratisch entschieden werden. Wenn stattdessen die EZB weiter Staatsanleihen aufkauft, hat Herr Brüderle vielleicht nicht den Finger dafür gehoben, aber er hat sich trotzdem seine Hände schmutzig gemacht.
Was wäre die Folge?
Steinmeier: Dann wird es früher oder später zu einer Kapitalerhöhung bei der EZB durch die Mitgliedsstaaten kommen und auch Deutschland muss zahlen.
Und die Deutschen müssen mit höheren Zinsen die niedrigeren Zinsen der Krisenländer subventionieren?
Steinmeier: Es nützt doch nichts die Lage schön zu reden. Wenn wir das Auseinanderbrechen der Euro-Zone verhindern wollen, wird das nicht ohne Risiken für Deutschland gehen. Das sollte die Regierung den Menschen endlich ehrlich sagen. Aber das größte Risiko für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Arbeitsplätze ist ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone. Die Folgekosten wären erheblich höher. Und deshalb ist das Herbeireden eines Austritts eines Euro-Lands, wie in diesen Tagen aus der Union, brandgefährlich und gegen die Interessen Deutschlands.
Ist Griechenland Ende des Jahres noch Mitglied in der Euro-Zone?
Steinmeier: Ich weiß es nicht. Darüber werden die Griechen in den nächsten Monaten entscheiden. Entweder bekommt die Regierung die Unterstützung für ihren harten und schmerzhaften Reformkurs oder nicht.
Braucht Europa eine eigene Verfassung, über die dann auch die Deutschen abstimmen müssen?
Steinmeier: Ich habe die letzten gescheiterten Bemühungen über einen Konvent für Europa und eine europäische Verfassung noch in guter Erinnerung. Es wird nicht leicht sein, einige Länder Europas für eine europäische Verfassung zu gewinnen. Aber in ein paar Jahren werden sich Europas Länder auf eine neue Grundverfasstheit der Union einigen müssen. Wir haben ein Interesse daran. Die Zukunft Deutschlands ist nur in Europa gut aufgehoben. Oder wie es Hans-Dietrich Genscher formuliert hat. Europa ist Deutschlands Zukunft. Eine andere haben wir nicht.
FDP und Linke buhlen um die SPD. Was können Sie sich 2013 eher vorstellen: Rot-Rot-Grün oder eine Ampel-Koalition?
Steinmeier: Es wird für Rot-Grün reichen.
28 Prozent SPD und 13 Prozent Grüne ergibt zusammen?
Steinmeier: (lacht) 51. Im Ernst: Die Umfragen gehen ständig auf und ab. Mal gibt es rot-grüne Mehrheiten, mal nicht. Unser Ziel ist es, dass es am Wahltag reicht.
Wollen Sie Ihrer Partei nicht die Richtung vorgeben?
Steinmeier: Es spricht sich zumindest herum, dass Schwarz-Gelb 2013 bei der nächsten Bundestagswahl keine Mehrheit mehr haben wird. Und dass sich viele um die Sozialdemokratie bemühen, darüber beschwere ich mich nicht. Aber die Offerte der Linkspartei ist weniger ein Koalitionsangebot als der Hilferuf eines Ertrinkenden. Die Piraten tun im Augenblick alles dafür, dass ihr bereits sicher geglaubter Einzug in den Bundestag doch noch scheitert. Und die FDP wird bis zum Ende zittern müssen. Zudem habe ich die Aussage des Parteichefs der Liberalen noch im Ohr, dass er keine Überschneidungen mit der SPD sieht.
Sehen Sie denn Themen, bei denen Sozialdemokratie und politischer Liberalismus zusammengehen?
Steinmeier: Ich rate der SPD einen Wahlkampf zu führen, mit dem sie so stark wie möglich wird. Wir sollten darauf setzen, dass wir gemeinsam mit den Grünen eine Mehrheit im Bundestag bilden. Über Anderes müssen wir jetzt nicht entscheiden.
Die SPD ist doch koalitionsfähig mit allen demokratischen Parteien.
Steinmeier: Das ist eine Selbstverständlichkeit, aus der ich rate, keine weiteren Schlüsse zu ziehen.
Können Sie sich grundsätzlich auf Bundesebene ein Tolerierungsmodell nach dem Vorbild NRW vorstellen?
Steinmeier: Hannelore Kraft hat das in NRW toll gemacht und damit den Grundstein für ihren anschließenden überzeugenden Wahlsieg gelegt. In der europäischen Krise kann ich mir für die Bundesebene kein Tolerierungsmodell vorstellen.
Es gibt in der Partei Stimmen, die sagen, ein im Volk unbeliebter Parteichef Gabriel und ein in der Partei polarisierender Steinbrück können nicht Kanzlerkandidat werden. Deshalb müsse es Steinmeier machen. Eine nachvollziehbare Argumentation?
Steinmeier: Ich verstehe Ihren Ehrgeiz zum Ende der Sommerpause die K-Frage in der SPD zu befeuern. Aber sie wissen was Karl Kraus gegenüber allen journalistischen Zudringlichkeiten gesagt hat: Aus meinen persönlichen Angelegenheit halte ich mich prinzipiell heraus.
Haben Sie die Niederlage von 2009 verkraftet?
Steinmeier: Das war ein herber Einschnitt und ich bin auch nicht so gestrickt, dass ich das nach einer durchschlafenen Nacht abschüttele. Für mich war die Erfahrung in der Fraktion und als Fraktionsvorsitzender wichtig, dass man sich auch nach Niederlagen wieder hocharbeiten, Respekt zurückgewinnen und – was noch viel wichtiger ist – auch selber wieder Freude am politischen Geschäft finden kann.
Würden Sie so weit gehen zu sagen, die Niederlage hat sie gestärkt?
Steinmeier: Ich finde den Politiker-Satz „Niederlagen gehören zum Geschäft“ zu oberflächlich. Die entscheidende Frage ist, ob man nach einer Niederlage die Chance bekommt, sich wieder nach vorne zu arbeiten. Die hatte ich und dafür bin ich dankbar.
Bei den drei möglichen Kanzlerkandidaten hat man den Eindruck, dass sie gar nicht unbedingt wollen. Haben Sie den Willen, Kanzler zu werden?
Steinmeier: Jeder, der über Jahre hinweg hart im Wind der politischen Öffentlichkeit steht, muss Überzeugung, Beharrlichkeit und Ehrgeiz mitbringen. Das gilt nicht nur für die Drei, die sie meinen. Sondern für jeden, der in den vordersten Reihen steht. Ansonsten gilt: Alle Fragen zur Bereitschaft, Eignung und Person des Kanzlerkandidaten der SPD, werden wir ihnen Ende Januar 2012 beantworten.
Schließen Sie ein Ministeramt unter Kanzlerin Angela Merkel aus?
Steinmeier: Die große Koalition liegt hinter uns..