Frage: Sollten Sie Innenminister einer neuen Bundesregierung werden, werden Sie dann ein Law-and-Order-Mann wie Otto Schily es war?

Oppermann: Otto Schily hat eine historische Leistung vollbracht: Er hat gezeigt, dass die Bürger nicht auf Freiheit verzichten müssen, wenn der Staat zum Schutz vor Terroristen drastische Maßnahmen ergreifen muss. Er hat Freiheit und Sicherheit zum Ausgleich gebracht, und das bekommt diese Bundesregierung nicht hin. Innenminister Friedrich spielt mit der Angst, um konservativen Wählern zu gefallen. Wer ständig alarmiert und nach mehr Überwachung ruft, wird aber nicht nur unglaubwürdig. Er trägt auch Verantwortung für eine wachsende Angst in der Gesellschaft.

Klingt doch nach Vorbild ...

Otto Schily ist mein Freund, nicht mein Vorbild.

Wir können uns beim Datenschutz selbst strenge Regeln auferlegen. Aber was machen Sie dagegen, wenn die USA unsere Daten ausspioniert?

Eine Totalüberwachung der Bürger führt nicht zu mehr Sicherheit. Natürlich müssen unsere Sicherheitsbehörden wachsam sein. Sie haben es auch geschafft, uns mit wichtigen Informationen vor schweren Anschlägen zu warnen. Aber was wir in der Debatte über das Ausspähprogramm der US-Geheimdienste erfahren, erschreckt die Bürger zu Recht. Die Geheimdienste dürfen keinen schrankenlosen Zugriff auf höchst privaten Informationen der Bürger haben.

Könnten die Datenschutzbestimmungen im Internet auch per Volksabstimmung entschieden werden?

Ja. Unser Konzept für direkte Demokratie sieht vor, dass auch die Frage, wie umfänglich der Datenschutz im Internet sein soll, per Volksentscheid abgestimmt werden kann. Eine Bürgerbeteiligung bei diesem Thema kann ich mir gut vorstellen.

Wie viel Zugriff auf Online-Daten der Bürger braucht man, um effektiv Cyber-Kriminalität zu bekämpfen?

Cyber-Kriminalität und Attacken aus dem Internet sind ein von der Bundesregierung massiv unterschätztes Problem. Wir haben viel zu wenig in den Schutz von kritischen Infrastrukturen  investiert. Angriffe aus dem Internet sind international. Der Schutz vor Cyber-Angriffen und der Grundrechtsschutz sind bislang nur national. Das passt nicht zusammen. Wir brauchen dringend eine europäische Cyber-Sicherheitsstrategie und eine Datenschutzrichtlinie, mit der wir die Daten der Bürger international auch gegenüber den USA besser schützen können.

Wie ernst nehmen Sie es, dass Forsa die Partei im Moment bei 22 Prozent sieht?

Entscheidend sind Wahlergebnisse. Umfragen haben uns bei vielen Landtagswahlen Niederlagen prognostiziert, aber wir haben es am Ende dennoch in 13 Landesregierungen geschafft. Ich glaube, dass die Inhalte der SPD – gesellschaftliche Modernisierung, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität – so attraktiv sind, dass wir auch bei der Bundestagswahl punkten werden.

Ihre Inhalte werden von Debatten über den Spitzenkandidaten überlagert. Was muss sich für Sie im Wahlkampf ändern?

Wir suchen die Zuspitzung. Wir sagen klar, wofür wir stehen: für einen fairen Mindestlohn, für bezahlbare Mieten und für eine auskömmliche Rente. Ich glaube, da stehen viele Menschen hinter uns - nur Frau Merkel ist dagegen.

Ihre Schatzmeisterin Barbara Hendricks sagte: „Männer halt ...“

Oppermann (lacht): Da mag sie vielleicht Recht haben.

Trotzdem sieht es so aus, als sei die Union mit ihrer Wahlkampf-Strategie, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten erfolgreich.

