Herr Oppermann, die Türkei steht wegen der Säuberungen in Militär, Polizei und Verwaltung massiv in der Kritik. Soll und darf die EU trotzdem am Flüchtlingsabkommen festhalten?

Die Säuberungsaktionen von Präsident Erdogan können die Demokratie in der Türkei zerstören. Das kritisieren wir unmissverständlich. Wenn dort jetzt auch noch die Todesstrafe eingeführt werden sollte, sehe ich den Weg der Türkei in die EU endgültig versperrt. Trotzdem halte ich nichts davon, das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei zu kündigen, denn es enthält viele Erleichterungen für Flüchtlinge in dem Land. Mit den 3 Milliarden Euro, welche die Türkei nach und nach von der EU erhält, wird  Flüchtlingen in der Türkei eine bessere Gesundheitsversorgung, Zugang zum Arbeitsmarkt und der Schulbesuch ihrer Kinder ermöglicht. Im Gegenzug stoppt die Türkei das kriminelle Schlepper-Unwesen an ihren Küsten. Das ist nach wie vor eine vernünftige Regelung.

Nun hat die Bundesregierung die Türkei als „zentrale Aktionsplattform" für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten eingestuft. Sollte es trotzdem beim Flüchtlingsabkommen bleiben? Und was wird aus den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei?

Mir scheint der Neuigkeitswert der Informationen, die das BMI zusammengetragen hat, gering. Die Nähe der AKP-Regierung zur Moslembruderschaft und auch zur Hamas wurde ja nicht verheimlicht. Viel gravierender war doch im vergangenen Jahr, dass sich die Türkei nicht deutlich genug vom IS abgegrenzt hatte. Aber inzwischen ist die Türkei Teil der Anti-IS-Koalition und leider immer wieder Opfer von blutigen Anschlägen des IS. Das Bundesinnenministerium hat altbekannte Dinge zugespitzt formuliert, eine Neubewertung unseres ohnehin angespannten Verhältnisses zur Türkei halte ich für nicht nötig.

Parteichef Sigmar Gabriel hat die innere Sicherheit zu  einem  zentralen Wahlkampfthema  der SPD erklärt. Kommen die Sozialdemokraten da nicht zu spät, da die Union das Thema schon stark besetzt hat?

Viele Menschen sind unsicher, ob in Zeiten von Terroranschlägen, Amokläufen und Einbruchserien Sicherheit noch gewährleistet ist. Unsere Antwort ist: Wir müssen den Staat wieder fit machen, insbesondere durch mehr Stellen bei der Polizei und bessere Ausstattung. Die SPD war es, die im letzten Bundeshaushalt 3000 Stellen für die Bundespolizei durchgesetzt haben. Und seit Monaten fordern wir einen weiteren Aufbau. Es ist doch vielmehr so, dass die Union uns hinterherläuft.

Brauchen wir auch ein Burka-Verbot, wie es Unionspolitiker unentwegt fordern? 

Ich persönlich lehne die Vollverschleierung von Frauen ab. Sie ist für mich Ausdruck von Frauenfeindlichkeit und passt nicht zu den Werten einer offenen Gesellschaft. Aber ein Verbot hilft doch nicht weiter. Es bringt doch nicht die Männer, die eine Burka wollen, sondern ihre Frauen in eine schwierige Situation. Sie werden dann das Haus womöglich gar nicht mehr verlassen. Das löst keine Sicherheitsprobleme, sondern zielt vielmehr auf kulturelle Abgrenzung. Einen solchen politischen Aktionismus brauchen wir nicht.

Die SPD verspricht Sicherheit auch in sozialer Hinsicht. Wie gut soll es den Rentnern von morgen gehen?

Eine sichere Rente ist auch der Lohn für ein fleißiges Arbeitsleben. Deshalb müssen wir sehr genau überlegen, wie wir auch unter veränderten demografischen Bedingungen ein möglichst hohes Rentenniveau sichern können. Wir haben bereits die Lebensarbeitszeit um zwei Jahre verlängert. Wir müssen nun darauf achten, dass wir auch in Zukunft eine starke Wirtschaft, hohe Löhne und genügend Beitragszahler, also Arbeitnehmer haben.

Auch die Bundesbank empfiehlt aber eine Rente mit 69, damit die Rentenversicherung finanzierbar bleibt...

Davon halte ich nichts. Wir haben doch gerade erst die Rente mit 67 eingeführt. Das setzen wir jetzt Schritt für Schritt um. Das muss reichen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es immer mehr Menschen gibt, die gesundheitlich in der Lage sind, länger zu arbeiten und das auch wollen. Da schaffen wir als Koalitionsfraktionen mit der Flexirente jetzt neue Anreize. Die wenigstens wissen, dass man für jedes Jahr, das man über die Altersgrenze hinaus arbeitet, einen Zuschlag von sechs Prozent für die gesamte Lebensdauer auf die Rente bekommt.

Im kommenden Jahr sind Bundestagswahlen. Die Union scheint wieder nach rechts zu rücken, die SPD nach links. Erwarten Sie einen Lagerwahlkampf?

Nein. Die SPD geht ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf. Wir kämpfen für unsere eigenen Konzepte, für Sicherheit, Gerechtigkeit und Fortschritt. Nach der Wahl werden wir prüfen, mit wem wir davon am meisten umsetzen können.

Was wäre Ihnen lieber: eine Fortsetzung der Großen Koalition? Oder Rot-Rot-Grün?

Auf  Dauer ist eine Große Koalition nicht gut für eine Demokratie, die vom Wechsel der Regierungen lebt. Die Chance für eine rot-rot-grüne Regierung hängt in erster Linie von den Grünen und den Linken ab. Die SPD ist eine erprobte Regierungspartei. Und wir werden darauf achten, dass wir einen möglichst großen Teil unseres Programms umsetzen.

Gregor Gysi fordert, SPD, Grüne und Linkspartei sollten einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten bestimmen. Das wäre seiner Ansicht nach ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl. Machen Sie mit?

Ich bedauere sehr, dass Joachim Gauck nicht für eine weitere Wahlperiode zur Verfügung steht. Jetzt müssen wir eine neue Person suchen, die genauso wie Gauck in der Lage ist, die Menschen zusammenzuführen und das Land in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Es kommt in erster Linie darauf an, dass wir eine geeignete Person finden. Wenn Grüne und Linke diese Person dann mittragen, hätte ich nichts dagegen.