Herr Schneider, am Mittwoch antwortet Angela Merkel in der Regierungsbefragung erstmals spontan auf Fragen der Abgeordneten. Haben Sie Ihre Frage schon vorbereitet?
Schneider: Ich werde persönlich keine Frage stellen. Aber ich habe mich gleich nach der Bundestagswahl dafür eingesetzt, dass wir die Regierungsbefragung im Bundestag verändern, denn wir wollen die Debatten insgesamt interessanter machen. Wir wollen, dass sich die Kanzlerin künftig mehrfach im Jahr den Fragen der Abgeordneten stellt. Sie sind die Repräsentanten des Volkes und müssen die Möglichkeit haben, ihre Fragen direkt an die Kanzlerin zu richten.
Wie genau wird das denn ablaufen am Mittwoch?
Die Regierungsbefragung dauert eine Stunde. Die Kanzlerin wird zu Beginn kurz das Wort erhalten. Als Oppositionsführerin hat die AfD die erste Frage. Dann erhält jede andere Fraktion einmal das Wort, um jeweils eine Frage zu stellen. Vier oder fünf Runden könnte es geben, je nach Länge der Fragen und Antworten. Thematisch sind die Abgeordneten völlig frei. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Nachfragen möglich wären. Aber das konnten wir für diese Woche noch nicht vereinbaren, weil die Grünen widersprochen haben.
Haben die Grünen Angst, sonst als kleinste Oppositionspartei nicht häufig genug dranzukommen, wenn es zu viele Nachfragen gibt?
Vielleicht. Aber es wäre doch gut gewesen, dass man nachfassen kann, wenn die Antwort ausweichend ist. Diese Möglichkeit haben wir dieses Mal nicht.
Wer wird denn für die SPD-Fraktion fragen dürfen? Werden Sie noch nicht so bekannte Abgeordnete ans Mikrofon lassen? Oder wird Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende Merkel eine strenge Frage stellen?
Andrea Nahles braucht nicht das Plenum des Bundestages, um Frau Merkel eine Frage zu stellen. Sie begegnet der Kanzlerin ja oft genug. Wir haben in der Fraktion überlegt: Was sind unsere wichtigsten Fragen an die Kanzlerin und die werden dann die jeweiligen Fachpolitiker stellen. Ich bin jedenfalls gespannt auf dieses Format und sehe darin eine Chance für die Stärkung unserer parlamentarischen Demokratie.
Im Bundestag wurde lange gerungen um eine Reform der Regierungsbefragung. Die SPD hat das Thema auch erst so richtig nach der Bundestagswahl für sich erkannt. Wann verabschieden Sie eine Änderung der Geschäftsordnung, sodass es künftig für die Kanzlerin auch verpflichtend wird, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen?
Ich hoffe, noch vor der Sommerpause. Die Reform der Regierungsbefragung ist ein altes Anliegen der SPD. In der letzten Wahlperiode konnten wir das noch nicht erreichen. Nun haben wir uns im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Inzwischen haben wir unseren Reformvorschlag an die anderen Fraktionen übermittelt. Wir wollen, dass die Kanzlerin mindestens dreimal im Jahr zur Regierungsbefragung kommt. In den anderen Fällen wäre immer mindestens ein Minister anwesend, der zur aktuellen Sitzung des Kabinetts und seinem Fachgebiet befragt werden kann.
Ursprünglich wollte die SPD, dass die Kanzlerin viermal im Jahr befragt wird. Die FDP will nur zweimal, aber dafür zwei Stunden Befragung. Die Grünen wollen 75 Minuten. Das sind aber eher kleine Unterschiede. Gibt es einen fraktionsübergreifenden Antrag?
Das streben wir an. Wir hoffen natürlich, dass sich die anderen Fraktionen unserem Vorschlag anschließen. Wir sind aber natürlich auch offen für weitere Veränderungen.
Für die SPD hatten Sie die Reform der Regierungsbefragung vorangetrieben, als Ihre Partei im Herbst noch auf Oppositionskurs war. Nun sind sie Merkels Koalitionspartner. Können Sie die Kanzlerin noch scharf befragen?
