Zerstört die Krise das europäische Projekt, Herr Steinmeier?

Es kann keinen Zweifel geben, dass die Krise im Euroraum in einer zweiten Welle auf uns zu rollt. Die Hoffnung jedenfalls, dass sie einen weiten Bogen um unser Land macht, war immer trügerisch, ja naiv. Wir leben nicht auf einer Insel. Eine Volkswirtschaft mit starkem Export hängt ab von einer Nachbarschaft, in die sechzig bis achtzig Prozent unserer Ausfuhren gehen.

Wird Griechenland der erste Stein sein, der aus dem europäischen Fundament bricht?

Die Griechen entscheiden bei der Wahl am nächsten Sonntag selbst über den weiteren Weg ihres Landes. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. Ein Austritt aus dem Euro würde nicht nur die Situation für die Griechen weiter verschärfen.

Muss Griechenland raus aus dem Euro, wenn bei der Wahl die Reformgegner gewinnen?

Es ist völlig offen, ob nach der Wahl eine Regierung gebildet wird, die den Verbleib in der Eurozone anstrebt. Die radikalen Parteien, die in jüngster Zeit stark an Zustimmung gewonnen haben, führen ihren Wahlkampf gegen Europa. Ich bin skeptisch, ob sich diese Einstellung nach der Wahl ändern wird. Es bleibt nur die Hoffnung, dass Griechenland nicht den Weg ins Abseits wählt.

So weit ist Spanien noch nicht.

Spanien ist wegen seines kollabierenden Bankensektors in einer dramatischen Situation. Die spanische Regierung hat den Ernst der Lage entweder unterschätzt oder wider bessere Kenntnis schön geredet. Ich sage seit Tagen: Der Schritt unter den europäischen Rettungsschirm ist unvermeidlich und darf nicht wegen missverstandener Ehre zu spät erfolgen. Direkthilfen aus dem EFSF für die Banken darf es nicht geben. Auch Spanien muss sich an die Regeln halten. Und deshalb muss die spanische Regierung den Antrag stellen, um nach den Regeln des EFSF Mittel für die Stabilisierung des Bankensektors zu bekommen.

Um die Schulden in Europa unter Kontrolle zu bekommen, wurde der Fiskalpakt beschlossen. Für dessen Ratifizierung ist in Deutschland eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Da kann die SPD sich  nicht verweigern, oder?

Die SPD braucht keine Belehrungen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht und auch in der Opposition europäische Verantwortung bewiesen. Wir stimmen dem zu, was richtig und notwendig ist. Aber das setzt voraus, dass die Bundesregierung ihre Politik korrigiert und unsere Forderungen ernst nimmt. Davon war lange Zeit nicht viel zu sehen.

Jetzt aber schon. Angela Merkel ist Ihnen doch bei Ihrer Forderung einer Finanztransaktionssteuer einen großen Schritt entgegen gekommen.

Wir sagen seit Jahren, dass wir diejenigen an der Bewältigung der Krise beteiligen müssen, die Sie mit verursacht haben. Die Besteuerung der Finanzmärkte muss kommen. Es waren die Kanzlerin, die Union und vor allem die FDP, die blockiert haben. Wenn diese Bastion jetzt geräumt wird, dann ist das überfällig und dann gibt es Chancen auf eine Verständigung mit der SPD. Allerdings nur dann, wenn nicht – wie geschehen – Zwischenergebnisse zur Finanzmarktbesteuerung eine Stunde später durch öffentliche Erklärungen der FDP wieder relativiert werden. Genau deshalb wollen wir einen Kabinettsbeschluss der gesamten Regierung.

Wo hat sich die Regierung sonst noch bewegt?

Noch steht die Einigung mit den Bundesländern aus. Und beim Thema Wachstum und Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat die Bundesregierung außer Überschriften noch nicht viel geliefert. Hier muss es in den nächsten Tagen noch Bewegung geben. Im Übrigen glaube ich, dass es ohne eine Lösung des Altschuldenproblems kein Ende der europäischen Krise geben wird. Hierzu liegt ein kluger Vorschlag der deutschen Wirtschaftsweisen vor. Ich erwarte, dass die Bundesregierung jenseits von jetzt anstehenden Entscheidungen die Idee eines Schuldentilgungsfonds aufgreift und mit ihren europäischen Partnern ernsthaft diskutiert.

Die Koalition will den Fiskalpakt vor dem Sommer durch den Bundestag bringen. Sind Sie dabei?

Das hängt vom Verhalten der Bundesregierung in den weiteren Verhandlungen ab. Die Entscheidung muss nicht über den Sommer hinausgeschoben werden, wenn wir uns einig sind und die Zustimmungsfähigkeit der Länder gesichert ist. Aber die Regierung muss wissen: Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist!

Die große Koalition hat Deutschland in der Krise vor dem Schlimmsten bewahrt. Was spricht dagegen, diese Koalition noch einmal einzugehen?

Die große Koalition liegt hinter uns, nicht vor uns. Wir wollen die nächste Regierung führen. Frau Merkel hat sich vor drei Jahren ihren Traumpartner erwählt – allerdings einen, mit dem sie gerade baden geht. Der Union wird ein Koalitionspartner fehlen. Denn selbst, wenn die FDP den Einzug ins Parlament schafft, sehe ich dort keine große Vorfreude auf schwarz-gelbe Wiederverheiratung.

Drei führende Sozialdemokraten, die als Kanzlerkandidaten in Frage kommen, haben sich in einer sogenannten Troika zusammengeschlossen: Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Sie. Wann wird endlich entschieden, wer es wird?

Ich leide im Moment nicht unter mangelnder Aufmerksamkeit, die anderen auch nicht. Im Gegenteil: Das Interesse an der SPD ist so groß wie lange nicht mehr. Die Bürger haben uns in elf Landtagswahlen hintereinander in die Regierung gewählt. Und auch im Bund stehen die Zeichen auf Wechsel. Da kann ich es gut verstehen, dass Journalisten auf eine Entscheidung in einer Personalfrage dringen. Aber davon lassen wir uns nicht verrückt machen. Wir bleiben dabei, dass nach der Landtagswahl in Niedersachsen, die im nächsten Januar stattfindet, entschieden wird.

Das Gespräch mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden führten Eckart Lohse und Markus Wehner