Frau Merkel bietet uns riesige Angriffsflächen. Sie hat in vier Jahren keine einzige Strukturreform auf den Weg gebracht, und kurz vor der Wahl wird nun das Blaue vom Himmel versprochen. Frau Merkel versucht den Eindruck zu erwecken, als ob man 40 Milliarden Euro an Wahlgeschenken ausgeben und trotzdem den Haushalt konsolidieren könnte. Das Programm von Frau Merkel ist die gedruckte Unaufrichtigkeit. Aber: Die Menschen werden sich nicht für dumm verkaufen lassen. Sie werden diese Regierung an ihren Taten messen, nicht an ihren Versprechen.

Welche strukturellen Reformen hat die Regierung denn versäumt?

Frau Merkel hat in dieser Bundesregierung ein halbes Jahr lang in schrillen Tönen über Altersarmut debattieren lassen. Passiert ist am Ende nichts. Statt eine Demographie-Reserve in der Rentenversicherung anzulegen wurde der Beitrag gesenkt. Es ist doch Irrsinn, vor Altersarmut Angst zu machen und gleichzeitig das Problem auf künftige Generationen zu verlagern.

Die Rentenversicherung hatte ihre gesetzliche Schwankungsreserve überschritten, deshalb wurde der Beitragssatz gesenkt.

Wir brauchen aber eine Demographie-Rücklage, die künftige Generationen entlastet. Ich werfe Frau Merkel vor, dass sie trotz der höchsten Steuereinnahmen und der niedrigsten Zinsen aller Zeiten 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht hat. Und: Sie hat sich auch noch bei den Sozialversicherungen bedient, um es auszugeben für schwarzgelbe Klientelpolitik.

Was setzen Sie der Beliebtheit der Kanzlerin entgegen?

Wir leben nicht in einer präsidialen Demokratie. Es kommt auf die Inhalte an. Und da hat Frau Merkel ziemlich schlechte Karten. Sie hat zu verantworten, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander driftet. Sie hat Milliarden für so unsinnige Dinge wie das Betreuungsgeld verpulvert. Peer Steinbrück wird in der heißen Phase eine Wahlkampfmaschine für uns sein.

Hat der emotionale Talk mit seiner Frau ihm im Wahlkampf genutzt?

Wir ist er jedenfalls noch sympathischer geworden. Er ist eben nicht nur der Profi, der harte Hund, er ist auch ein feinfühliger Mensch. Und so etwas zu zeigen, hat ihn vielen Menschen näher gebracht.

Für die Rhein-Zeitung

Würden Sie das Instrument Islamkonferenz als Innenminister weiterführen oder hat es sich totgelaufen?

Wir werden die Islamkonferenz neu erfinden müssen. Herr Friedrich hat die Islamkonferenz in eine Sackgasse geführt. Wir müssen den Dialog mit Muslimen auf eine neue Grundlage stellen. Ich möchte einen Dialog auf Augenhöhe. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir Muslime nicht länger als randständige Gruppe unserer Gesellschaft behandeln dürfen. Die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland möchte hier wie wir alle leben und arbeiten, dazu sind sie herzlich eingeladen. Niemand darf die Muslime in unserer Gesellschaft unter terroristischen Generalverdacht stellen.

Wie wollen Sie mit den Salafisten umgehen?

Gewalttätige Salafisten müssen mit einer härteren Gangart rechnen. Für Gewaltprediger wird es keine Toleranz geben, und wir dürfen schon gar nicht zulassen, dass gewalttätige Salafisten auf der einen und Rechtsextreme auf der anderen Seite sich gegenseitig hochschaukeln. Wir müssen junge Menschen besser davor schützen, Ziele von Hasspredigern zu werden. Damit sich die jungen Menschen besser gegen diese Leute wehren können brauchen wir den islamischen Religionsunterricht an Schulen.

In welcher Form wollen Sie den Dialog mit Muslimen?

Wir wollen einen echten Austausch mit den Muslimen. Dabei müssen wir weg von den Stereotypen und mehr über die Muslime lernen. Viele Leute setzen Islam mit Bedrohung gleich. Da müssen wir aufklären und differenzieren. Wir müssen Muslimen einen Platz in der Mitte der Gesellschaft anbieten. Aufgabe moderner Innenpolitik ist, unsere Gesellschaft so zu gestalten, dass Teilhabe für alle möglich wird.