Haben Sie im Urlaub in Südtirol die Erleuchtung bekommen, wie die SPD eine Trendwende bis zur Bundestagswahl schaffen kann?

Steinmeier: Gerade, wenn man im Urlaub mit Abstand auf die deutsche Innenpolitik schaut, schüttelt man nur noch den Kopf über den Dilettantismus im deutschen Kabinett. Wenn man die Abhöraffäre nimmt und das Agieren des "Trio Infernale des Abwiegelns", Merkel, Friedrich und Pofalla anschaut, dann spürt man: Das ist eine Regierung, die vor ihrer eigenen Verantwortung flüchtet. Eine Regierung ohne Haltung, die nicht einmal gegenüber den Freunden den Mut hat, Grenzen aufzuzeigen. Eine Regierung kann doch nicht zulassen, dass die Bürger des eigenen Landes von befreundeten Staaten lückenlos abgehört werden. Und eine Kanzlerin kann sich nicht schulterzuckend in eine Pressekonferenz setzen und erklären, sie habe keine Absicht, sich in Details einzuarbeiten.

Wenn es stimmt, was Sie sagen: Wie erklären Sie sich dann, dass der ARD-Deutschlandtrend gerade die höchste Zustimmung zu einer Bundesregierung seit 1997 ermittelt hat?

Steinmeier: Die SPD hat in beiden wichtigen Umfragen dieser Woche zugelegt. Die Aufholjagd hat gerade erst begonnen. Es ist vieles im Fluss. Und die FDP ist lange noch nicht auf der sicheren Seite.

Sie haben die Abhör-Affäre erwähnt. In den Umfragen hat sie der Regierung nicht geschadet. Wie erklären Sie sich das?

Steinmeier: Scheinbar hat man sich an den Komplettausfall gewöhnt. Es scheint kaum noch einer hinzuhören, wenn der Innenminister nach ersten Meldungen über eine grenzenlose Ausspähaffäre über Anti-Amerikanismus schwadroniert, um eine Woche später wie ein begossener Pudel nach Washington zu fahren und sich dort abfertigen zu lassen. Merkels Versuch, das ganze Land in eine Art Wachkoma zu reden, darf nicht aufgehen. Sie will ja auch keinen Wahlkampf, weil der Streit um politische Inhalte, die Tatenlosigkeit und den Stillstand dieser Regierung aufdecken würde. Aber genau das werden wir nicht zulassen.

Sie machen deutlich, dass man stärker zur Attacke übergehen müsste, aber SPD-intern ist es ziemlich umstritten, die Kanzlerin gleich auf drei Wahlplakaten anzugreifen. Es ist davon auszugehen, dass Sie als Kandidat nicht diesen Weg beschritten hätten ...

Steinmeier: Wahlkampagnen müssen Zweifaches leisten, und natürlich stehen im Vordergrund ganz klar Vorschläge, Ideen und Konzepte der SPD für die Zukunft des Landes. Der Slogan "Das Wir entscheidet" steht dafür, dass nach Jahren von rücksichtsloser Bereicherung und Verantwortungslosigkeit, die nicht nur Finanzmärkte, sondern ganze Volkswirtschaften in Turbulenzen gestützt haben, wir wieder Gemeinsinn für das Ganze brauchen - unsere zentralen Themen sind Mindestlöhne, ausreichende Renten, bezahlbare Mieten und bessere Kitas. Aber selbstverständlich gehört zum Wahlkampf die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Und natürlich auch mit Frau Merkel, der Chefin eines Kabinetts, deren Minister reihenweise durch Fehlleistungen auffallen.

Ein Schwerpunkt wird der Tür-zu-Tür-Wahlkampf sein. Steinbrück gegen Gabriel, Versuche Sie auf den Ministerpräsidentenposten in Brandenburg abzuschieben. Wie soll die Basis ob dieses Zustands der sogenannten Troika motiviert werden, von Tür zu Tür zu rennen?

Steinmeier: Nicht alles lief rund, aber das liegt weit hinter uns. Ich war in den drei Wochen vor meinem Urlaub viel unterwegs in Deutschland. Thüringen, Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Insgesamt werde ich über einhundert Wahlkreise besuchen. Und bis jetzt kann ich nur sagen, die Veranstaltungen laufen mehr als gut, es gibt viel Zuspruch. Ob im bayerischen Ansbach, in Mainz und Ingelheim, in Trier und Neuwied – die Veranstaltungen sind voll. Jetzt am Wochenende bin ich in Hamburg und Schleswig-Holstein – und auch da bin ich optimistisch. Die Partei ist auf dem Platz, sie mobilisiert gut, die Leute kommen zu uns und wir gehen zu ihnen. Wir werden an vielen Türen klingeln, das Wahlergebnis wird über die Mobilisierung entschieden. Wenn viele zur Wahl gehen, ist das gut für die SPD.

Die Union malt das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün an die Wand. Bleibt es unabhängig von rechnerischen Mehrheiten bei Ihrer Ablehnung eines solchen Bündnisses?

Steinmeier: Die Linie ist klar gezogen worden. Ich habe 2009 eine Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen. Und mein fester Eindruck ist, dass die Linkspartei in den letzten vier Jahren keine Entwicklung genommen hat, die sie regierungsfähiger macht. Ganz im Gegenteil: Die Linkspartei ist eine tief gespaltene Partei. Drei Lager ringen um Einfluss. Das ist kein Partner, mit dem man ein 82-Millionen-Volk mitten in der europäischen Krise regieren könnte.

Sie haben keine Angst, dass Sigmar Gabriel hier wackeln könnte, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht?

Steinmeier: Unsinn. Er hat das ausgeschlossen. Und ich habe nicht den geringsten Anlass, an seiner Aussage zu zweifeln.

Kommen wir nochmal zu den Inhalten. Bisher zeichnet sich nicht das eine große Wahlkampfthema ab. Aber bis September wird eine deutlich steigende Ökostrom-Umlage bekannt gegeben werden. Das dürfte neue Debatten auslösen, hat die SPD eine Strompreisbremse?

Steinmeier: Die Wahrheit muss auf den Tisch. Die Verbraucher werden die Zeche zu zahlen haben für das ständige Hin und Her dieser Bundesregierung in der Energiepolitik. Erst der Ausstieg aus dem Ausstieg mit der deutlichen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, dann die 180-Grad-Kehrtwende nach Fukushima und dann eine sogenannte Energiewende, von der man bis heute nicht weiß, wer im Kabinett eigentlich den Hut auf hat. Das Missmanagement kommt die Bürger und Unternehmen teuer zu stehen. Die Bundesregierung schadet unserem Wirtschaftsstandort. Wir schlagen vor, als ersten Schritt die Stromsteuer um 25 Prozent zu senken, um die Kosten zu begrenzen.

Ist die «Euro Hawk»-Affäre nach den Zeugenvernehmungen im  Untersuchungsausschuss beendet, oder kommt da noch etwas?

Steinmeier: Der Umgang mit der «Euro Hawk»-Affäre ist der x-te Beweis dafür, wie es diese Regierung mit der Wahrheit hält. Wenige Sitzungen des Untersuchungsausschusses haben ausgereicht, um nachzuweisen, dass der Verteidigungsminister entgegen seiner Behauptung Kenntnis gehabt hat vom drohenden Scheitern des Beschaffungsprojektes. Selbst viele Unionisten schütteln den Kopf über die Verteidigungsstrategie des Ministers. Ich rechne bis zum Wahltermin nicht mit persönlichen Konsequenzen. Aber es spricht ja Bände, dass selbst die Kanzlerin ihm keine Garantie für den Verbleib im Amt gibt.