Frau Nahles, wie geht es Ihnen?

Danke, gut – angesichts der Umstände.

Die Umstände sind dramatisch: Die SPD kämpft ums Überleben. In Bayern hat sie magere 9,7 Prozent geholt.

Das Ergebnis hat uns allen zu schaffen gemacht, auch mir. Aber das hat sich komplett gedreht. Ich bin entschlossen und absolut kämpferisch.

Bundesweit sind Sie in den Umfragen auf 15 Prozent abgestürzt. Wie sicher sind Sie, dass die SPD nicht stirbt?

Sehr sicher. Schwere Zeiten durchzustehen steckt in der DNA der SPD. Das Motto lautet: Runter in die Arena, Ärmel hochkrempeln und kämpfen!

Knapp 80 Prozent der Bürger wissen nicht mehr, wofür die SPD steht. Können Sie das in einem Satz beantworten?

Die SPD steht dafür, dass wir mit Politik das Leben der Menschen im Alltag besser und gerechter machen.

Wie wollen Sie den Absturz der SPD konkret stoppen?

Wichtig ist, was den ganz normalen Menschen in ihrem täglichen Leben hilft: Politik für die Vielen, nicht für die Wenigen. Ganz oben auf unserer Agenda stehen endlich bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für Erzieher und Pflegekräfte.

Das verspricht die SPD schon seit Jahren ...

Ja, und wir liefern. Jahrzehntelang wurden Pflegekräfte als Sparstrumpf der Nation genutzt. Pflegekräfte wurden wie die Geräte und Medikamente aus den Pauschalen bezahlt. Steigende Kosten haben die Krankenhäuser oft mit Personalabbau in der Pflege kompensiert. Und die Arbeitsbedingungen verschlechtert. Damit ist jetzt Schluss! Menschen, die für Menschen arbeiten, haben die volle Anerkennung und Wertschätzung verdient. Deswegen hat die SPD jetzt durchgesetzt: Die Pflege muss vollständig aus den Fallpauschalen herausgenommen und von den Krankenkassen vergütet werden. So fällt für Krankenhäuser der Anreiz weg, auf Kosten der Pflege zu sparen. Die Kliniken können mehr Pfleger einstellen und die Arbeitsbelastung senken. Tariferhöhungen kommen zu 100 Prozent bei den Pflegekräften an.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn ein Altenpfleger in Vollzeit nur gut 2000 Euro brutto verdient?

Ja, und ich finde, jeder Politiker muss da ein schlechtes Gewissen haben. Deshalb will ich für alle, die Dienstleistungen an Menschen erbringen, also Pflegekräfte oder Erzieher, einen Tarifvertrag Soziales. Noch in diesem Jahr beginnen wir, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Vorher müssen Sie noch die Hessen-Wahl am nächsten Sonntag überstehen. In einer Umfrage sind die Grünen an der SPD vorbei gezogen. Wird die Landtagswahl zur Schicksalswahl?

Nein, sie ist enorm wichtig für Hessen. Dem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern wünsche ich, dass sie endlich eine frische und tatendurstige Regierung bekommen. Deswegen setzen wir auf Platz 1. Ich bin guter Dinge, dass Thorsten Schäfer-Gümbel Ministerpräsident wird. Er kämpft für bezahlbares Wohnen, um gebührenfreie Kitas und ein Ende der befristeten Stellen für Lehrerinnen und Lehrer, eben die Dinge, die für die Menschen in Hessen wirklich wichtig sind. Die SPD ist und bleibt eine Volkspartei.

Und dann regieren Sie mit Rot-Rot-Grün?

Ich spekuliere nicht über Koalitionen, schon gar nicht, bevor gewählt wurde. Ich will eine starke SPD.

Sie sind seit April SPD-Chefin. Haben Sie es sich so schwer vorgestellt?

Ich war ja schon Fraktionsvorsitzende. Aber als Parteichefin ist es wirklich noch eine Umdrehung mehr. Da muss man immer wieder mal durchatmen.

