Gute Arbeit: Was bedeutet Ihnen der 1. Mai?
Katja Mast: Der 1. Mai ist als Tag der Arbeit natürlich auch für mich Teil unserer langen sozialdemokratischen Geschichte als Arbeitnehmerpartei. Deshalb gehe ich jedes Jahr zur DGB-Veranstaltung in Pforzheim und setze ein Zeichen für Solidarität.
Der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Es gibt derzeit in Deutschland mehr Beschäftigte als je zuvor. Wozu brauchen wir da noch einen Tag der Arbeit?
Die Lage am Arbeitsmarkt ist sehr gut, das stimmt. Da hat auch die SPD-Fraktion viel zu beigetragen. Und dennoch gibt es weiterhin große Herausforderungen. Die größte Herausforderung ist derzeit, die Menschen, die zu uns kommen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Daneben gibt es am Arbeitsmarkt aber auch immer noch große Ungerechtigkeiten: Wenn Menschen im gleichen Betrieb arbeiten und unterschiedlich entlohnt werden, dann ist das ungerecht und muss bekämpft werden. Deswegen will die SPD-Fraktion den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen gesetzlich unterbinden. Wenn Frauen weniger verdienen als Männer, dann ist das ungerecht. Deshalb brauchen wir eine bessere Arbeitnehmerinnenpolitik mit einem Entgeltgleichheitsgesetz. Und auch wenn Frauen nach ihrer Elternzeit nicht mehr auf ihre Vollzeitstelle zurück können, ist das ungerecht. Deswegen brauchen wir einen Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit. Es gibt also viel, für das es sich lohnt, am 1. Mai auf die Straße zu gehen.
Wann kommt das Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen?
Seit Wochen liegt ein Gesetzentwurf von unserer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vor, mit dem der Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Diesen Punkt hat die SPD-Fraktion im Koalitionsvertrag durchgesetzt, ebenso wie die Einführung des Mindestlohns. Die Union wollte das weder im Wahlkampf, noch im Koalitionsvertrag, noch jetzt in der Koalition. CSU/CDU haben bisher blockiert, dass der Gesetzentwurf ins Parlament kommt. Wir Sozialdemokraten bleiben da hart, denn wir wollen keine zwei oder gar drei Klassengesellschaften im Betrieb. Und wir wollen keine Verdrängung gut mitbestimmter und tarifgebundener Arbeit zu Lasten von schlechten Arbeitsverhältnissen. Wenn CDU und CSU hier vom Koalitionsvertrag abweichen wollen, dann sollen sie auch so ehrlich sein und es den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagen.
Gerade heute, in unsicheren Zeiten, in der Rechtspopulisten auf Ängste setzen, ist es wichtiger denn je, das Gesetz zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen auf den Weg zu bringen. Wir Politiker müssen zeigen: Wir kümmern uns um Eure Probleme, wir machen Politik für alle, und wir kümmern uns um die Integration der Flüchtlinge. Es muss also das Signal des „sowohl als auch“ erkennbar sein. Sonst gewinnen nur die politischen Ränder, die sich weder um Integration noch um Arbeitnehmerrechte kümmern.
Von der guten Arbeitsmarktentwicklung profitieren Langzeitarbeitslose weit weniger als andere. Was tut die SPD-Fraktion für sie?
Wir haben da bereits einiges gemacht, die Arbeitsministerin hat zum Beispiel schon ein Programm zur sozialen Teilhabe am Arbeitsmarkt aufgelegt. Dieses richtet sich an arbeitsmarktferne Personen und fördert Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig haben wir bei diesem Thema einen großen Konflikt mit dem Finanzminister und der CDU/CSU. Gerade für Langzeitarbeitslose mit langer Erwerbslosigkeit und vielen Vermittlungshemmnissen braucht es zusätzlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Hier setzt unser Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarkts an, den ich seit Jahren vorantreibe. Indem Arbeit statt Arbeitslosigkeit möglichst im Betrieb finanziert wird, soll eine Antwort auf unser Ziel der Vollbeschäftigung gegeben werden. In Baden-Württemberg, wo ich herkomme, hat das die SPD-Sozialministerin mit viel Erfolg erprobt. Hier wurde deutlich, dass Menschen mit dem sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer endlich Arbeit bekommen, die bisher keine dauerhaften Angebote bekommen haben. Wir haben die Pflicht als Arbeitspartei, auch jenen Arbeit zu organisieren, die ohne Hilfe keine bekommen würden. Denn Arbeit ist Teilhabe für die Langzeitarbeitslosen selbst, aber auch für ihre Kinder. Leider verweigert sich die Union diesem Ansatz standhaft.
Was für Jobs sind es, die so öffentlich gefördert werden können?
