HNA: Herr Oppermann, erst Uli Hoeneß, jetzt der Berliner Kulturstaatssekretär Schmitz und Alice Schwarzer - wird Steuerhinterziehung zum Volkssport?

Thomas Oppermann: Nicht zum Volkssport, sondern eher zum Spitzensport. Einige nämlich, die an der Spitze unserer Gesellschaft stehen, schleusen ihre Millionen am Fiskus vorbei ins Ausland. Steuerhinterziehung wird immer noch als Kavaliersdelikt angesehen. Es ist aber eine Straftat, es schädigt unser Gemeinwesen und die ehrlichen Steuerzahler. Dem Staat entgehen durch Steuerbetrug jährlich bis zu 30 Milliarden Euro. Dieses Geld müssen die ehrlichen Steuerzahler aufbringen. Deswegen müssen wir die Steuerfahndung intensivieren, das Abschreckungspotenzial erhöhen. Ich bin dafür, die strafbefreiende Selbstanzeige drastisch einzuschränken. Ich glaube, da wird genau kalkuliert: welches Risiko der Steuerbetrüger eingeht, um dann über die Selbstanzeige doch noch den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Das senkt die Hemmschwelle für den Steuerbetrug.

Sind Sie für den weiteren Ankauf von Steuer-CD‘s?

Ja. Das erhöht den Druck. Im vorigen Jahr wurden 25 000 Steuerhinterziehungen zur Selbstanzeige gebracht. Allerdings ist der Ankauf der CD´s nur der zweitbeste Weg. Wir brauchen einen automatisierten Datenaustausch, so wie er in der EU besteht, mit allen Ländern der Welt. Auch mit der Schweiz. Kein Staat und keine Bank hat das Recht, Steuerbetrug in Deutschland zu unterstützen. Steueroasen müssen trockengelegt werden.

Die Abhöraffäre um die NSA zieht immer weitere Kreise, muss die Bundesregierung nicht deutlichere Kritik üben?

Die Kanzlerin fliegt demnächst in die USA. Ich hoffe, dass dann wieder Schwung in die Verhandlungen kommt. Die neuen Enthüllungen überraschen mich nicht: Nachdem aufgedeckt wurde, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, habe ich nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass auch Gerhard Schröder und andere Regierungsmitglieder abgehört werden. Da mangelt es offensichtlich an Respekt gegenüber einem souveränen, befreundeten demokratischen Land.

Fehlt es den Amerikanern an Schuldbewusstsein?

Die Amerikaner haben den Schock vom 11. September 2001 noch nicht überwunden, das führt zu der Überbetonung von Sicherheitsfragen. Aber welchen Gewinn an Sicherheit will man durch das Abhören befreundeter Staatschefs gewinnen? Klar ist: Ohne eine deutliche Rücknahme der scheinbar schrankenlosen Kontrolle durch die NSA wird das deutsch-amerikanische Freundschaftverhältnis belastet bleiben.

Wirtschaftsforscher befürchten, dass der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro Schwarzarbeit fördern wird. Stimmt das?

Geschäftsmodelle, die auf Lohndumping aufbauen, werden bei 8,50 Euro nicht mehr funktionieren. Es werden aber durch den Mindestlohn, der uneingeschränkt ab 1. Januar 2017 gelten wird, auch neue Jobs geschaffen. Denn der Mindestlohn wirkt wie eine riesiges Konjunkturprogramm. Für Menschen, die bisher für vier, fünf oder sechs Euro die Stunden arbeiten mussten, wird der Mindestlohn die kräftigste Lohnerhöhung ihres Lebens. Die zusätzliche Kaufkraft kurbelt die Binnennachfrage an, dadurch werden neue Jobs entstehen. Der Mindestlohn ist auch ein Instrument der sozialen Marktwirtschaft, denn es wird ein fairer Wettbewerb hergestellt. Die Arbeitgeber, die faire Löhne zahlen, sind doch bisher gegenüber denen im Nachteil, die Dumpinglöhne zahlen..

