Herr Oppermann, die Balkanroute ist derzeit für Flüchtlinge geschlossen. Wie sollte sich jetzt die Bundesregierung verhalten?

Im Augenblick kommen durch die nationalen Grenzschließungen auf dem Balkan nur wenige Flüchtlinge in Deutschland an. Damit wird das Problem kurzfristig nach Griechenland verschoben. Es wäre aber grob fahrlässig, darin auch die Lösung des Problems zu sehen. Die Zustände in Idomeni sind direktes Resultat dieser nationalen Alleingänge und schwer zu ertragen. Deshalb muss die Bundesregierung weiter an einer dauerhaften Lösung der Flüchtlingskrise arbeiten: Bekämpfung der Fluchtursachen, Sicherung der EU-Außengrenzen zusammen mit der Türkei und Entlastung der Türkei durch die Übernahme von Flüchtlingen in vereinbarten Kontingenten. Damit schalten wir die illegalen Schlepperorganisationen aus und verhindern, dass Flüchtlinge den lebensgefährlichen Weg über die Ägäis in Schlauchbooten gehen.

Italien überlegt, mögliche Alternativrouten zu schließen.

Wir müssen generell die illegale Migration unterbinden. Europa muss und kann seine humanitären Verpflichtungen dadurch erfüllen, dass wir Ansiedlungsprogramme mithilfe des UN-Flüchtlingskommissars durchführen, an dem sich möglichst viele europäische Länder beteiligen. Denn der unkontrollierte Zustrom organisiert von kriminellen Schleuserorganisationen zerstört auf Dauer die Akzeptanz für Flüchtlinge in unseren Ländern.

Wie sehen Sie denn die Chancen, dass es zu einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise kommt?
Auf dem letzten EU-Türkei-Gipfel ist ein wichtiger Zwischenschritt erreicht worden. Die EU-Länder gingen davon aus, dass man Deutschland immer einiges zumuten konnte wegen seiner wirtschaftlichen Stärke. Aber dass jetzt Griechenland als schwächstes Glied in der EU-Kette plötzlich die gesamte Last tragen soll, ist selbst für hart gesottene Flüchtlingsgegner in Europa kaum akzeptabel. Ich bin zuversichtlich, dass wir beim Gipfel am 17. März einer europäischen Lösung ein Stück näher kommen.

Frau Merkel hat behauptet, die SPD handele zu zögerlich in der Flüchtlingsfrage.

Ganz im Gegenteil. Die SPD ist es doch, die die Regierung wieder antreiben muss. Wir müssen uns nämlich dringend an die Integration der Flüchtlinge mit Bleiberecht machen. Da müssen wir jetzt klotzen und dürfen nicht kleckern. Was wir heute investieren, wird sich schon morgen auszahlen. Was wir heute versäumen, lässt sich übermorgen nicht nachholen. Auf der anderen Seite ist klar: Wir können nicht jedes Jahr ein Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Das weiß aber auch jeder.

Worauf ist denn bei der Integration zu achten?

Wir müssen darauf achten, dass die deutsche Bevölkerung nicht gegen die Flüchtlinge ausgespielt wird. Deshalb brauchen wir ein Solidarprojekt, von dem alle in Deutschland profitieren. Die finanziellen Kosten für die Integration der Flüchtlinge dürfen nicht zum Vorwand genommen werden, um bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte sozialpolitische Vorhaben auf die lange Bank zu schieben. Dazu gehören das Teilhaberecht für Menschen mit Behinderungen, und aber auch die Lebensleistungsrente für langjährig Beschäftigte, deren Rente aufgestockt werden soll. Da müssen wir auch Wort halten.

Die Union behauptet, was im Koalitionsvertrag stehe, werde zweifellos erfüllt.

Das sah bis vor wenigen Tagen noch nicht so aus. Die schon fertig verhandelten Gesetze zur Erbschaftssteuer und zur Verhinderung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen sind von Herrn Seehofer angehalten worden. Und viele in der Union hatten die Hoffnung, dass die Unterstützung der Menschen mit Kleinstrenten in die nächste Wahlperiode verschoben wird. Das hat Sigmar Gabriel durch sein beherztes Eingreifen offenkundig schon verhindert.

Am Sonntag sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz – und wenn die Umfragen stimmen, kann das zumindest in zwei Bundesländern für die SPD zum Desaster werden. Beunruhigt Sie das?

Wir sind in Rheinland-Pfalz inmitten in einer grandiosen Aufholjagd. Malu Dreyer hat für die SPD in wenigen Monaten über zehn Punkte Rückstand aufgeholt. Ich bin mir sicher, dass sie am Ende vor vorne liegen wird. Julia Klöckner hat mit ihrem Zick-Zack Kurs in der Flüchtlingsfrage zurecht jedes Vertrauen verspielt. Aber auch in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt werden wir bis zur letzten Minute kämpfen.

Ist die Strategie der SPD in der Auseinandersetzung mit AFD richtig?

Welche Ergebnisse die AFD am Ende tatsächlich bekommt, müssen wir abwarten. Aber die Tatsache, dass sie voraussichtlich in allen drei Landtagen vertreten sein wird, ist Grund zur Sorge. Denn diese Partei bietet keine Lösungen an und hat keine Konzepte. Nach eigenen Angaben ihres Führungspersonals will sie nicht einmal regieren. Deshalb wird die AfD wieder von der Bildfläche verschwinden, wenn es uns gelingt, die Flüchtlingskrise so zu bewältigen, dass niemand den Eindruck hat, der Staat oder einzelne Bürger seien damit überfordert.

Kann es sein, dass sich die SPD in Flüchtlingsfrage zu wenig profilieren kann, weil sie den Kurs von Angela Merkel mitträgt?

Angela Merkel trägt den Kurs der Sozialdemokraten mit. Die europäische Lösung, Bekämpfung der Fluchtursachen, Stabilisierung der Lage der Flüchtlinge in den Herkunftsländern, Sicherung der Außengrenzen und die Übernahme von Flüchtlingskontingenten, mit dem Ziel kriminelle Schlepperorganisationen auszuschalten – das ist der Plan der SPD seit September. Wenn die Kanzlerin jetzt versucht, ihn auf europäischer Ebene umzusetzen, unterstützen wir sie dabei. Das ist doch klar.

Wird es nach den Landtagswahlen eine Personaldiskussion um Sigmar Gabriel geben?

Damit rechne ich in keiner Weise. Sigmar Gabriel hat sich in diesen Landtagswahlkämpfen enorm engagiert. Die SPD tritt im Gegensatz zur Union geschlossen auf und wir haben in der Grundsatzfrage Einigkeit, wir diskutieren über Details. Bei der Union ist es umgekehrt, dort passt einigen die Politik der Kanzlerin ganz grundsätzlich nicht.  Wenn es nach den Wahlen Personaldiskussionen gibt, dann in der Union.