Das können ganz unterschiedliche Jobs sein. Ich habe Menschen kennengelernt, die Gärtner- und Hausmeistertätigkeiten übernommen haben. Ich habe aber auch jemanden kennengelernt, der bei einem Weiterbildungsträger Seminare gegeben hat und hinterher auch eine Festanstellung bekommen hat. In der Regel geht es um Jobs im ersten Arbeitsmarkt. Der Arbeitgeber bekommt einen Zuschuss für die Zeit, in der der Langzeitarbeitslose eben nicht so leistungsfähig ist wie jemand, den man normalerweise am ersten Arbeitsmarkt einstellen würde.
Ein weiteres großes Thema ist die berufliche Qualifizierung und Weiterbildung. Warum ist es so wichtig?
Gerade mit Blick auf die Digitalisierung, Globalisierung und den Fachkräftebedarf brauchen wir noch mehr Qualifizierung in der Arbeitswelt – und zwar über die gesamten Lebensphasen hinweg. Bildung und Weiterbildung bedeuten Wohlstand für jeden Einzelnen und sind im Kern das alte Versprechen der Arbeiterbewegung, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Und heute brauchen wir darauf neue Antworten. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir künftig nicht mehr nur eine Bundesagentur für Arbeit, sondern eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung brauchen. Und wir müssen die Arbeitslosen- zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln, die die Beschäftigungsfähigkeit ein Leben lang erhält und ausbaut. Im Bundestag diskutieren wir gerade das Weiterbildungsstärkungsgesetz. Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Arbeitsversicherung. Damit führen wir eine Weiterbildungsprämie ein, die auch unsere Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften schon lange fordern. Und wir verbessern die Möglichkeiten, Weiterbildung in klein- und mittelständigen Unternehmen oder in Transfergesellschaften zu fördern. Außerdem wollen wir, dass jeder und jede eine Ausbildung abschließt. Mit diesem Gesetz kommen wir in diesem Punkt einen großen Schritt weiter, indem wir Menschen, die noch nicht über einen Berufsabschluss verfügen, diesen aber gerne nachholen würden, eine Förderung zum Erwerb notwendiger Grundkompetenzen ermöglichen. Das ist Zukunftspolitik, die die SPD-Bundestagsfraktion hier vorantreibt.
Der Prozess der Digitalisierung der Arbeitswelt – Stichwort Arbeit 4.0 – ist in vollem Gange. Wie lässt er sich politisch gestalten?
Die Digitalisierung hat schon längst alle Lebensbereiche erreicht. Das ist erstmal nichts Negatives, sondern darin liegen große Chancen. Aber nur wenn wir diese gestalten und nutzen. Beim derzeit laufenden Dialogprozess Arbeiten 4.0. des Bundesarbeitsministeriums geht es um die Frage, wie wir die Chancen der Digitalisierung nutzen und dabei die Risiken in der Arbeitswelt verringern können. Auch hier liegt der Schlüssel in der Qualifizierung und Weiterbildung. Klar ist: Es wird künftig immer weniger Jobs auf Hilfsarbeiterniveau geben. Dafür immer mehr Jobs, in denen man hochwertigeren Tätigkeiten nachgeht und deswegen seine Qualifikation regelmäßig erneuern muss.
Das Thema Arbeit 4.0 wird nicht zuletzt mit Arbeitsplatzverlusten in Verbindung gebracht…
Dazu gibt es unterschiedliche Studien mit gegensätzlichen Aussagen. Ich habe keine Glaskugel und es wird vieles geforscht. Grundsätzlich bin ich eine Zukunftsoptimistin. Politik kann die Digitalisierung gestalten, wenn sie handelt. Dann schaffen wir es, dass Chancen die Risiken dominieren. Gerade die Gewerkschaften gestalten den Prozess der Digitalisierung intensiv mit und zwar in der Industrie ebenso wie im Dienstleistungsbereich. Zentral wird auch sein, wie wir die Mitbestimmung zukunftsfest machen. Nach dem Grünbuch Arbeiten 4.0 wird deshalb auch am Weißbuch Arbeiten 4.0 – also an Antworten zur Digitalisierung – im Bundesarbeitsministerium gearbeitet.
Die großen Projekte aus dem Koalitionsvertrag sind im Feld der Arbeitsmarktpolitik abgearbeitet. Was ist darüber hinaus in dieser Legislaturperiode geplant?
Es gibt noch große Projekte – auch wenn sicherlich die Einführung des Mindestlohns das historischste Projekt war und schon abgearbeitet ist. Darauf können wir Sozialdemokraten zu Recht stolz sein. Es kommt noch das Bundesteilhabegesetz, mit dem wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderung besser organisieren. Außerdem haben wir uns in der Rentenpolitik noch einiges vorgenommen, zum Beispiel die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge, die solidarische Lebensleistungsrente, die Angleichung der Rente in Ost und West. Und ganz wichtig: das schon angesprochene Rückkehrrecht von befristeter Teilzeit auf Vollzeit. Das mag nach einem Detail klingen, ist für ganz viele Frauen aber enorm wichtig. Außerdem kämpfen wir weiter für das Entgeltgleichheitsgesetz, das heißt: Es bleibt noch viel zu tun – und es bleibt spannend!