Was sind für Sie die dringlichsten Aufgaben des Bundes, die aus dem Bericht der Expertenkommission folgen?
Carsten Schneider: Für die SPD-Fraktion sind gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland ein zentrales Ziel unserer Politik. Wir wollen, dass die Menschen unabhängig vom Wohnort die gleichen Chancen haben, ein gutes Leben führen zu können. An diesem Ziel richten wir künftig stärker unsere Politik aus. Die Kommission hat dazu einige gute Vorschläge vorgelegt.
Wie lässt sich die Situation im Osten Deutschlands verbessern?
Der Osten gehört immer noch zu den strukturschwachen Regionen in Deutschland, nicht mehr flächendeckend, aber zu größten Teilen. Der Angleichungsprozess zwischen Ost und West hat sich in den letzten Jahren abgeschwächt. Deshalb brauchen wir neuen Schwung. Die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen wäre ein zentraler Beitrag, um zukunftsfähige und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. Damit würde auch das Lohnniveau steigen, das im Osten deutlich unterdurchschnittlich ist.
Muss der Bund die Altschulden der Kommunen übernehmen?
Auf Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz erkennt die Bundesregierung erstmals eine Verantwortung für die Finanzsituation der Kommunen an. Wie genau die Unterstützung aussehen wird, muss jetzt mit den Ländern besprochen werden. Neben Hilfen für Zins und Tilgung müssen wir aber an den strukturellen Ursachen der unterschiedlichen Situation etwas ändern. Dazu muss die primäre Steuerverteilung ebenso auf den Prüfstand wie die Verteilungsschlüssel der Förderprogramme, die zielgenauer und damit gerechter ausgestaltet werden müssen. Das kann dann bedeuten, dass Regionen, die weniger auf Förderprogramme angewiesen sind, künftig auch weniger Mittel erhalten, damit dort, wo es wirklich gebraucht wird, mehr ankommt.
Innenminister Horst Seehofer fordert einen neuen Ansatz in der Wirtschaftsförderung. Wie kann diese aussehen, und hat der Osten mit seinem großen Raumangebot dabei Vorteile (wie zuletzt bei der Ansiedlung einer Batteriefabrik in Thüringen)?
Wir wollen Deutschland insgesamt als einen lebenswerten Ort erhalten. In allen Regionen muss es deshalb die Chance auf bezahlbaren Wohnraum und gute Arbeit geben. Die vorhandenen Mittel müssen deshalb auf die Regionen mit dem größten Bedarf fokussiert werden. Das gilt auch für die Wirtschaftsförderung. Die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Mit der Entscheidung über die Batterieforschungsfabrik hat Bundesforschungsministerin Karliczek dem Angleichungsprozess zwischen Ost und West einen schweren Schlag versetzt. Ostdeutsche Standorte wurden bei dem Auswahlprozess systematisch ausgegrenzt.
Eines der Schlagworte lautet Dezentralisierung der Bundesverwaltung – was kann der Bund da für den Osten leisten?
Es gibt schon länger den Grundsatz, dass bei der Neuansiedlung von Behörden und Institutionen aber eben auch Forschungseinrichtungen die ostdeutschen Bundesländer bevorzugt behandelt werden sollen, da es dort immer noch einen großen Nachholbedarf gibt. Dieser Grundsatz darf aber nicht nur auf dem Papier stehen, es muss auch in der Praxis gelten. Deshalb ist es gut, dass Franziska Giffey mit der Entscheidung gestern, die neue Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt im Osten anzusiedeln, ein klares Zeichen setzt.
Die Analyse zeigt: Die Benachteiligung trifft nicht nur den Osten, sondern auch Kommunen im Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Brauchen wir einen Aufbau West?
Wir brauchen eine Fokussierung auf Strukturschwäche, nicht Himmelsrichtung. Ein Beitrag dazu könnte sein, dass die tatsächliche Finanzkraft der Kommunen im Länderfinanzausgleich stärker berücksichtigt wird, statt wie bisher nur zu 75 Prozent. Oder auch durch eine Verteilung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer nach Einwohnern statt nach Wirtschaftskraft. Die aktuelle Verteilung verstärkt die bestehenden Ungleichgewichte. Der solidarische Zusammenhalt in Deutschland ist wichtig. Das sollte auch im Finanzausgleich stärker zum Ausdruck kommen.