spdfraktion.de: Frauen sind in Leitungspositionen in Wissenschaft und Forschung deutlich unterpräsentiert. Woran liegt das genau?
Um das vorwegzunehmen: Die Unterrepräsentanz von Frauen in Leitungspositionen ist kein Indiz fehlender Qualifikation. Bei Betrachtung der Zahlen wird deutlich, dass mehr als die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Akademikerinnen auf dem Karriereweg in Hochschulen verloren gehen bzw. offensichtlich an existierenden Barrieren, der so genannten „Glasdecke“ scheitern. Das liegt zum einen daran, dass aufgrund der Männerdominanz in den Spitzen innere Zirkel bestehen, die Frauen – ob gewollt oder nicht – aus Leitungspositionen fernhalten oder rausdrängen. Aber es liegt zum anderen auch daran, dass die Arbeitsbedingungen und Strukturen an deutschen Hochschulen eher „familienfeindlich“ sind und Frauen benachteiligen, die die gläserne Decke durchbrochen haben. Beides schreckt viele Frauen auch ab.
Du sprichst von unterschiedlichen Leistungsbewertungen. Was ist damit gemeint, und wie muss man sich das vorstellen?
Aus vielen Gesprächen mit Wissenschaftlerinnen wissen wir, dass Frauen beim Einkommen benachteiligt werden, wenn es um hochdotierte Posten geht. Gehälter sind dort, wo es Leistungszulagen gibt, nicht transparent. Das scheint insbesondere für Hochschulen wie für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bei der Professorenvergütung zu gelten.
Zudem sind Frauen, weil sie häufig dauerhaft im akademischen Mittelbau verbleiben, in verstärktem Maße von prekärer Beschäftigung und Entgelten betroffen, die kaum eine eigenständige Existenz ermöglichen.
Das Prinzip „Equal Pay“ muss daher auch in Wissenschaft und Forschung gelten. Was aber zudem dringend notwendig ist, sind eindeutige Zahlen. Mittels Entgeldberichte könnten die z. B. von der Bundesregierung erhoben werden.
Wieso trifft prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft vor allem Frauen? Was sind die Konsequenzen?
Während Männer den akademischen Mittelbau als Durchgangsstation für die eigene Karriere durchlaufen, verharren Frauen aufgrund der gläsernen Decke oft dort und sind von prekärer Beschäftigung häufiger betroffen. Entgegen des weitläufigen Argumentes, Befristung oder Teilzeitbeschäftigung sei lediglich während der Qualifikationsphase von Akademikern gängig, zeigt sich in der Realität jedoch, das diese Beschäftigungsmodelle inzwischen auch in den höheren Altersgruppen überwiegen. So sind prekäre Beschäftigungsbedingungen inzwischen bis zum Alter von 40 Jahren zum Normalarbeitsverhältnis avanciert.
Das bedeutet für junge Wissenschaftlerinnen eine weit verbreitete große Unsicherheit sowohl in Bezug auf Familiengründung als auch auf die Karriereplanung. Die Auswirkungen dieser Unsicherheiten sind durch Studien vielfach belegt: Drei Viertel derer, die prekär bzw. befristet im akademischen Mittelbau beschäftigt sind, bleiben kinderlos. Im Gegenzug dazu haben lediglich zwei Drittel der Professoren keine Kinder. Wichtig ist jedoch, genau zwischen den Geschlechtern zu differenzieren. Ist die Kinderlosigkeit bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im akademischen Mittelbau in etwa gleich hoch, fällt insbesondere die Differenz innerhalb der Professorenschaft auf. Dort sind lediglich 33 Prozent der männlichen Professoren kinderlos, jedoch 62 Prozent der weiblichen Professoren.
Rot-Grün hat mit der Ministerin Buhlmann (SPD) eine strategische Politik betrieben, um Frauen in der Forschung zu fördern. Wie sah das aus? Was ist aus den Maßnahmen unter Schwarz-Gelb geworden?