Die Leiharbeit ist eine weitere Baustelle...

Fakt ist: Die Leiharbeit wird massiv missbraucht: Sie war zur kurzfristigen Abdeckung der Auftragsspitzen gedacht. Jetzt arbeiten aber Hunderttausende in Leih- und Zeitarbeit. Das müssen wir dringend ändern. Die Leiharbeit wird auf neun Monate begrenzt. Und wir wollen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats erweitern, wenn es um die Einstellung von Leiharbeitskräften geht.

Kritiker werfen der Großen Koalition vor, mit dem Rentenpaket würden die Alten auf Kosten der Jungen beschenkt.

Weder die Mütterrente noch die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren sind ein Geschenk. Das ist hart erarbeitet und verdient.
Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, stabilisieren unser Sozialsystem, so dass es funktionieren kann. Da muss es die Möglichkeit geben, etwas früher in Rente zu gehen, wenn man ausgepowert ist. Sollten Arbeitgeber das Gesetz ausnutzen, um 61-Jährige bis zur Rente zwei Jahre in Arbeitslosigkeit zu entlassen, so werden wir das unterbinden. Frühverrentung wird es nicht geben.

Könnte und sollte der Bürger nicht über solch wichtige Themen direkt mitentscheiden?

Ich trete generell für mehr Bürgerbeteiligung ein. Unsere jahrzehntelange gut funktionierende repräsentative Demokratie ist jetzt reif für ein Modernisierung. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen ein Modell vorgeschlagen, in dem eine Million Bürger innerhalb von sechs Monaten nach Verabschiedung eines Gesetzes verlangen können, dass darüber ein Volksentscheid stattfindet. Das wäre eine gute Möglichkeit, die Gesetzgeber zu kontrollieren.

Hat Sie die Mitgliederbefragung der SPD in Ihrem Denken bestärkt?

Das positive Votum im Mitgliederentscheid zur Großen Koalition hat unserer Forderung nach Modernisierung unserer Demokratie noch mal einen enormen Schub gegeben.
Es ist natürlich glaubwürdiger, wenn man das, was man für die gesamte Gesellschaft fordert auch selbst praktiziert. Unsere Mitglieder haben gemerkt: Demokratie macht Spaß. Das war eine Belebung für die Partei, und die Demokratie insgesamt.

Ist denn diese große Koalition festgetackert für die Zukunft – oder muss die SPD nach anderen Zielen streben?

Natürlich will die SPD bis 2017 so stark werden, dass wir die Bundesregierung aus dem Kanzleramt führen können. Es gibt kein Gesetz in Deutschland, dass sagt, die CDU stellt immer den Kanzler.

Nähert sich die SPD wieder der LINKE an, die ja im Wandlungsprozess scheint?

Ich habe den Eindruck, dass Gregor Gysi sehr darauf bedacht ist, die Linke aus der dogmatischen Isolation herauszuführen und sie zu einer pragmatischen Partei zu machen. Wenn ihm das gelingt, dann wäre die Linke auf Bundesebene möglicherweise anschlussfähig. Davon aber ist sie noch weit entfernt. Es fehlen klare Positionen zu Europa, zum Euro und der internationalen Verantwortung Deutschlands. So ist sie kein Regierungspartner – für niemanden.

Kaum ist Suedlink, die 800 Kilometer lange Nord-Süd-Stromtrasse in der Welt, gibt es Protest. Wie wollen Sie die Energiewende schaffen?

90 Prozent der Deutschen wollen die Wende. Der Verzicht auf Atomstrom und die Entscheidung für erneuerbare Energie bedeutet aber auch, dass wir für die Erneuerbaren die Infrastruktur schaffen müssen. Eine Gleichstromverbindung von der Nordsee bis nach Franken ist unverzichtbar.
Alle wollen bezahlbaren grünen Strom, das heißt dann aber auch, dass wir die unterschiedlichen Interessen ausgleichen müssen. Das ist durch gute Planung zu erreichen, mit Erdverkabelung in der Nähe bebauter Gebiete.