Überprüfen Sie sich nach einem Tiefschlag wie Bayern grundsätzlich, ob Sie noch die Richtige an der Parteispitze sind?

Ich bin nicht unkritisch mit mir selbst und auch bereit, Fehler zuzugeben. Aber ich habe nie in den letzten Monaten gedacht, dass es falsch gewesen wäre, SPD-Vorsitzende zu werden. Im Gegenteil: Es treibt mich, genau diesen Job zu machen. Und ich habe noch viel vor. Ich will den Sozialstaat 2025 entwickeln, der dem gerecht wird, wie sich Arbeitswelt und Bedürfnisse der Menschen verändert haben. Ich will, dass die SPD wieder die Partei mit den interessanten Zukunftsdebatten wird. Den Aufschlag dazu machen wir mit einem großen Debattencamp im November in Berlin. Oder mich bewegt, wie wir Europa retten können.

Dass Sie die Richtige an der SPD-Spitze sind und dass Sie in der Großen Koalition weiter Ihre Projekte vorantreiben wollen - gilt das auch, wenn die hessische Landtagswahl in die Hose geht?

Erstens bin ich zuversichtlich, was die Hessenwahl angeht und zweitens: Ja.

Der kritische Journalist Jamal Kashoggi im Istanbuler Konsulat von Saudi-Arabien ermordet worden. Stoppt die SPD jetzt jegliche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien?

Nun hat Saudi-Arabien den brutalen Mord an Jamal Kashoggibestätigt und einige beteiligte Personen nach eigenen Angaben festgenommen oder aus dem Dienst entlassen. Nach einem derart unfassbaren Vorgang gehört das Verhältnis zu Saudi-Arabien grundsätzlich auf den Prüfstand.

Aber was ist mit den Rüstungsexporten?

Ja, das auch. Es muss spürbare Konsequenzen geben.

Wie kann es sein, dass im Koalitionsvertrag steht, dass an die Beteiligten im Jemenkrieg keine Waffen mehr geliefert werden sollen, aber ausgerechnet in diesem Jahr Saudi-Arabien, das im Jemen Krieg führt, mit mehr als 400 Millionen Euro Deutschlands zweitbester Rüstungskunde ist?

Dies betrifft vor allem die Patrouillenboote, die vor Jahren angefragt und genehmigt wurden. Da wir die Zusicherung haben, dass sie im Land bleiben, sind sie vom Koalitionsvertrag gedeckt. Leider werden nur die alten Genehmigungen veröffentlicht, die vielen, vielen neuen Ablehnungen aber nicht. Die SPD-Fraktion hat dafür gesorgt, dass Rüstungsexporte noch nie so restriktiv gehandhabt werden wie in dieser Regierung. Und das ist auch gut so.

Am Dienstag gibt es eine Investorenmesse in Saudi-Arabien. Siemens-Chef Joe Kaeser will daran teilnehmen. Ist das in Ordnung?

Ich hoffe, Joe Kaeser überdenkt das nochmal.

Wie erklären Sie Ihrer siebenjährigen Tochter die Situation für Mama und die SPD?

Ella war diese Woche zum ersten Mal in der Geisterbahn und hat sich schwer gegruselt. Das war für sie wesentlich schockierender als SPD-Wahlergebnisse und was Mama gerade alles an den Hacken hat.

Sie sind Gründungsmitglied des Parlamentskreises Pferd.

Fast vier Millionen Reiterinnen und Reiter gibt es in Deutschland. Ich bin eine davon. Parlamentarier sollen den Kontakt zu allen Teilen der Gesellschaft haben. Das ist auch richtig so.

Was bedeuten Ihnen Pferde persönlich?

Pferde sind wunderbare Tiere, sie begleiten uns Menschen seit Jahrtausenden. Ich liebe einen Ausritt in der Herbstlandschaft. Da bekomme ich den Kopf frei.