Im Bildungs- und Forschungsministerium wurde gleich zu Beginn der Regierungszeit von Edelgard Bulmahn in der Grundsatzabteilung das Referat „Frauen in Bildung und Forschung“ eingerichtet und mit einer Strategieentwicklung beauftragt. Als Konsequenz sind viele Maßnahmen entwickelt und ergriffen worden und zum Teil auch in der Zeit der Großen Koalition fortgeführt worden. So wurde das Leitziel Chancengleichheit im Haushalt verankert. Zugleich wurde der Fördertitel für gezielte Maßnahmen „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit von Frauen in Bildung und Forschung“ neu geschaffen. Im Rahmen des Hochschulwissenschaftsprogramms (1999-2006) wurde 2001 das Programm „Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ ins Leben gerufen, mit dem Promotionen und Professuren gefördert wurden. 2002 wurde die Juniorprofessur als Karriereschub für junge Wissenschaftlerinnen eingeführt. Das Center of Excellence Women and Science (CEWS) wurde gegründet, das seit über zehn Jahren unverzichtbar ist für Wissenstransfer und Politikberatung. In Forschungsorganisationen sind Kindereinrichtungen entstanden, und es gab weitere strukturelle Impulse in der Exzellenzinitiative und im Pakt für Forschung und Innovation.
Seit Beginn der schwarz-gelben Regierung hat es bis auf das Professorinnen-Programm, an dem wir auch schon in der Großen Koalition gearbeitet haben, keine wesentlichen Maßnahmen mehr gegeben. Und dieses ist laut Experten für Frauen leider auch nicht nachhaltig. Das Programm hat einen Drehtüreffekt, da es auf fünf Jahre beschränkt ist und nur über eine unzureichende Ausstattung verfügt.
Darüber hinaus kommt die Bundesregierung ihrer Verantwortung im eigenen Zuständigkeitsbereich nicht nach: den Führungspositionen in der Ressortforschung des Bundes. Auf die könnten sie direkt Einfluss nehmen und ausbauen, aber bis dato gibt es nur eine einzige Frau an der Spitze aller Einrichtungen.
Du forderst zur Chancengleichheit von Frauen die Einführung von Zielquoten. Was bedeutet das, und warum wird es helfen?
Bei Betrachtung der vergangenen Jahre wird deutlich, dass ohne Druck nicht genug passiert. Daher kommen wir um einen Quote nicht herum. Nach dem Vorschlag von CEWS sollte daher die zeitlich befristete Einführung einer leistungsabhängigen, verbindlichen und flexiblen Zielquote für die Besetzung von Führungspositionen gemäß dem Kaskadenmodell erfolgen. Das sowohl von Wissenschaftsorganisationen als auch von der Politik geschätzte Kaskadenmodell legt als Bezugsgröße der Zielquote den Anteil der Frauen in der jeweils niedrigeren Qualifikationsstufe zugrunde.
Nur so lässt sich die Situation von Frauen in Wissenschaft und Forschung nachhaltig verbessern. Es braucht einen kulturellen Wandel. Aber die Zielquote ist auch nötig, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Auf der anderen Seite sprichst du auch von Sanktionen? Wie sollen die aussehen?
Die Zielquote muss verbindlich sein und eine Nichterfüllung Konsequenzen haben. Ansonsten hätte auch die Quote keine Schlagkraft. Die vielen freiwillige Zusagen in der Vergangenheit haben uns nicht weitergebracht. Kürzungen in der Mittelvergabe könnte eine Variante sein.
Wie ist gegenwärtig der Stand zur Förderung von Frauen in Wissenschaft und Forschung? Was müsste noch getan werden?
Es ist in den letzten zehn Jahren einiges erreicht worden – vor allem dank der rot-grünen Vorarbeiten unter Edelgard Bulmahn. Das reicht aber noch nicht, die Dynamik ist, auch laut Ministerin Wanka, zu gering. Es fehlt eindeutig an Verbindlichkeiten und Sanktionen.
Konkret brauchen wir verbindliche Zielquoten und eine Expertinnendatenbank, die die Besetzung von Stellen durch Frauen erleichtert bzw. gezielt fördert. Des Weiteren muss das Verfahren der Doppelbenennung ersatzlos gestrichen werden. Die im Jahr 2008 von der DFG verabschiedeten Gleichstellungsstandards, die personelle und strukturelle Standards für eine nachhaltige Gleichstellungspolitik in der Wissenschafts- und Hochschullandschaft definieren, sind bislang eine freiwillige Selbstverpflichtung. Die Standards müssen aber verbindlich werden, und das Nichteinhalten muss sanktioniert werden, in dem sie ein Bestandteil der Bewilligungszusagen werden.
Insgesamt müssen Ziele und Vorgaben anhand von Kennzahlen und Indikatoren kontrollier- und sanktionierbar gemacht werden. Ansonsten sind Maßnahmen nicht überprüfbar und Fehlentwicklungen nicht erkenn- und korrigierbar.