Die SPD will eine muntere Regierungszeit. Das bedeutet, dass wir die Konflikte mit der Union, die wir früher überwiegend intern ausgetragen haben, nun auch mal öffentlich diskutieren. Unsere Position muss klar erkennbar sein und Unterschiede dürfen auch in einer Koalition deutlich werden. Ich will, dass wir eine ernste und kritische Auseinandersetzung haben. Die Fragen, die wir stellen, werden zu politisch relevanten Themen sein. Frau Merkel legt sich ja ungern fest und bleibt in vielen Fragen vage. Das wird künftig für sie schwieriger werden.
Haben Sie Angst, dass die Regierungsbefragung zur Show wird?
Klar, die AfD wird sicher versuchen, die Stunde für Provokationen zu nutzen. Aber wir haben eine gute Geschäftsordnung und erfahrene Kolleginnen und Kollegen in der Sitzungsleitung, die Grenzüberschreitungen nicht dulden. Außerdem ist die Kanzlerin schlagfertig und kann sich in ihren Antworten zur Wehr setzen. Es schadet auch nicht, wenn die Menschen, die die AfD gewählt haben, auch immer mal wieder sehen, wie sich diese Partei so verhält. Ich war für die Kanzlerbefragung, weil die Menschen sehen sollen, wie sich die Regierungschefin in spontanen Debattensituationen verhält. Es schafft Vertrauen in die Demokratie, dass man die Kanzlerin auch mal hart attackieren kann. Ich denke, dass das zur gesellschaftlichen Befriedung beiträgt.
Was genau bedeutet für Sie hart attackieren?
Es geht nicht darum, Haltungsnoten zu verteilen oder die Kanzlerin vorzuführen. Sondern: Die Abgeordneten müssen ihr auch ungefiltert eine Frage stellen dürfen. Ich will, dass dieses Gefühl verschwindet, sie schwebe über allem und könne machen, was sie will. Mit der Reform der Regierungsbefragung können wir einen Prozess öffentlich machen, den es bereits gibt – zum Beispiel in der CDU-Fraktion und in den Ausschüssen, wo die Kanzlerin natürlich von Abgeordneten angesprochen wird. Aber wenn sie öffentlich antwortet, wird das den Bundestag spannender machen. Und wenn wir damit das Forum der Demokratie beleben, so wäre das doch ein großer Fortschritt.
Was kann man von Großbritannien lernen, dessen parlamentarische Debatten ja oft als Vorbild gelten?
Die Debattenkultur dort ist ausgeprägter. Die Briten verstehen es einfach, lebhaft und pointiert zu diskutieren. Das haben sie zumeist schon an den Unis, wenn nicht sogar an den Schulen gelernt. Die deutsche Politik ist sehr verschriftlicht. Dafür nimmt der Bundestag stärker Einfluss auf die Einzelheiten der Politik. Wir sind ein Arbeitsparlament, in dem die Arbeit in den Fachgruppen und Ausschüssen stattfindet. Die Abgeordneten sind bei uns inhaltlich genauso drin wie die Mitarbeiter in den Ministerien. Darauf können wir auch stolz sein. Deswegen würde ich sagen: Wir brauchen die Ausschüsse als geschützte, nicht-öffentliche Orte, um konzentriert arbeiten und auch mal aufeinander zugehen zu können. Aber in der öffentlichen Debatte würde uns noch ein bisschen mehr Spontanität und Temperament guttun.
Die politische Debatte in Großbritannien ist durchaus auch verroht. Wie wollen Sie verhindern, dass das auch in Deutschland häufiger so kommt?
Ich möchte, dass wir eine harte Auseinandersetzung in der Sache haben, gern auch pointiert und zugespitzt in der Formulierung. Aber ohne persönliche Angriffe und Verunglimpfungen anderer Personengruppen und unter Respekt der Meinung des anderen. Da ist der Bundestag lange ein Vorbild gewesen und das sollte er auch bleiben.